Zu Besuch bei WM-Debütant Noah Dettwiler (18)
Die Eltern schauen seinen ersten Grand Prix getrennt an

Erstmals seit Tom Lüthis Rücktritt fährt wieder ein Schweizer in der Töff-WM. Töff-Talent Noah Dettwiler debütiert beim GP in Spielberg. Wegen seines grossen MotoGP-Traums ist er nur selten daheim bei den Eltern.
Publiziert: 14.08.2023 um 14:03 Uhr
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Matthias DubachLeiter Reporter-Pool Blick Sport

Auf der Küchentheke in Noah Dettwilers Elternhaus liegt etwas, das auch bei Tausenden anderen 18-jährigen Schweizern mit der Volljährigkeit ins Haus flattert: das Dienstbüchlein. Aber die Rekrutenschule ist gerade ganz weit weg. «Das schauen wir dann mal in Ruhe an», sagt der Teenager lachend.

Dettwiler will keine Armeekarriere machen. Er träumt von einer Töfflaufbahn. Nun gibt das Talent am 20. August in Spielberg sein WM-Debüt. Der Solothurner fährt in der Moto3-Klasse mit einer Wildcard seinen ersten GP. Das grosse Ziel: sich für einen fixen WM-Einstieg 2024 als Stammpilot zu empfehlen.

Mutter Nicole leidet, wenn der Sohn über die Strecke rast

Die ganze Familie wird vor Ort sein, Mutter Nicole Dettwiler allerdings mit gemischten Gefühlen: «Ein solches Wochenende ist für mich keine Erholung, das Zuschauen ist schlimm.» Vater Andy bestätigt postwendend, wie sehr seine Frau leidet, wenn der Sohn mit 200 km/h über die Strecke braust. Die Eltern schauen beim Circuit sogar an getrennten Orten zu. «Andy ist derart nervös, dass er ständig alles kommentiert. Das macht mich noch hibbeliger», schildert Noahs Mama, als SonntagsBlick die Dettwilers daheim in Hofstetten-Flüh SO besucht.

Bald heisst es Helm auf fürs GP-Debüt: Töfftalent Noah Dettwiler posiert in seinem Elternhaus auf einer alten Vespa.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Der junge Rennfahrer lacht und neckt seine Eltern wegen ihrer Sorgen um ihn. Bei ihm ist die Gefühlslage einfacher: «Ich freue mich einfach riesig!» Selbst Hund Fizzco flitzt bei diesen Worten aufgeregt umher.

Auch Töff-Helden wie Márquez fuhren beim Debüt hinterher

Von Noah Dettwiler sind in Spielberg keine Wunder und keine Punkte zu erwarten. Zur Einordnung die Debüt-Ergebnisse früherer Schweizer: Tom Lüthi raste 2002 bei der GP-Premiere auf Rang 26, derselbe Rang war es bei Dominique Aegerters Debüt 2006.

Randy Krummenacher landete 2006 auf der 20. Position. Bei Jesko Raffin war es 2012 der 27. Rang. Und Jason Dupasquier (†19) legte mit Platz 25 los.

Selbst die ganz Grossen der letzten Jahrzehnte debütierten mit Ausnahme von Valentino Rossi (6.) und Fabio Quartararo (7.) grossteils unscheinbar: Marc Márquez auf Rang 18, Jorge Lorenzo als 22., Casey Stoner auf der 17. Position. Der aktuelle MotoGP-Dominator Francesco Bagnaia begann seine WM-Karriere auf Rang 23 und blieb sogar sein komplettes Moto3-Debütjahr lang punktelos. (md)

Heute hat er acht WM-Titel – aber auch Marc Márquez hat mal klein angefangen.
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Von Noah Dettwiler sind in Spielberg keine Wunder und keine Punkte zu erwarten. Zur Einordnung die Debüt-Ergebnisse früherer Schweizer: Tom Lüthi raste 2002 bei der GP-Premiere auf Rang 26, derselbe Rang war es bei Dominique Aegerters Debüt 2006.

Randy Krummenacher landete 2006 auf der 20. Position. Bei Jesko Raffin war es 2012 der 27. Rang. Und Jason Dupasquier (†19) legte mit Platz 25 los.

Selbst die ganz Grossen der letzten Jahrzehnte debütierten mit Ausnahme von Valentino Rossi (6.) und Fabio Quartararo (7.) grossteils unscheinbar: Marc Márquez auf Rang 18, Jorge Lorenzo als 22., Casey Stoner auf der 17. Position. Der aktuelle MotoGP-Dominator Francesco Bagnaia begann seine WM-Karriere auf Rang 23 und blieb sogar sein komplettes Moto3-Debütjahr lang punktelos. (md)

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Das Töfftalent führt SonntagsBlick hoch in sein Zimmer. Auf und neben der Treppe stapeln sich Helme, Pokale und Erinnerungsstücke. Im früheren Kinderzimmer unter dem Dach schläft Dettwiler aber nur noch selten.

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«Mit Tom kann ich auch über ganz andere Sachen im Vertrauen reden, wir trinken auch mal eins zusammen.»
Töfftalent Noah Dettwiler über Manager Tom Lüthi
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Er ist für seinen grossen Traum von der MotoGP Ende 2019 ins Töffparadies Spanien ausgewandert. Das damals von der Familie gekaufte Haus im Umland von Valencia ist aber schon wieder verkauft, die Eltern leben wieder in der Schweiz – wegen der eigenen Baudichtungsfirma und weil das Domizil zu weit weg von den Trainingsorten lag. Noah: «Ich wohne jetzt mit zwei italienischen Rennfahrern und der Mutter einer der beiden in einem Haus am Stadtrand von Valencia. Ich koche für mich aber immer selber.»

Für seinen Traum lebt der Teenager über 1000 Kilometer von den Eltern entfernt. «Das ist das Opfer, das du bringen musst.» Zu Zeiten Tom Lüthis sei das noch anders gewesen. «Aber jetzt ist Spanien Pflicht. Täglich Töff zu fahren, ist in der Schweiz einfach nicht möglich.»

Dettwiler debütiert mit Lüthis Startnummer 12

Dass er den Vergleich zu Lüthi zieht, liegt nahe. Der ehemalige 125-ccm-Weltmeister ist nicht nur Dettwilers Manager, sondern quasi auch Familienmitglied. Lüthi ist mit Noahs Schwester Noelle liiert und nicht zuletzt deshalb mehr als ein Manager. «Mit Tom kann ich auch über ganz andere Sachen im Vertrauen reden, wir trinken auch mal eins zusammen.»

Weil in der WM seine Nummer 55 besetzt ist, fährt Dettwiler in Spielberg mit der 12, Lüthis langjähriger Nummer. Die rund 20'000 Euro für den WM-Start zahlen Sponsoren.

Wenn Dettwiler darüber nachdenkt, nun als erster Schweizer seit Lüthis Rücktritt im GP-Sport zu starten, kommt er ins Grübeln: «Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht. Alles begann mit ein bisschen Spass am Wochenende. Jetzt ist Töfffahren mein Job.» Das Handelsdiplom macht er dennoch, eine Töfflaufbahn kann abrupt enden. Die Gefahr fährt mit.

Auch Dettwiler verletzt sich immer wieder heftig. 2021 wird in Spanien ein Mittelhandbruch während Wochen nicht richtig diagnostiziert: «Die Schmerzen liessen einfach nicht nach, also habe ich mich in der Schweiz untersuchen und dann auch gleich operieren lassen.»

Mit gebrochenem Fuss heim nach Basel direkt ins Spital

Die schlechte Erfahrung mit ausländischen Ärzten führt dann 2022 zu einer Horrorfahrt von Misano heim in die Schweiz. «Der rechte Fuss war gebrochen. Also haben mich die Eltern ins Auto verfrachtet», sagt Dettwiler. Morgens um 5 Uhr kommt er beim Spital in Basel an und legt sich sogleich unters Messer.

Nur drei Wochen danach sitzt er wieder auf dem Renntöff. «Ich habe die Lederkombi den ganzen Tag nicht ausgezogen. Denn der Fuss war so dick geschwollen, dass ich kaum aus dem Stiefel kam. Aber ich wollte unbedingt so rasch wie möglich auf den Töff zurück.»

Noah Dettwiler bringt Härte gegenüber sich selbst mit. Auch auftreten kann er: Der 18-Jährige ist wortgewandt, selbstbewusst, witzig, fünfsprachig und wirkt für sein Alter sehr reif.

Doch bringt er auch das nötige Tempo mit? Er fährt im dritten Jahr in der Junior-GP-Klasse, der spanischen Talentschmiede für zukünftige GP-Piloten, stand aber noch nie auf dem Podest. Dennoch: Dettwiler ist der einzige 18-jährige Schweizer weit und breit, der das Dienstbüchlein zur Seite legen und sagen kann: «Ich darf mich in der Töff-WM zeigen.»

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