Zwei Expertinnen hinter dem Olympia-Mikrofon
«Wir müssen besser sein als die Männer»

Sie sind die einzigen weiblichen Ski-Kommentatorinnen im deutschsprachigen Raum: Alexandra Meissnitzer und Tina Weirather. Im Gespräch plaudern die Olympia-Expertinnen aus dem Nähkästchen.
Publiziert: 12.02.2022 um 20:01 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2022 um 20:03 Uhr
Mathias Germann aus Yanqing

Alexandra Meissnitzer und Tina Weirather, fühlen Sie sich manchmal wie Biathletinnen?
Alexandra Meissnitzer: Inwiefern?

Sie rasen bei Ihren Kamerafahrten mit 100 km/h über die Piste und müssen wenige Minuten später bereits kommentieren.
Meissnitzer: Stimmt. Aber der grösste Unterschied ist, dass ich keinen Druck mehr habe. Natürlich, ich versuche, so gute Bilder wie möglich zu machen, und renne dann rauf in die Kabine und analysiere die Rennen. Aber im Vergleich zu meiner Zeit als Athletin ist alles befreiter.

Tina Weirather: Das kann ich bestätigen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob du um Hundertstel kämpfst oder ob es egal ist, wie schnell du bist. Ich will schon die Linie treffen und wenn möglich auf Zug fahren, aber mit Kamera und Mikrofon in den Händen komme ich nicht mehr so gut über den Ski wie früher. (schmunzelt)

Alexandra Meissnitzer (l.) und Tina Weirather sind von den Ski-Übertragungen nicht mehr wegzudenken.
Foto: Christof Birbaumer Kronenzeitung
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Meissnitzer: Was ich immer wieder merke: Die Leute mögen es, dass ich da runterfahre. Die Akzeptanz ist dadurch eine ganz andere. Und für uns ist die Fahrt wichtig, denn so spüren wir, wo die Schlüsselstellen sind. Da kann man anders darüber reden.

Kennen Sie die Laufzeiten, die Sie fahren?
Weirather: Nein. Und ich will sie auch nicht wissen! (schmunzelt)

Meissnitzer: Ich bin sicher nicht mehr so schnell wie Tina. Sie ist ja erst 2020 zurückgetreten und ist noch im Rennmodus, das verändert sich dann mit der Zeit.

Was ist das Schwierigste während der Fahrt?
Weirather: Das Sprechen. Ich überlege mir immer vor der Fahrt, was ich an welcher Stelle ungefähr sagen möchte. Das klappt nicht immer, ich improvisiere auch. Aber mit einem Plan kommt Gescheiteres raus. Ohne diesen Plan wäre wohl alles nur: «Äh, öh, äh …»

Alexandra, hatten Sie schon während Tinas Karriere gedacht, dass Tina Ski-Kommentatorin werden könnte?
Meissnitzer: Sicher. Ich habe viele ihrer Rennen kommentiert und auch Interviews mit ihr gemacht. Sie ist sympathisch und rhetorisch super. Sie bringt alles mit, was man sich wünscht. Das war für mich also gar keine Überraschung.

Weirather: Danke für die Blumen!

Sie exponieren sich, alle haben eine Meinung zu Ihnen. Wie wichtig sind positive Feedbacks?
Weirather: Als Athletin ist man sich Feedbacks gewohnt, in jedem Training und in jedem Rennen – immer in Form von Zeiten und Platzierungen. Alles schwarz auf weiss. Beim TV ist es komplizierter. Wenn man fünf Leute fragt, bekommt man fünf verschiedene Meinungen zu hören. Es ist nicht mehr schwarz und weiss, sondern grau. Beim Skifahren fand ich alles einfacher.

Meissnitzer: Es ist halt sehr subjektiv, ob es jemandem gefällt oder nicht, was wir sagen. Ich bekomme viele schöne Nachrichten, einige meinen aber auch, ich solle doch lieber etwas anderes machen …

Wie gehen Sie damit um?
Meissnitzer: Zu Beginn habe ich das persönlich genommen. Aber bei 60 Prozent Marktanteil bei einem Skirennen muss ich damit leben können.

Haben Sie Angst vor einem Shitstorm?
Meissnitzer: Ich würde es nicht mögen, das nicht aushalten. Ich mache mir da schon viele Gedanken. Zum Glück erhalte ich viel Zuspruch.

Tina, Sie haben vor einigen Wochen bei einem Interview mit der Norwegerin Ragnhild Mowinckel vor Freude geweint.
Weirather: Auch bei Michelle Gisins dritten Platz im Riesenslalom von Courchevel hat es mich genommen. Als Expertin bin ich für die technische Analyse der Fahrten zuständig. Aber ich gehe emotional halt auch mit.

Meissnitzer: Ich bin seltsamerweise als Kommentatorin viel emotionaler als früher, wo ich noch selbst Rennen fuhr. Bei meinen Siegen und Medaillen habe ich nie geweint, jetzt nimmt es mich öfter mit.

Nicole Schmidhofer stürzte letzte Saison in Val d’Isère so schwer, dass man das Schlimmste befürchten musste. Wie war das für Sie?
Meissnitzer: Als sie hinter den Fangnetzen verschwand, war das der schlimmste Moment meiner beruflichen Karriere. Ich sagte kein Wort mehr, brachte nichts mehr raus.

Haben Frauen bei den Zuschauern wegen ihren höheren Stimmen einen Nachteil?
Weirather: Wenn wir schreien, wirkt das schnell einmal hysterisch. Wir haben eine andere Stimmfarbe als die Männer. Da muss man sich ein wenig zusammenreissen. Ich war am Anfang sehr schüchtern, mittlerweile zeige ich mehr Emotionen mit der Stimme. Wenn ich zu Hause schaue, gehe ich übrigens viel mehr ab als in der TV-Kabine! (lacht)

Alexandra, Sie haben 2008 angefangen und waren die erste Kommentatorin im Skirennsport.
Meissnitzer: Man hatte es schon vorher mit anderen Frauen versucht. Aber es stimmt schon, ich war die Erste, die bleiben durfte. Genau die Dinge, die Tina angesprochen hat, machten mich zu Beginn skeptisch. Wie ist meine Sprachfarbe? Wie verhindere ich es, dass ich nerve?

Weirather: Ich habe Meisi immer sehr gerne zugehört. Sie sagte genau das, was in einer Athletin vorgeht, und erklärte, warum eine Passage so schwierig war. Ich hatte als Kind ein Poster von ihr an der Wand, sie war sowohl im Sport als auch danach als Kommentatorin ein Vorbild.

Männer kommentieren Männer- und Frauenrennen, Frauen aber nur Frauenrennen. Warum eigentlich?
Weirather: Nina Löseth, die bis vor kurzem noch aktiv war, kommentiert fürs norwegische Fernsehen auch Männer-Rennen. Das finde ich sehr cool. Ich will nicht sagen, dass so etwas bei uns undenkbar wäre, aber bislang war es noch nie ein Thema.

Meissnitzer: Ich habe zuletzt das Parallel-Rennen in Lech kommentiert, wo auch Männer fuhren. Dies, weil mein Kollege Thomas Sykora positiv getestet worden war. Es war für mich schon etwas Besonderes, denn das hat es noch nie gegeben.

Traut man den Frauen nicht zu, eine Abfahrt in Wengen zu analysieren?
Meissnitzer: Ich denke schon, dass wir es könnten. Der Schwung ist bei beiden Geschlechtern ähnlich, die Männer sind einfach mit mehr Kraft unterwegs. Die Frage ist halt, wie es bei den Zuschauern ankommen würde. Anderseits ist es sehr authentisch, wenn jemand das Lauberhornrennen kommentiert, der es schon einmal gewonnen hat …

Aber?
Meissnitzer: Skandinavien ist da vielleicht offener als wir in Österreich oder der Schweiz.

Weirather: Da hinken wir tatsächlich ein bisschen hinterher, aber ich möchte momentan sowieso Frauenrennen kommentieren, wo ich jede Athletin persönlich kenne.

Bei der EM 2016 kommentierte mit Claudia Neumann erstmals eine Frau ein Fussballspiel der Männer. Sie wurde in den sozialen Medien hart angegriffen und erhielt viele sexistische Beleidigungen.
Weirather: Wenn ich einer Frau zuhöre, die Fussball kommentiert, bin ich irritiert. Dann ärgere ich mich über mich selbst. Es wird wohl noch einige Jahre gehen, bis wir dieses Bild in den Köpfen verändert haben. Wir müssen besser sein als die Männer, um akzeptiert zu werden. Aber wie soll man dies schaffen, wenn alles neu ist?

Meissnitzer: Genau.

Alexandra, Sie sind 48 Jahre alt. Wie lange machen Sie noch weiter?
Meissnitzer: Als ich anfing, hätte ich nie gedacht, überhaupt so lange zu kommentieren. Aber es vergeht Saison um Saison, und mir gefällt es noch immer.

Tina, Sie sind 32 – können Sie sich vorstellen, mit 48 auch noch dabei zu sein?
Weirather: Wir werden sehen! (lacht) Ich bin jetzt im zweiten Jahr, es macht mir extrem Spass. Und ich werde immer besser, bin weniger nervös und fühle mich auch richtig wohl.

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