«Ich brauchte einfach eine Pause»
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Karateka Elena Quirici:«Ich brauchte einfach eine Pause»

Karateka Elena Quirici über ihr Olympia-Leiden
«Ich hatte die Freude am Sport verloren»

Die Olympia-Teilnahme war für Elena Quirici der grösste Traum. Einer, den sie sich erfüllen konnte. Doch der lange Weg dorthin mit allen Hindernissen haben ihren Tribut gefordert. So, dass sie sich vorübergehend vom Sport abwandte.
Publiziert: 05.04.2022 um 10:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.04.2022 um 11:01 Uhr
Sven Micossé (Text), Benjamin Soland (Fotos)

Die olympischen Ringe trägt Elena Quirici immer ganz nah bei sich. Eine feine, goldene Halskette erinnert die Aargauerin stets an den Sommer 2021. Aber auch an die lange Zeit davor. Denn ihr Weg nach Tokio war lang und voller Hindernissen – Verletzungen, Pandemie, Geldsorgen. All das wohl wissend, dass sie nur eine Möglichkeit hat, ihren Traum zu verwirklichen.

Der Dauerstress, die vielen Turniere und die vielen Entbehrungen forderten ihren Tribut. Im letzten Herbst kehrt sie den Tatamis vorübergehend den Rücken zu und gönnt sich eine Pause.

Und die hat sich ausgezahlt. Vor einigen Wochen hat Quirici sich für die World Games im Sommer qualifiziert. Die 28-Jährige: «Ich habe viel verändert und gebe mir selber mehr Acht. Wenn ich glücklich und zufrieden bin, läuft es auch im Sport besser.» Sie wirkt glücklich und fokussiert, scheint die vergangenen fünf Jahre verarbeitet zu haben.

Die olympischen Ringe trägt Elena Quirici immer ganz nah bei sich.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Knochenbrüche und Bänderriss

Quiricis Olympia-Reise beginnt bereits 2016. Am Anfang läuft noch alles nach Plan. Mit der Zeit wird es aber immer anstrengender, denn die Kadenz der Turniere ist hoch. «Das war für den Körper und den Kopf sehr hart. Ich hatte die Nase gebrochen, einen Bänderriss in den Händen, die Rippe gebrochen und diverse andere Verletzungen gehabt.»

Doch es geht weiter und an eine Pause ist nicht zu denken. Karate fällt bereits 2024 wieder aus dem Programm, somit ist es für Quirici die erste und wohl letzte Olympia-Chance. Erst als mit der Pandemie die Zwangsunterbrechung kommt, kann sie etwas durchatmen, doch die gestrichene Qualifikation rüttelte sie gleich wieder wach. Der sicher geglaubte Olympia-Traum? Vorerst futsch. «Es war ein Riesenschock. Ich hatte in der Zwischenzeit meine Hände operieren lassen und sass dort und dachte: ‹Was jetzt?›»

Aus der Misere zieht sie aber zusätzliche Energie und Motivation. Gleichzeitig gesellt sich aber die finanzielle Komponente dazu. Da Olympia um ein Jahr verschoben wurde, muss sie abwägen, wie sie als Karate-Profi weiterleben will. Letzten Endes hat sie es geschafft. Wenn auch über einen Umweg, da sie die direkte Qualifikation verpasste.

Elena Quirici persönlich

Elena Quirici ist am 16. Februar 1994 in Baden AG geboren. Mit vier Jahren beginnt sie mit Karate. Sie will früh auf die Karte Sport setzen, bildet sich nebenbei aber noch zur Kauffrau aus. 2016 und 2018 gewinnt sie EM-Gold, ist die erste Schweizer Karateka, die sich sowohl auf Stufe Juniorin, U21 und Elite zur Europameisterin kürt. Quirici wohnt in Schinznach-Dorf.

Elena Quirici ist am 16. Februar 1994 in Baden AG geboren. Mit vier Jahren beginnt sie mit Karate. Sie will früh auf die Karte Sport setzen, bildet sich nebenbei aber noch zur Kauffrau aus. 2016 und 2018 gewinnt sie EM-Gold, ist die erste Schweizer Karateka, die sich sowohl auf Stufe Juniorin, U21 und Elite zur Europameisterin kürt. Quirici wohnt in Schinznach-Dorf.

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«Nur gesehen, dass ich die Medaille nicht geholt habe»

In Tokio scheidet sie im Viertelfinal aus, schrammt als Fünfte knapp an ihrem Medaillenziel vorbei. «Ich bin von mir selbst sehr enttäuscht gewesen, habe nur gesehen, dass ich die Medaille nicht geholt und mein Ziel nicht erreicht habe.» Ihr tränenreiches Interview nach ihrem Ausscheiden im Halbfinal berührt die Sport-Schweiz, doch die Karateka bekommt davon nichts mit. «Ich habe mich etwas abgeschottet, da wir in dieser Bubble waren und ich nicht in den sozialen Medien unterwegs war.»

Bevor es nach Hause geht, wird ihr eine erste Ehre zuteil: Sie wird zur Fahnenträgerin bei der Schlussfeier. Und zu Hause angekommen, wird sie gebührend empfangen und gefeiert. Quirici: «Das hat mir die Augen geöffnet.» Plötzlich wurde die Olympionikin im Zug, Supermarkt und auf der Strasse erkannt. Die Zuneigung der vielen Menschen habe geholfen, die Enttäuschung zu verarbeiten. Die Früchte der langjährigen, harten Arbeit konnte sie endlich geniessen.

Erst nachdem sich der Olympia-Rummel gelegt hat, beginnt sie den Verschleiss zu merken. Trotzdem plant sie, bei der WM im Herbst anzutreten. «Ich wollte diese WM für die Leute bestreiten, die mich tagtäglich unterstützen, und ihnen nochmals ein Turnier zeigen.»

Viertelfinal-Einzug bei der WM

Je länger die neuerliche Vorbereitung angedauert hat, desto mehr habe sie die fehlende Energie gemerkt. Bei der WM in Dubai reicht es ihr bis in den Viertelfinal. «Nicht das beste Resultat, aber ich habe gute Kämpfe gezeigt. Ich bin stolz, dass ich es gemacht habe», sagt Quirici dazu.

Diese Phase sei aber sehr zäh gewesen. Dazu habe es einige private Rückschläge gegeben, die sie verarbeiten musste. «In dieser Zeit hat man die Freude am Sport verloren. Meinem Kopf ging es nicht gut und er musste viel leiden.»

So merkte sie deutlich, dass die Pause nötig war. «Es war auch mit meinem Team so abgesprochen, dass sie mich aufhalten würden, wenn ich trotzdem trainieren wollen würde.» Stattdessen hat sie die Zeit mit Freunden und Familie verbracht und die Momente, die sie wegen dem Sport nicht erleben konnte, intensiv genossen.

«Nicht alles Sonnenschein und Medaillen»

Zuerst wollte Quirici den Unterbruch für sich behalten. Doch sie entscheidet sich, ihre Situation publik zu machen. Ihr liegt am Herzen, die kommende Generation auf die echte Sportler-Welt vorzubereiten. «So sehen sie, dass im Spitzensport nicht alles Sonnenschein und Medaillen sind. Es ist auch manchmal hart. Das Wichtigste ist aber, dass man sich dies eingestehen kann und nicht immer die Starke spielen muss.»

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Etwas, das sie inzwischen nicht mehr machen muss. Dieses Jahr soll der Spass an der japanischen Kampfkunst in den Fokus rücken. Der Druck, ständig Punkte für Olympia zu sammeln, ist weg.

«Jetzt will ich den ganzen Prozess, die Turniere und Kämpfe geniessen.» Und das Wichtigste: gesund sein. Oder wie Quirici es sagt: «Schmerzfrei im Herz und im Körper.»

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