Der grosse SRF-Olympia-Check
Wer der beste Experte ist und warum Studer Luft nach oben hat

Was macht SRF während Olympia gut? Was schlecht? Wir haben am Mittwoch 15 Stunden lang nonstop genau hingeschaut und hingehört.
Publiziert: 01.08.2024 um 10:43 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2024 um 12:37 Uhr
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Daniel LeuStv. Sportchef

Vier Jahre lang habe ich auf diesen Tag X hingearbeitet. Alles diesem einen grossen Ziel namens Olympia untergeordnet. Stopp, alles Quatsch. Heute ist zwar mein grosser Olympia-Tag, aber nicht als Teilnehmer, sondern als Beobachter. Über 15 Stunden lang werde ich an diesem Mittwoch nonstop die Spiele auf SRF2 verfolgen und schauen, was SRF gut macht und was weniger. Los gehts.

Der Morgen

7.50 Uhr: Moderator Lukas Studer begrüsst uns. «Paris erwacht. Welche Geschichten werden heute geschrieben? Das wird ein sehr, sehr attraktiver Mittwoch.» Mein Problem: Meine unmittelbare Vorbereitung auf den Marathontag war suboptimal, denn am Dienstagabend schlich sich ein Migräneanfall an. Was 15 Stunden Lukas Studer und Co. mit mir und meinem Kopf wohl machen werden?

Moderator Lukas Studer begrüsst am Morgen die Zuschauenden.
Foto: Screenshot SRF

9.03 Uhr: Der Triathlon der Frauen in und um die Seine plätschert vor sich hin. Doch dann weckt Kommentator Christoph Sterchi mein Interesse. «Noch ein Fun Fact: In Tokio hatten die Schweizerinnen Ryf und Spirig die Nummern 6 und 7 und …» Experte Christoph Mauch interveniert: «Das war in London.» Sterchi: «Stimmt, und hier haben die Schweizerinnen die gleichen Nummern, die 7 und die 8. Ist das ein gutes Omen?» Ich weiss nicht, aber dieser Fun Fact war weder lustig, noch ein Fakt.

Annette Fetscherin berichtet für SRF aus Paris.
Foto: Screenshot SRF

9.25 Uhr: Sterchi zum Zweiten: «Um es französisch zu sagen: Cassandre Beaugrand wird All-in gehen.»

9.55 Uhr: Die Schweizerin Julie Derron gewinnt Silber. Um es auf Englisch zu sagen: magnifique!

10.08 Uhr: Beachvolleyball. Die Schweizerinnen Hüberli/Brunner gegen die Deutschen Lippmann/Ludwig mit Kommentator Sascha Ruefer. Obwohl es sich «nur» um ein Gruppenspiel handelt, gibt Ruefer alles. Leidenschaft pur, die bei mir Leiden schafft – die Migräne lässt grüssen.

10.26 Uhr: Die Schweizerinnen haben alles im Griff, bis auf die Pause. Während der werden sie beinahe vom Dach erschlagen, das von den – Vorsicht, französischer Fachbegriff – Volunteers aufgeklappt wird.

In der Pause werden die Schweizer Beachvolleyballerinnen beinahe vom Dach erschlagen.
Foto: Screenshot SRF

11.22 Uhr: Wir sind seit einer Stunde mal beim Rudern, mal im Schwimmbecken. Das erste Mal kommt Langeweile auf. Die lackierten Fingernägel der Schweizerin Lisa Mamié werden eingeblendet. Ich schaue auf meine Nägel und komme zum Ergebnis: Die müssen dringend geschnitten werden. Zeit dafür ist ja jetzt da. Während Mamié im Interview mit den Tränen kämpft und gleichzeitig versucht, zu verstehen, was die RSI-Reporterin eigentlich von ihr wissen möchte, kämpfe ich mit den Tücken meines ins Alter gekommenen Nagelknipsers.

SRF zeigt die lackierten Fingernägel von Schwimmerin Lisa Mamié.
Foto: Screenshot SRF

Der Mittag

12.04 Uhr: Triathlon Männer. Die Schweizer sind chancenlos. Ich beginne deshalb nebenbei, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Ufer auf Französisch mit vier Buchstaben? Das wüsste Christoph Sterchi bestimmt. Ich auch: Rive.

12.05 Uhr: Das mit dem Kreuzworträtsel war keine gute Idee, denn offenbar stellt mein Fernseher nach vier Stunden automatisch ab. Um das zu verhindern, hat man bloss 60 Sekunden Zeit zu intervenieren. Was ich verpasse wegen Ufer auf Französisch mit vier Buchstaben.

12.44 Uhr: Nach fünf Stunden Dauer-TV die erste Krise des Tages. Kurz vor meinem Wegnicken schreien die angenehm leidenschaftlichen Beat Sprecher (Kommentator) und Olivier Gremaud (Experte) im Rudern den Schweizer Frauen-Doppelvierer an. Der volle Körpereinsatz führt zwar hauchdünn nicht zu einer Schweizer Medaille, aber immerhin bin ich wieder hellwach.

12.48 Uhr: Wobei das mit dem hellwach schnell wieder vorbei sein könnte, Schaltung ins Studio zu Lukas, pardon gähn, Studer. Seine Zusammenfassung des unglaublichen Ruder-Wettkampfs: «Freud und Leid liegen manchmal nur einen Meter auseinander.» Danke für diese Erkenntnis.

12.58 Uhr: Siegerehrung mit Silber-Frau Julie Derron. Weil mittlerweile die Sonne auf den Fernseher scheint, stelle ich fest, wie staubig dieser ist. Während Derron mit den Tränen kämpft, heisst das für mich: abstauben.

Siegerehrung mit Triathletin Julie Derron: Perfekte Gelegenheit, den Fernseher abzustauben.
Foto: Screenshot SRF

Der Nachmittag

14.00 Uhr: Seit rund einer Stunde läuft BMX Freestyle Frauen. Fazit 1: Tailwhip, Backflip barspin, One hand cannonball, Tabletop. Fazit 2: Die combination between Kommentator Adrian Arnet und Experte Chris Räber, Spitzname Swiss Chris und offenbar Liebhaber der englischen Sprache, ist amazing.

14.07 Uhr: Die Rubrik «Madame à paname» kommt. Reporterin Claudia Moor macht sich auf dem Friedhof «Père Lachaise» auf die Suche nach dem Grab von Edith Piaf. Grabnummer 71. Fun Fact am Rande: Das ist die gleiche Nummer, die Nicola Spirig 2012 in Tokio hatte, oder so ähnlich.

Claudia Moor auf der Suche nach dem Grab von Edith Piaf.
Foto: Screenshot SRF

14.30 Uhr: 16 Minuten Tennis müssen reichen. Angelique Kerber führt gegen die Chinesin Zheng 3:2, als die Übertragung abrupt abgebrochen wird. Jetzt geht es weiter mit BMX Freestyle Männer. Ich sage es ungern, aber ich freue mich darauf. Let’s go. Yeaaah! Swiss Chris! Start mit einem Backflip triple barspin tuck no hander. Was immer das auch sein mag, aber Chris Räber ist vollends begeistert und wenn er es ist, dann bin ich es auch. Für mich das bisherige Highlight des Tages. Und was ich jetzt schon sagen kann: «I will miss Swiss Chris!»

15.28 Uhr: Wir sind mal wieder im SRF-Studio. Doch dort erscheint nicht mehr Lukas Studer, sondern Annette Fetscherin. Kein Wort über den Wechsel. Während ich weiter hart arbeiten muss, hat Studer offenbar nach knapp acht Stunden Arbeit Feierabend. Sein Arbeitszeugnis wohlwollend formuliert: solid, korrekt, sympathisch. Sein Arbeitszeugnis nicht wohlwollend formuliert: bieder, langweilig, einschläfernd. Auf seiner eigenen Homepage verspricht Studer übrigens: «Die Arbeit vor der Kamera ist mehr als ein Beruf, es ist meine Leidenschaft. Menschen und ihre Emotionen – das ist es, was ich an meinem Job liebe. Dabei führe ich nicht nur Gespräche: Ich vermittle, fordere heraus, ordne ein, strukturiere, drücke auf die Tränendrüse oder streue den einen oder anderen Gag ein.» Hat da einer ein bisschen geflunkert, oder war heute einfach nicht sein Tag?

16.05 Uhr: Weitere vier Stunden sind vorbei, doch diesmal schnelle ich rechtzeitig vom Sofa hoch und verhindere geistesgegenwärtig das automatische Abstellen meines Fernsehers. Vorsicht Selbstlob, aber das muss an dieser Stelle sein: Diese Aktion meinerseits war ganz stark. Ach ja, auf SRF2 läuft zurzeit Kanu Canadier der Frauen. Auch spektakulär, im unmittelbaren Vergleich zu BMX können aber weder Kommentator Silvan Schweizer noch Experte Mike Kurt auch nur ansatzweise mithalten.

Nach vier Stunden schaltet der Fernseher automatisch ab.
Foto: Screenshot SRF

Der Vorabend

16.55 Uhr: Mal wieder Zeit für Lückenbüsser, aber diesmal nicht für die Tennisspielerinnen Kerber und Zheng (was wurde eigentlich aus diesem Spiel?), sondern für die Handballer aus Slowenien und Schweden. Auf den ersten Blick ein Fehlentscheid, doch als dann innert kürzester Zeit gleich zwei Spieler durch die Schweizer Schiris spektakulär mit Rot vom Platz fliegen, bin ich mit dem SRF-Entscheid zufrieden.

17.08 Uhr: Gut gelöst, SRF! Jetzt läuft doch noch zum Tennis. Ein Drama. Tiebreak im Entscheidungssatz. Erst wehrt Kerber drei Matchbälle ab, dann verliert sie doch noch, und so endet um 17.19 Uhr ihre Karriere für immer.

17.34 Uhr: Kunstturnen Mehrkampffinal der Männer. Ich freue mich, weil ich Fan von Experte Roman Schweizer bin. Als ich ihn im Interview mit Paddy Kälin erstmals bewusst optisch wahrnehme und nicht nur höre, bin ich erstaunt ab seiner geringen Körpergrösse. Doch für mich ist er der grösste SRF-Experte dieser Spiele. Und Kommentator Stefan Hofmänner ein sicherer und kompetenter Wert. Ich könnte den beiden stundenlang zuhören. Und das Beste daran: Das kann ich gemäss Teletext nun bis 20 Uhr auch.

Paddy Kälin im Interview mit Kunstturn-Experte Roman Schweizer.

Der Abend

20.05 Uhr: Kurz vor der Entscheidung des dramatischen Kunstturn-Mehrkampfs meldet sich mein Fernseher heute zum dritten Mal mit dem Wunsch, sich selbst abzustellen und mich so zu erlösen. Aber nix da. Während ein Japaner am Reck brilliert, recke ich mich pfeilschnell in Richtung Fernbedienung und verhindere die Mattscheibe. Weiter gehts.

20.14 Uhr: Nach Stunden taucht mal wieder Moderatorin Annette Fetscherin auf. Und damit auch die Frage, welches Zeugnis ihr auszustellen ist. Darauf eine Antwort zu finden, ist nicht ganz einfach. Ich bin zwar kein allzu grosser Fan von ihr, aber objektiv betrachtet, macht sie einen guten Job. Auch im Gespräch mit unserer Frau des Tages Julie Derron. Ein sympathisches Interview.

20.40 Uhr: Schwimmen, Final 200 Meter Schmetterling mit Noè Ponti. Das Schreien und Anfeuern von Kommentator Jeroen Heijers und Experte Tobias Gross hilft leider nichts: Ponti verpasst als Fünfter knapp eine Medaille.

21.31 Uhr: Vor 11 Stunden und 23 Minuten machte mir Beachvolley-Kommentator Sascha Ruefer zu schaffen, weil sein Geschrei und meine Migräne sich in die Quere kamen. Jetzt bin ich froh darüber, dass Ruefer mitleidet, als ginge es im Gruppenspiel zwischen den Schweizerinnen Böbner/Vergé-Depré und den Kanadierinnen Humana-Paredes/Wilkerson bereits um Olympia-Gold, denn so hält er mich wach. Mein TV-Marathon hinterlässt langsam aber sicher seine Spuren. Ob man es glaubt oder nicht – ununterbrochenes Fernsehen ist verdammt anstrengend. 

22.29 Uhr: Immer noch Beachvolley, Matchball Schweiz. «Jetzt einfach ruhig bleiben», schreit Ruefer. Wenige Sekunden später ist der Schweizer Sieg Tatsache. Zurück im Studio droht Fetscherin: «Wir machen noch kurz Pause, und dann geht es weiter mit Schwimmen.» Muss das sein?

22.44 Uhr: Ja, es muss sein. Fabel-Weltrekord über 100 Meter durch einen Chinesen. «Das nenn ich mal einen Abschluss des heutigen Tages», sagt Kommentator Heijers.

22.59 Uhr: Von wegen Abschluss! Jetzt wird nochmals der Tag zusammengefasst. Für viele ein guter Service, für mich aber nicht, da ich ja schon alles gesehen habe.

23.02 Uhr: Endlich fertig. Nach 15 Stunden und 12 Minuten verabschiedet sich Fetscherin. Danke!

Anette Fetscherin verabschiedet die Zuschauenden nach 15 Stunden und 12 Minuten Olympia-Programm.

Das Fazit

Gold: Geht an das Kunstturn-Duo Hofmänner/Schweizer.

Silver: Goes to Swiss Chris.

Bronze: An die SRF-Macherinnen und Macher im Hintergrund. Sehr vieles live, kaum Aufzeichnungen. Gutes Timing beim Hin- und Herschalten.

Was mich gestört hat I: Frei nach Christoph Sterchi – Anchorman Studer und Anchorwoman Fetscherin sind farblos und trotz des schönen Studios mit wunderbarem Ausblick bloss Nebendarsteller. Gefühlt war das Studio bei früheren Austragungen die Heimat und das Wohnzimmer für den TV-Konsumenten, der Dreh- und Angelpunkt der Berichterstattung. An diesem Mittwoch lebt es kaum, und Studer/Fetscherin sind, überspitzt formuliert, bloss (überflüssige) Ansagerinnen.

Was mich gestört hat II: Olympia lebt auch von Exoten, skurrilen Geschichten, aus Schweizer Sicht absurden Sportarten und 2024 auch vom unglaublichen Pariser Publikum. Davon an diesem Mittwoch dank eigenen Beiträgen auf SRF2 zu sehen? Nichts.

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