Familie Ponti spricht über Noè
«Er lässt sich niemals unterkriegen»

Schwester Asia und seine Eltern Vittoria und Mauro geben Einblicke in die Gefühlswelt von Noè Ponti.
Publiziert: 04.08.2024 um 09:44 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2024 um 10:32 Uhr
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Das vorliegende Interview mit den Pontis wurde vor Noès Starts in Paris geführt. Da haben Schwester Asia, Mutter Vittoria und Vater Mauro noch gehofft, dass er eine Medaille gewinnen wird. Es hat knapp nicht gereicht. Trotzdem sind die Plätze vier und fünf über 100 und 200 Meter Schmetterling herausragend. In einem Weltsport, einer olympischen Kernsportart, in der die Konkurrenz riesig ist, sind solche Leistungen alles andere als selbstverständlich und schon gar nicht enttäuschend. Die folgenden Ausführungen der Pontis, die Einblicke in das Innenleben des Bruders und Sohnes geben, vermitteln eine Vorstellung, wie Noè mit dieser Paris-Erfahrung jetzt umgehen wird.

Blick: Noè wirkt gegen aussen sehr cool. Nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen. Ist er wirklich so abgeklärt?

Asia: Er mag es nicht, wenn er gestresst wird. Er bleibt lieber ruhig. Aber es gibt schon Situationen, die ihn aus dem Konzept bringen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Mauro: Das können ganz alltägliche Dinge sein, wenn ihm beispielsweise im Training etwas nicht gelingt.
Vittoria: Wenn er gestresst ist, versucht er, seine Ruhe in der Routine zu finden. Er mag es, wenn alles vertraut ist.

Hier in Paris bei Olympia ist Ausnahmezustand, alles andere als Vertrautheit.
Mauro: Er findet auch hier seine Routinen. Mit den Kollegen zusammen zu sein. Die gleichen Abläufe vor einem Rennen einzuhalten, oder auch durch die regelmässigen Videocalls mit uns.

Sind immer für Noè Ponti da: Papa Mauro, Schwester Asia und Mutter Vittoria (v.l.)
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Ihr seid alle nach Paris gereist, um ihn bei seinen Rennen zu unterstützen. Wie fühlt sich das für euch an?
Asia: Nach Tokio konnten wir leider nicht gehen, da war Pandemie.
Mauro: Wenn wir hören, dass er einer der besten Schwimmer der Welt ist, klingt das immer noch ein bisschen seltsam. Wir haben in den letzten Jahren erst so richtig realisiert, dass das die Wirklichkeit ist.
Vittoria: Wir sind glücklich, hier zu sein und sehr stolz auf ihn.

Wie wichtig ist für ihn der Familienzusammenhalt?
Mauro: Sehr wichtig, denke ich. Wir besuchen so viele Wettkämpfe wie möglich, achten darauf, dass wir ihn dabei nicht in seiner Vorbereitung stören. Aber wenn er uns braucht, sind wir da. Das schätzt er.
Vittoria: Er wohnt ja noch zu Hause. Hier ist die ganze Familie versammelt.
Mauro: Wir wohnen im oberen Stockwerk. Unter uns ist Noès Grossmutter. Wir teilen uns den Garten und den Pool mit Noès Onkel. Und ganz in der Nähe wohnen noch weitere Verwandte. Wir sind also eine kleine Grossfamilie, die Noès Basis ist.

Erinnern Sie sich, wie das war, als Noè als kleiner Knirps zum ersten Mal ohne Flügeli losgeschwommen ist?
Mauro: Er war drei Jahre alt und hat uns sehr überrascht: Denn er ruderte nicht wild mit den Armen. Er tauchte unter und bewegte sich wie ein Delfin, mit diesen Wellenbewegungen, dann tauchte er auf, mit weit aufgerissenen Augen.

Vielleicht war das der Start zu seiner Schmetterlingskarriere …
Mauro: Das könnte sein. Jedenfalls ist ihm diese Disziplin später sehr leicht gefallen, obwohl sie eher anstrengend ist.
Vittoria: Lange Zeit hat er alle Lagen geschwommen. Ich erinnere mich, dass er als Jugendlicher bei einem Wettkampf im Tessin einmal elf Medaillen gewonnen hat. Erst später hat er sich für Schmetterling entschieden.
Mauro: Nicht, weil die Trainer das so bestimmten, sondern, weil er daran Spass hatte.

War er als Kind schon kräftigt gebaut?
Mauro: Er war grösser als die anderen, aber nicht sehr kräftig. Das kam dann erst Schritt für Schritt. Die Trainer haben darauf geachtet, dass er den Muskelaufbau nicht zu schnell vorantreibt, weil sich dann vieles verändert. Den Muskelaufbau musste man mit dem Wachstum in Einklang bringen.

Gibt es noch andere Erinnerungen, die unvergesslich sind?
Vittoria: Er war in Rotterdam bei einem Vorbereitungswettkampf für die EM. Wir waren nicht vor Ort dabei. Nach dem Rennen rief er mich an und weinte. Er sagte, er habe die Limite für Olympia in Tokio geschwommen.
Mauro: Am Morgen vor dem Rennen hatte er verschlafen, der Trainer musste in wecken. Noè kam gerade noch rechtzeitig zum Start, konnte sich gar nicht mehr vorbereiten, sprang kalt ins Wasser und schwamm die Limite.
Asia: Ich sass gerade in der Bibliothek, war am Lernen, als mich meine Mutter anrief und mir erzählte, dass es Noè geschafft hatte. Sie weinte vor Glück. Das war sehr emotional.

Was macht Noè als Sportler aus? Was macht ihn stark?
Mauro: Seine Mentalität. Wenn Noè einen Traum hat, ein Ziel, dann glaubt er daran und an sich selbst, dass er dieses erreichen kann. Dafür arbeitet er hart, auch dann, wenn er mal keine Lust hat zu trainieren. Er wird es immer wieder versuchen, bis es klappt.
Vittoria: Noè ist sehr ehrgeizig. Das haben wir schon früh bemerkt.

Woran?
Asia: Zum Beispiel beim Kartenspielen. Er hasste es, zu verlieren. Dann wollte er es das nächste Mal umso besser machen. Sich immer zu verbessern, das ist sein Antrieb.

Sie mussten ihn also nie motivieren?
Mauro:
Er ist immer seinen eigenen Weg gegangen. Wir sind ja keine Schwimmer gewesen, haben ihn nie gedrängt. Er machte alles freiwillig, hatte Freude am Sport, und es gefiel ihm, mit den Trainingskollegen zusammen zu sein. Er braucht die Geselligkeit.

Hat er ein Vorbild?
Vittoria: Wir gingen 2012 an die Olympischen Spiele nach London, um sein grosses Vorbild Michael Phelps live zu sehen. Da war Noè elf Jahre alt. Phelps gewann sechs Medaillen, davon viermal Gold.
Mauro: Als wir nach Hause kamen, sagte er uns, dass wir Tickets kaufen sollen für Olympia 2020 in Tokio. Denn da würde er am Start stehen.
Asia: Wir haben gelacht, aber er hat es wirklich getan, gewann in Tokio die Bronzemedaille.

Würden Sie ein Buch über Noè schreiben, was hätte es für einen Titel?
Asia: Ich würde es «Invictus» nennen, «Unbezwungen», nach einem Film von Clint Eastwood. Da geht es um ein Gedicht, das Nelson Mandela in seiner langen Gefangenschaft Kraft und Trost gegeben hatte. Im Gedicht heisst es, dass die Seele unbesiegbar sei. Nachdem Mandela Präsident Südafrikas wurde, motivierte er mit dieser Poesie das Rugby-Nationalteam, das erstmals rassenvereint auftrat und trotz Rückschlägen am Ende das Unvorstellbare schaffte. Das passt zu Noè. Seine wunderbare Seele macht den Unterschied aus. Selbst wenn es Schwierigkeiten gibt, lässt er sich nicht unterkriegen, sondern nutzt sie als Treibstoff, um besser zu werden und wieder aufzustehen.

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