Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Chefredaktor wird zum Heiratsschwindler

Vor 25 Jahren wurde die Zeitung «Sport» eingestellt. Jetzt hat sich die Redaktion wieder getroffen. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 05.05.2024 um 13:48 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2024 um 20:02 Uhr

Im Dezember 1920 bringt Julius Wagner, ehemaliger Teilnehmer an Olympischen Spielen und Mitgründer des Schweizerischen Olympischen Komitees, in Zürich die Erstausgabe der Zeitung «Sport» heraus. In einer Zeit, in der die Sportberichterstattung noch ein Mauerblümchendasein fristet und die wirtschaftliche Bedeutung des Sports noch gering ist.

Ein Vertreter des «Sports» sitzt schon bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin auf der Pressetribüne. Mit einem zweihundert Seiten dicken Buch, in dem er fein säuberlich die Resultate sämtlicher Wettkämpfe mit Bleistift einträgt und seine Berichte später in die Schreibmaschine tippt.

Adolf Hitler schreibt bei diesen Propagandaspielen das Vorwort dieses Programmbuchs. «Der Sport trennt nicht, sondern eint die Gegner in gegenseitigem Verstehen und beiderseitiger Hochachtung. Er hilft mit, zwischen den Völkern die Bande des Friedens zu knüpfen», schreibt der schamlose Diktator. Drei Jahre später überfällt er Polen, der Zweite Weltkrieg beginnt.

Die einst renommierte Sportzeitung wurde 1999 aufgelöst.
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Der «Sport» erscheint während Jahrzehnten am Montag, am Mittwoch und am Freitag. Während Grossereignissen laufen die Druckmaschinen täglich. Das einstige Pionierprojekt erlebt in den 70er-Jahren mit Spitzenauflagen von über 120'000 Exemplaren seine Blütezeit und wird im ganzen deutschsprachigen Raum als kompetentes Fachmedium geschätzt.

Aber das Traditionsblatt gerät wirtschaftlich ins Schlingern. Und an einem nebligen Oktobertag vor 25 Jahren ist es so weit. Die Belegschaft wird ins Sitzungszimmer gebeten und ein Manager verkündet das sofortige Ende des «Sports». Die Tageszeitungen haben damals die stetig steigende Bedeutung des Sports erkannt und ihre Sportressorts massiv ausgebaut. Auf dem kleinen Schweizer Markt gibt es für den «Sport» keine Rettung mehr.
Auf einen Schlag verlieren 1999 viele qualifizierte Sportjournalisten ihren Job. Das verschworene Team wird in alle Winde zerstreut. Einige gehen zum Fernsehen oder zu anderen Tageszeitungen. Andere machen beim Weltfussballverband Fifa Karriere oder gehen als Kommunikationsberater in die Wirtschaft. Die kompetenteste Sportredaktion, die dieses Land je hatte, wird in ihre Einzelteile zerlegt.

Vor wenigen Tagen hat sich die Redaktion nach 25 Jahren zum ersten Mal wieder getroffen. Unter dem Motto: Es lebe der Sport! Für viele ist es ein etwas melancholisches, aber trotzdem wunderbares Schwelgen in Erinnerungen. Es werden viele lustige und erheiternde Episoden aus den romantischen Zeiten aufgewärmt.

Beispielsweise, dass der geniale Rad-Experte Martin B. einst in die Tiefgarage der Redaktion fuhr und vergass, dass er sein Rennvelo auf dem Dachträger montiert hatte. Aus dem Rennvelo wurde ein Minivelo.

Und angeregt diskutiert wird auch der Werdegang eines einstigen Chefredaktors, der später Pressechef beim FC Basel wurde, dann aber eine eigenwillige Karriere einschlug. Er wurde zum vollamtlichen Heiratsschwindler. Der jovial säuselnde Rosenkavalier versprach vielen Damen das Blaue vom Himmel und plünderte parallel dazu ihr Bankkonto. Bis er überführt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurde.

Hätte dieser Hochstapler damals den «Sport» wirtschaftlich so smart und überzeugend geführt, wie er später die Damen über den Tisch gezogen hat, dann gäbe es den legendären «Sport» vielleicht heute noch.

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