Töff-Aegerter über seine Schwalbe im Kiesbett
«Ich musste eingestehen, dass es ein Fake war»

Nach den Seriensiegen der Eklat! Dominique Aegerter wird in Tschechien wegen Unsportlichkeit gesperrt. Jetzt redet der Töff-Weltmeister erstmals ausführlich über den Mega-Bruch in seiner Traum-Saison.
Publiziert: 06.08.2022 um 01:33 Uhr
Matthias Dubach

Eine Schwalbe im Töff-Zirkus. Dominique Aegerter (31) sorgt am letzten Wochenende im tschechischen Most für einen beispiellosen Eklat im Schweizer Sport.

Was ist passiert? Im Samstag-Rennen wird der Supersport-Weltmeister direkt nach dem Start bei einem Massensturz abgeräumt. Das Aegerter-Drama geht los. Obwohl unverletzt, legt sich der WM-Leader wieder ins Kiesbett und wird auf einer Trage abtransportiert. Danach beurteilt der Circuit-Chefarzt den Rohrbacher wegen einer Gehirnerschütterung als «unfit» für das Rennen am Sonntag.

Aegerter will aber unbedingt starten. Er gesteht ein, grundlos im Kiesbett liegen geblieben zu sein, er sei völlig unverletzt und könne gar nicht «unfit» sein. Weil dann auch am Abend ein CT-Check im Krankenhaus von Most keinerlei Anzeichen einer Gehirnerschütterung zeigt, gilt Aegerter tatsächlich wieder als rennbereit.

Dominique Aegerter bleibt nach dem Massensturz im ersten Supersport-Rennen von Tschechien im Kiesbett liegen: Dabei ist er unverletzt.
Foto: Thomas Seidenglanz
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Doch dann kommt am Sonntag eine Stunde vor dem Start der Schwalben-Hammer. Startverbot wegen Unsportlichkeit! Die Rennleitung zieht Aegerter aus dem Verkehr, er habe «eine medizinische Situation simuliert, um die Bergung zu verzögern und so einen Rennabbruch zu erzwingen».

Was für ein Eklat. Was für ein Bruch in seiner Traum-Saison mit zuvor neun Siegen in zehn Rennen. Doch weil nun sein Titelrivale Lorenzo Baldassarri (25) beide Läufe gewinnt, schmilzt der Vorsprung um 50 Punkte. Von 64 auf 14!

Blick: Herr Aegerter, sind Sie der Neymar des Töff-Sports?

Dominique Aegerter: Diesen Vergleich habe ich ein paar Mal gelesen und zu hören bekommen. Die meisten glauben, es war alles nur mein Fehler. Aber das ist überhaupt nicht der Fall.

Aber Sie haben im Kiesbett simuliert?

Ja, ich bin liegen geblieben. Aber nicht, um eine Verletzung vorzutäuschen. Ich war einfach am Boden zerstört. In diesem Moment geht dir alles durch den Kopf. Dass du unverschuldet abgeschossen wirst, dass du nicht den Rekord von zehn Siegen in Serie holen kannst, man ist voller Emotionen und Adrenalin. Ich war stocksauer und total frustriert, dass es keinen Rennabbruch gibt, den es mit den vielen Gestürzten hätte geben müssen.

Das Rennen lief weiter. Doch Sie liessen sich auf einer Trage bergen.

Ich wollte eigentlich absteigen. Doch mir wurde zu verstehen gegeben, ich solle auf der Trage liegen bleiben. Im Fahrerlager wurde ich ins Medical Center zitiert.

Bei einem Fahrer, der liegen geblieben ist, eine normale Massnahme.

Ja, okay. Der tschechische Arzt meinte dort, meine Augen hätten leicht geflackert, zudem sei ich sehr emotional gewesen. Das seien Anzeichen einer Gehirnerschütterung, er hat mich dann ohne weitere Abklärungen als unfit für das Sonntag-Rennen erklärt. Eine Frechheit! Es war ein harmloser Sturz, ich bin nur auf dem Hintern gerutscht. Emotional bin ich erst geworden, als der Arzt mir das Startverbot erteilte.

Aegerter persönlich

Dominique Aegerter (31) wächst in Rohrbach BE als Sohn eines Garagisten auf und fährt als Kind Motocross. Als 12-Jähriger wechselt er in den Strassensport, 2006 gibt der Berner sein Debüt in der 125-ccm-WM. Ab 2010 startet der Schweizer wie Tom Lüthi in der Moto2-Klasse, wo Aegerter 2013 und 2014 vorne mitfährt und auf dem Sachsenring seinen einzigen GP-Sieg feiert.

Ab 2016 kommen nach insgesamt sieben Podestplätzen keine weiteren dazu. Aegerter trennt sich von seinem Förderer Olivier Métraux und fährt neu für ein deutsches Team. Sein Sieg 2017 in Misano wird ihm nachträglich wegen illegalem Öl aberkannt, dazu verstirbt Teamchef Stefan Kiefer völlig überraschend.

Aegerter muss 2018 und 2019 mit viel eigenem Geld seine GP-Karriere am Leben erhalten, fährt aber hinterher. Dann das Aus im GP-Sport. 2020 bleibt nur noch ein Job in der MotoE, erst für 2021 findet er in der seriennahen Supersport-WM (600 ccm) wieder einen Vollzeitjob – und wird auf Anhieb Weltmeister. Aktuell ist er sowohl in der Supersport-WM als auch in der MotoE Gesamtleader.

Dominique Aegerter (31) wächst in Rohrbach BE als Sohn eines Garagisten auf und fährt als Kind Motocross. Als 12-Jähriger wechselt er in den Strassensport, 2006 gibt der Berner sein Debüt in der 125-ccm-WM. Ab 2010 startet der Schweizer wie Tom Lüthi in der Moto2-Klasse, wo Aegerter 2013 und 2014 vorne mitfährt und auf dem Sachsenring seinen einzigen GP-Sieg feiert.

Ab 2016 kommen nach insgesamt sieben Podestplätzen keine weiteren dazu. Aegerter trennt sich von seinem Förderer Olivier Métraux und fährt neu für ein deutsches Team. Sein Sieg 2017 in Misano wird ihm nachträglich wegen illegalem Öl aberkannt, dazu verstirbt Teamchef Stefan Kiefer völlig überraschend.

Aegerter muss 2018 und 2019 mit viel eigenem Geld seine GP-Karriere am Leben erhalten, fährt aber hinterher. Dann das Aus im GP-Sport. 2020 bleibt nur noch ein Job in der MotoE, erst für 2021 findet er in der seriennahen Supersport-WM (600 ccm) wieder einen Vollzeitjob – und wird auf Anhieb Weltmeister. Aktuell ist er sowohl in der Supersport-WM als auch in der MotoE Gesamtleader.

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Doch dann haben Sie mit der Simulations-Story ein böses Eigentor geschossen.

Ich wollte am Sonntag natürlich starten und brauchte ein stichhaltiges Argument, dass ich gar nicht verletzt sein konnte. Also musste ich eingestehen, dass es ein Fake war.

War ihnen nicht klar, welch enormen Tabubruch sie damit im Sport der harten Männer begehen?

Mir ist bewusst, dass ich ein schlechtes Bild abgegeben habe. Ich habe mich bei meinem Team, bei Yamaha, den Streckenposten, meinen Fans und den Sponsoren entschuldigt. Ich habe etwas Schlechtes gemacht, aber ich bin keine schlechte Person. Das Krasseste am ganzen Fall ist für mich immer noch, dass ein Arzt ohne vorhandene Verletzung ein «unfit» ausspricht.

Für die Offenlegung der Schwalbe bezahlten Sie teuer: Startverbot wegen Unsportlichkeit.

Mir war klar, dass es eine Strafe wie eine Rückversetzung geben könnte. Aber die Sperre war ein Schock.

Wie gehen Sie mit dem Stempel als Töff-Neymar um?

Es ist schwierig zu verstehen, dass ich nun derart als Schauspieler dastehe. Wie gesagt: Ich bin einfach aus Frust liegen geblieben. Wer mich kennt, weiss, dass ich ein seriöser Fahrer bin. Der Shitstorm war aber schon heftig.

Sie wurden im Internet attackiert?

Man kann mir gerne die Meinung sagen, aber nicht auf primitive Art. Es waren krasse Beleidigungen dabei. Es ist schon verrückt, wenn man neun Rennen in Serie gewinnt, nimmt kaum jemand Notiz. Aber bei einem solchen Vorfall hat sofort jeder eine Meinung.

Trotz allem: Sie sind weiterhin WM-Leader, dazu führen sie auch in der elektrischen MotoE die Tabelle klar an.

In der Supersport-WM ist erst Halbzeit. Es sind noch 300 Punkte zu holen, daher war auch mein vorheriger 64-Punkte-Vorsprung nicht vorentscheidend. In der MotoE siehts mit 31,5 Punkten Vorsprungen bei vier offenen Rennen nicht schlecht aus.

Geht 2023 ihr grosser Traum von der Superbike-WM in Erfüllung? Ausgerechnet in Most gab es Gespräche mit Yamaha.

Das Interesse ist da. Fix ist aber noch nichts. Andrea Dosoli (Yamaha-Rennchef, d.Red.) hat mir versichert, dass der Vorfall von Most keinen Einfluss auf die Entscheidung habe.

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