Rennsport-Legende Walter Brun
«Alle dachten, ich sei tot»

Autorennfahrer, Flipperkönig, Formel-1-Teamchef, Lebemann: Walter Brun war schon vieles. Warum er als Zwölfjähriger schon mit dem Auto zur Schule fuhr. Weshalb er mal beinahe ertrank. Und wieso er im Knast lachen konnte.
Publiziert: 26.05.2020 um 20:57 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2020 um 21:59 Uhr
Daniel Leu (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Walter Brun (77) ist nicht gerade erfreut. «Sie wollen ein Interview mit mir machen?» knurrt er vor wenigen Tagen am Telefon zu SonntagsBlick, «darauf habe ich eigentlich keine Lust mehr. Nach allem, was Ihr Journalisten über mich geschrieben habt.» Dann macht er einen Vorschlag: «Kommen Sie an Auffahrt ins Allmendhuisli. Wir feiern nach einem Brand und dem Corona-Lockdown die Wiedereröffnung. Dann reden wir miteinander. Es kann aber sein, dass ich Sie nach fünf Minuten bitte, wieder zu gehen.»

Gesagt, getan. Auffahrt im Allmendhuisli in Stans NW. Brun erscheint einige Minuten zu spät. Er mustert die Gäste kritisch. Erzählt, dass es vorgestern hier noch ein zweites Mal gebrannt habe. Sagt, dass man jetzt zuerst mal gemeinsam etwas essen werde. Danach werde er entscheiden, ob wir bleiben dürfen.

Die Lage entspannt sich. Brun ist ein guter Gastgeber und Geschichtenerzähler. Nach dem Essen sagt er: «Also gut, legen Sie los!»

Walter Brun mit Hund Hector.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Herr Brun, was soll mal auf Ihrem Grabstein stehen?
Walter Brun:
«Ich habe gelebt, geliebt und gearbeitet.» Nein falsch, so ist richtig: «Ich habe gearbeitet, gelebt und geliebt.»

«Gearbeitet» an erster Stelle. Warum?
Weil ich dies mein ganzes Leben lang getan habe. Ich arbeite noch heute sieben Tage die Woche und hatte in meinen gut 77 Lebensjahren noch nie einen Tag Ferien.

Sie wuchsen im Entlebuch als eines von fünf Kindern auf einem Bauernhof auf. Mussten Sie schon dort hart arbeiten?
Natürlich, ich war schon als Kind ein vollwertiger Arbeiter. Ich musste melken, auf dem Feld arbeiten und für meinen Vater, der auch noch Posthalter war, gelegentlich die Post verteilen. Heute würden meine Eltern wohl verhaftet (lacht).

Welche Träume hatte der kleine Walti?
Ich musste soviel arbeiten, da hatte man doch keine Zeit zum Träumen.

Sie sollen schon früh Auto gefahren sein.
Mit 8 fuhr ich Traktor und mit 12 mit dem Auto in die Schule.

Hat da niemand etwas gesagt?
Nein, das waren andere Zeiten. Ich parkierte das Auto immer direkt beim Polizeiposten.

Der Weg in den Autorennsport war damit vorgezeichnet. Wie kam es dazu?
Damals gab es auf den Strassen noch keine Tempo-Beschränkungen. Im Dorf sagte man mir immer, ich sei der schnellste Entlebucher. Eines Tages meinte die Nachbarin: «Geh auf die Rennstrecke. Wir müssen sonst immer die Kinder reinnehmen, wenn du kommst.» Diesen Ratschlag nahm ich mir zu Herzen. 1963 bestritt ich mit einem Cortina-Lotus mein erstes Rennen.

«Eine Katze hat sieben Leben und der Walti acht»

Sie fuhren während 46 Jahren Rennen. Wie viele schwere Unfälle hatten Sie?
Viele, zwei davon waren besonders spektakulär. 1983 verunglückte ich auf der legendären Nordschleife in einem Sauber-Sportwagen mit über 300 km/h.

Was war passiert?
Das Auto hob auf der Geraden einfach ab. Ich flog dann durch die Luft und schlitterte anschliessend 900 Meter auf dem Dach. Zuerst getraute sich niemand, mich aus dem Wrack zu ziehen. Alle dachten, ich sei tot. Ich habe von all dem nichts mitgekriegt, da ich bewusstlos war und erst im Spital wieder zu mir kam. Dort fragte ich die Krankenschwester als erstes, ob ich etwas zum Essen und Trinken haben könnte. Schliesslich hatte ich seit Stunden nichts mehr gegessen. Sie meinte später nur: Der ist nicht ganz normal. Ganz unrecht hatte sie wohl nicht...

Und der zweite schwere Unfall?
Der passierte auf Sizilien, als ich wegen eines technischen Defekts in den See hinausgeflogen bin. Weil es dort überall Schilf hatte, fand man mich zuerst gar nicht. Als das Wasser ungefähr 20 Zentimeter unter meinem Hals ankam, entdeckte man mich endlich und zog mich raus.

In den 70er- und 80er-Jahren kamen viele Rennfahrer ums Leben. Hatten Sie einfach Glück?
Ich weiss es nicht. Einer schrieb mal: «Eine Katze hat sieben Leben und der Walti acht.» Vielleicht stimmt das ja.

Hatten Sie je mal Angst?
Nein, es gibt zwei Sachen, die dir im Leben nichts bringen: Angst haben und nervös sein.

Als Rennfahrer starteten Sie 14-mal in Le Mans. Warum konnten Sie nie gewinnen?
Es ist eigentlich tragisch, dass ich das 24-Stundenrennen nie gewinnen konnte. Es fehlte uns einige Male nicht sehr viel. Einmal, als wir gewonnen hätten, schieden wir eine Viertelstunde vor Schluss aus. Es hat offenbar einfach nicht sein müssen. Der da oben hatte wohl etwas dagegen.

Sie waren nicht nur Rennfahrer, sondern auch Teamchef. Welches war Ihr verrücktester Fahrer?
Hans-Joachim «Strietzel» Stuck war ein Lausbub und natürlich auch Leopold Prinz von Bayern, der Ur-Ur-Urenkel von König Ludwig I.

Was für Blödsinn haben Sie damals angestellt?
Vieles davon gehört nicht in die Zeitung. Nur ein Beispiel: Mal hat mir in Salzburg ein Fahrer tote Mäuse ins Bett gelegt. Als Bauernsohn hat mir das natürlich nichts ausgemacht. Also ging ich in den Zoo und nahm vier weisse Mäuse mit, die ich ihm dann auch ins Zimmer legte. In der Nacht krochen sie dann offenbar über dessen Frau. Die fand das gar nicht lustig.

Sie sollen mal fast ertrunken sein.

Das stimmt, das war 1981. Als ich Trainingsbestzeit fuhr, warf mich mein Team in einem Hotel in den Pool. Ich wäre beinahe ertrunken, da ich als Entlebucher doch nicht schwimmen konnte. Es dauerte sehr lange, bis die das realisiert und mich wieder rausgezogen hatten.

Sie hatten als Teamchef nicht nur Erfolge, sondern 1985 in Spa auch den Tod Ihres Fahrers Stefan Bellof zu beklagen.
Stefan und ich waren wie Brüder. Ich war nicht vor Ort und erfuhr am Telefon vom schrecklichen Unfall. In diesem Moment dachte ich ans Aufhören. Doch ich hatte etwa 100 Mitarbeiter und Teams in Europa, den USA und Japan. Da trägst du auch eine Verantwortung.

Für viele war Bellof der kommende Formel-1-Weltmeister. Für Sie auch?
Ja, er war ein Über-Genie. Wäre er nicht tödlich verunglückt, wäre Michael Schumacher später nicht so oft Weltmeister geworden.

«Ich warte bis heute auf mein Geld»

1988 wagten Sie als Teamchef mit EuroBrun den Sprung in die Formel 1. Später sagten Sie, das sei Ihr grösster Fehler gewesen.
1986 gewannen wir die Sportwagen-Weltmeisterschaft. Als erstes privates Team, das keine Werksunterstützung hatte. Alle meine Sponsoren, die ich hatte, drängten danach in die Formel 1. Also sagte ich: Das machen wir. Ein Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wollte 38 Millionen US-Dollar zahlen. Ich habe den Vertrag noch heute. Dr. Ferdinand Piech versprach uns damals einen Audi-Motor. Als wir den dann doch nicht erhielten, wollten die Araber nicht bezahlen. Ich warte deshalb bis heute auf mein Geld.

Ihr Team fuhr drei Jahre in der Formel 1. Mit mässigem Erfolg.
Unser Judd-Motor hatte zu wenig Power. Doch unsere Fahrer wären nicht so schlecht gewesen.

Finanziell war es aber ein Desaster.
Als ich 50 war, hatte ich 20 Millionen Franken Schulden. Viele sagten damals, ich sei «verlumped». Doch das stimmte nicht. Ich habe nie Konkurs angemeldet und jeden Franken zurückbezahlt.

Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe alle meine Rennautos verkauft. Den Weinkeller veräussert, darunter einen wunderbaren Château Mouton-Rothschild von 1897, dem Jahrgang meines Vaters. Und Häuser abgestossen. So konnte ich die Schulden abbauen. Einen Konkurs hätte Walter Brun nicht zugelassen.

«Ungerechtigkeiten ertrage ich nicht. Dann werde ich sauer»

Um Ihre Person ranken sich wilde Gerüchte. Kamen Sie nie mit dem Gesetz in Konflikt?
Doch, das kam schon mal vor, aber ich war nie kriminell. Ich habe nie einen Franken gestohlen oder eine Frau geschlagen. Nie! Ich bin ein sehr korrekter Mensch. Doch Ungerechtigkeiten ertrage ich nicht. Dann werde ich sauer. Dann gibts schon mal einen «Schutt» in den Hintern.

Stimmt die Geschichte, dass Sie als Jugendlicher den Dorf-Polizisten in den Brunnen geworfen haben?

Ja, er hatte uns die Velos weggenommen. Also haben wir ihn in Escholzmatt in dem wunderbaren Dorfbrunnen geduscht. Aber so etwas war früher im Entlebuch doch kein Verbrechen (lacht).

1984 dürfte Ihnen das Lachen vergangen sein. Damals wurden Sie zehn Tage in Untersuchungshaft gesteckt. Der Vorwurf: Kuppelei und Zuhälterei.
Ich wurde damals in Luzern auf offener Strasse verhaftet. Das Schlimmste daran: Ich wusste nicht warum. Das war menschenunwürdig. Erst nach drei Tagen wurde ich ein erstes Mal verhört, nach vier Tagen durfte ich das erste Mal duschen. Ich sass dann in Zürich mit einem Türken in der Zelle. Er hatte Bananen geklaut, um seine Familie zu ernähren. Er rannte immer mit dem Kopf in die Wand. Ich passte dann auf ihn auf, damit er keine Scheisse macht.

Konnten Sie diesen Tagen im Gefängnis auch etwas Gutes abgewinnen?
Wir durften immer nur zu zweit mit einem anderen Insassen Spazieren gehen. Zudem waren wir durch Handschellen miteinander verbunden. Er fragte mich, warum ich hier sei. Ich sagte wegen Frauengeschichten. Als ich ihn das Gleiche fragte, kam raus, dass er diejenigen Automaten in Luzern knackte, die mir gehörten. Das war lustig und traurig zugleich.

Sie hatten den Übernamen Flipperkönig und besassen bis zu 2500 Automaten.
Ich fing mit Musikboxen an. Da ich der einzige Junge war, der das machte, hatte ich immer die neueste Musik im Angebot. Das war ein gutes Geschäft. 10 Prozent der Einnahmen gingen an den Wirt, die restlichen 90 an mich. Damit konnte man damals Gutes Geld verdienen. Später kamen Glücksspielautomaten hinzu.

Nach zehn Tagen kamen Sie aus der U-Haft raus und zwei Jahre später wurden Sie freigesprochen. Doch 1990 wurden Sie mit Falschgeld erwischt.
Auch da war ich unschuldig und wurde nicht verurteilt. Später zog ich wegen des neuen Spielautomatengesetzes dreimal bis vor Bundesgericht und ich bekam in allen drei Fällen Recht. Sie sehen: Ich habe mir nichts zu Schulde kommen lassen, aber ja, vielleicht war ich das eine oder andere Mal ein bisschen zu blauäugig.

Auch privat haben Sie für Schlagzeilen gesorgt. Wie viele Kinder haben Sie?
Fünf.

Von wie vielen Frauen?
Ich glaube drei (lacht). Ich war aber nur einmal verheiratet.

«Der alte Hund ist zahmer geworden»

Sie hatten in den 80er-Jahren zwei Frauen gleichzeitig. Die eine lebte in Ihrer Villa in Kastanienbaum, die andere in Ihrer Wohnung in Stans. Wie ging das?
Die beiden wussten voneinander. Das war kein Problem, weil es für uns normal war. Ich kann mich noch an eine Einladung für zwei von Dr. Ferdinand Porsche an eine Feier in Zell am See erinnern. Ich schrieb ihm, dass wir zu dritt oder gar nicht kämen. Er sagte, dies sei kein Problem und so tauchte ich mit beiden Frauen dort auf.

Haben Sie heute noch immer zwei Freundinnen?
Nein, der alte Hund ist zahmer geworden. Die meiste Zeit verbringe ich mit meinem Schäferhund Hector.

Sie sind jetzt 77 Jahre alt. Denkt man da ans Kürzertreten?
Noch nicht. Mir geht es gut. Ich war mein ganzes Leben lang noch nie krank und nahm noch nie eine Tablette. Müsste ich nicht arbeiten, würde ich durchdrehen und vielleicht krank werden. Selbst Corona kann mir nichts anhaben. Ich bin überzeugt, dass ich das schon im Januar hatte, als ich in Norditalien Wein fürs Restaurant einkaufte.

Sie gelten als Optimist. Haben Sie während des Corona-Lockdowns als Wirt nie die Krise geschoben?
Nein, man muss in jeder Niederlage den Vorteil finden. Als es hier zweimal gebrannt hat, habe ich keine Sekunde gehadert und gleich versucht, das Bestmögliche daraus zu machen.

Haben Sie noch Träume?
Nein! Ich bin zufrieden und geniesse das Leben.

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