Seitenwagen-Legende Biland über sein bewegtes Leben
«Kehrten mit der Urne meines Freundes zurück in die Schweiz»

Wir waren Helden! Rolf Biland über verbrannte Füsse und legendäre Nächte. Über Diesel-Diebstähle und den Bruch mit seinem Vater.
Publiziert: 13.10.2020 um 10:23 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2021 um 15:21 Uhr
Daniel Leu (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

BLICK: Herr Biland, ich möchte das Gespräch mit einem Zitat beginnen: «Rolf ist ein schwieriger Mensch.» Wer hat dies einst über Sie gesagt?
Rolf Biland: Ich hege einen Verdacht.

Es war Ihr langjähriger Beifahrer Kurt Waltisperg. Hat er recht?
Jein. Ich bin eigentlich ein umgänglicher Typ, doch im Sport wollte ich immer noch mehr. Manchmal auch zu viel. Das wäre in seinen Augen nicht immer nötig gewesen.

Mit Waltisperg holten Sie sechs Ihrer sieben WM-Titel. Trotzdem haben Sie mal gesagt: «Privat sehen wir uns nie. Uns verbindet nichts, gar nichts.»
Das sind harte Worte, aber ich behaupte rückblickend, dass dies der Schlüssel zu unserem Erfolg war. Weil wir uns im Winter jeweils nie gesehen haben, gingen wir uns auch nicht auf den Sack.

Seitenwagen-Legende Rolf Biland (69). Er hat sieben WM-Titel und 81 GP's gewonnen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Was zeichnet einen guten «Plampi», einen Beifahrer, aus?
Ein Thema ist natürlich das Gewicht. Er sollte nicht zu schwer sein. Kurts Frau sagte mal Anfang des Jahres zu mir: «Jetzt beginnt wieder die nervige Zeit, in der er abnehmen muss.» Als einst leichte Karbonbremsen aufkamen, wollte ich die kaufen, um Gewicht zu sparen. Da fragte mich Kurt, wie viel die kosten würden. Ich sagte ihm: «bis zu 10 000 Franken.» Da antwortete er: «Gib mir doch das Geld, ich nehme im Gegenzug dafür drei Kilo ab.» (lacht)

Ein «Plampi» muss aber noch mehr draufhaben, als nur leicht zu sein, oder?
Der beste Beifahrer ist der, den du nicht spürst. Wenn er nicht mitmacht, fliegst du ab. Ein guter Beifahrer ist deshalb die beste Lebensversicherung. Da hatte ich mit Kurt viel Glück.

Trotzdem hatten Sie einige spektakuläre Unfälle. So zum Beispiel in Donington 1995.
Das war «en uhuere» Abflug. Die Karbonbremsen hatten überhitzt, und nichts ging mehr.

Was denkt man in einem solchen Moment?
«Gring ache» und hoffen, dass man nirgends einschlägt. Es war ein richtig heftiger Überschlag. Der Töff war zwar danach eine Banane, aber uns beiden hat es nichts gemacht.

Während Ihrer Karriere kamen einige Konkurrenten ums Leben. Wie gingen Sie damit um?
Ich konnte die Gefahren immer ausblenden und hatte nie Angst. 1978 auf der Isle of Man starben bei einem Rennen, an dem auch wir teilnahmen, gleich drei Seitenwagenfahrer, darunter der Schweizer Ernst Trachsel. Wir kehrten dann mit seiner Urne zurück in die Schweiz. Das war schon heftig.

Wie war das für Ihre Mutter?
Sie war während meiner ganzen Karriere nie an einem Rennen und hat sich diese auch nie am TV live angeschaut.

Ihre speziellste Verletzung war wohl die in Zolder 1980.
Wir fuhren dort mit neuen Stiefeln. Während des Rennens schlief mir der Bremsfuss ein, was natürlich eine Katastrophe ist. Also fuhr ich an die Boxen, zog die Stiefel aus und fuhr ohne weiter. Da die Auspuffrohre den Füssen ziemlich nahe kommen, habe ich mir die «Scheichen» verbrannt. Das tat schon weh, aber das Wichtigste: Wir wurden noch Dritte.

Ich habe im Vorfeld dieses Gesprächs mit Kurt Waltisperg geredet. Er meinte, ich müsste Sie unbedingt auf Mugello 1981 ansprechen. Das sei «Biland live» gewesen.
Da hat mich der Hafer gestochen. Wir waren im Training nah dran an den Zeiten der 500er-Fahrer. Diese zu unterbieten, war mein grosses Ziel, auch wenn das natürlich für die Seitenwagen-Klasse unerheblich war. Zudem trainierten wir Monate davor schon in Mugello und waren da ebenfalls schneller. Ich habe es dann übertrieben, wir sind abgeflogen, und ich habe mir das Schlüsselbein gebrochen.

Dieser Überehrgeiz hat Sie dann den WM-Titel gekostet.
Wir haben einige Titel unglücklich verloren. Auch 1988 in Brünn. Es war das letzte Rennen der Saison, und ein 14. Platz hätte uns zum Titel gereicht. Das gelang mir normalerweise mit einer Hand im Hosensack. Nach dem Training sagte ich dem Mechaniker, er solle noch das Getriebe kontrollieren. Er meinte, dies sei nicht nötig. Prompt schieden wir im Rennen wegen eines Getriebeschadens aus, und weg war der Titel.

Was bekam der Mechaniker von Ihnen zu hören?
Nichts, das war mein Manko an Führungsqualität. Auf der Piste konnte ich mich immer durchsetzen, abseits davon war es schwierig. Ich hätte ihm damals einfach sagen müssen: «Du bist bezahlt dafür, du kontrollierst jetzt das Getriebe.» Doch das konnte ich nicht.

Viele Experten sagen, Sie hätten auch als Autorennfahrer eine grosse Karriere hingelegt. Warum wurden Sie ausgerechnet Seitenwagenpilot?
Hier konnte ich auf der technischen Seite meine eigenen Ideen umsetzen. Ich fand es immer geil, die Chassis selber zu bauen. Als Solo-Pilot hast du dir einfach einen Töff bestellt, vielleicht noch den Fussraster gewechselt, und das wars. Zudem hat es mich immer gereizt, ein asymmetrisches Fahrzeug zu fahren, da dies viel schwieriger ist.

Gab es Spionage?
Ich würde dem nicht so sagen. Es gab aber schon Leute, die nachts in eine Ausstellung reinschlichen, die Verschalung abgenommen haben und die dann meinen Seitenwagen ausgemessen haben.

Ich habe mich auch mit Ihrem grössten Konkurrenten Steve Webster unterhalten. Er meinte, er hätte einige legendäre Nächte mit Ihnen erlebt.
Webbo ist ein Sack (lacht). Das war halt eine typische Männerszene. Wir waren alle ledig, und manche Mütter hatten eine schöne Tochter dabei. Daraus entstand schon das eine oder andere Fest.

Erzählen Sie!
Ich kann mich an einen 1. August erinnern. Da waren wir in Silverstone. Wir haben angefangen, Feuerwerk abzulassen und dabei hat auch mal ein Strohballen gebrannt. Auf einmal kam die Feuerwehr angerauscht. Die dachten, jetzt werde gleich das ganze Fahrerlager abgefackelt. Unser Teamchef musste dann zur Rennleitung, um das wieder gerade zu biegen.

Spielten Sie sich auch gegenseitig Streiche?
Der Vater von Webbo war ein Meister darin. Der legte uns um 2 Uhr nachts schon mal Knallfrösche unter den Bus, so dass wir uns oben vor Schreck den Kopf an der Decke anschlugen. Oder in Brasilien kamen wir mal auf die Idee, mit einem umgekehrten Gartentisch im Pool zu wakeboarden.

Sie haben sieben WM-Titel und 81 GP gewonnen. Wurden Sie reich?
Leider nein, ich habe bestimmt zwei Einfamilienhäuser «s’Kämi ueglah». Ich hatte immer nur ein Ziel: schneller werden. Deshalb habe ich all das Geld immer wieder reingesteckt und ging dabei immer «all in». Vor allem zu Beginn hatten wir kaum Geld.

Wie war das?
1975 in Le Castellet konnten wir uns nicht fürs Rennen qualifizieren, also gab es auch kein Startgeld. Wir fuhren dann Samstagabend zurück Richtung Heimat. Vor der letzten Zahlstelle vor Genf hatten wir keine Kohle mehr im Sack. Ich sagte dann nur: «Wir müssen schauen, wo ein Lastwagen kommt und die Barriere hochgeht. Dann rasen wir dem hinterher, bevor die Barriere wieder schliesst.»

Hat das funktioniert?
Ja, es hat dann zwar geblinkt und gelärmt «wie ne Mohre», mehr aber nicht. Manchmal hat aber auch schlicht das Geld für den Sprit nicht mehr gereicht.

Was dann?
Wie soll ich das jetzt sagen? Sagen wir es so: Es soll Fahrer gegeben haben, die haben damals mit einer Benzinpumpe auf dem Rennplatz von den anderen Teams vom Lkw Diesel abgezapft.

Wenn wir schon beim Beichten sind: Waltisperg meinte, ich müsste mit Ihnen unbedingt auch noch über eine Brücke in England reden.
(Lacht) Wir waren unterwegs an ein Rennen in Schweden. Als wir mit unserem Truck in England an eine Brücke kamen, war ich mir nicht sicher, ob wir durchpassen würden. Ich fragte Kurt, ob er die Angabe schnell von Fuss in Metern umrechnen könne. Doch er hat ein bisschen langsam gerechnet, deshalb versuchte ich es einfach mal. Es war halt wie in einer Rennsituation. Da konnte ich auch nicht zuerst einmal rechnen und warten.

Und hats geklappt?
Nein, wir haben voll angehängt. Es gab einen bösen Schaden und hatten hinterher quasi ein Cabrio. Als wir in Schweden ankamen, hatte sich das in der Szene bereits rumgesprochen. Deshalb stellten uns die Veranstalter ein grosses Militärzelt auf, in der wir dann schlafen konnten.

Ich möchte noch auf eine unangenehme Sache eingehen: 1985 wurden Sie und Ihr Vater wegen Versicherungsbetrug angeklagt.
Das war eine harte Zeit, auch wenn es ja nicht mein Fehler war.

Ihr Vater wurde schliesslich verurteilt, Sie aber freigesprochen. Wie war danach Ihr Verhältnis zu ihm?
Ich brach mit ihm. Als Sportler stehst du permanent in der Öffentlichkeit. Solche Schlagzeilen gehen schneller rum als ein WM-Titel. Deshalb hat mich das einige Sponsorengelder gekostet.

Haben Sie sich später mit Ihrem Vater versöhnt?
Nein, ich habe ihn nie mehr gesehen und war dann auch nicht an seiner Beerdigung. Wer mich einmal verarscht, der ist für mich gestorben. Das war auch im Sport immer so.

Letztes Thema. 1988 sagten Sie: «Alt sein ist für mich eine grässliche Vorstellung.» Mittlerweile sind Sie 69. Wie fühlt es sich an?
Als ich 50 wurde, hatte ich grosse Probleme damit. Da wurde mir bewusst: Es gibt kein Zurück mehr. Heute weiss ich: Es tut nicht weh, pensioniert zu sein. Letztes Jahr hatte ich einen schweren Unfall und brach mir das Becken. Seitdem nehme ich mir vor, einen Gang runterzuschalten.

Trotzdem nehmen Sie mit Kurt Waltisperg noch immer gelegentlich an Rennveranstaltungen teil. Er sagte mir, Sie seien dabei noch immer ehrgeizig.
Das stimmt, wir müssen uns noch immer nicht verstecken. Die Kondition ist zwar nicht mehr die beste, aber ich will doch nicht wie ein «Grossätti» rumkurven. Dort hat es Leute, die Eintritt bezahlt haben. Denen will ich was bieten.

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