Jetzt redet Olympia-Direktor Christophe Dubi
«Die Schweiz wurde für 2030 nicht als Köder benutzt»

Ende November fliegt die Schweiz aus dem Rennen für die Winterspiele 2030. Dafür macht das IOC eine Türe für 2038 auf. Jetzt sagt der Schweizer Christophe Dubi im Blick-Interview, wie die Bedingungen dafür sind.
Publiziert: 18.12.2023 um 18:01 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2024 um 14:54 Uhr
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Matthias DubachLeiter Reporter-Pool Blick Sport

Blick: Warum wurden die Spiele 2030 nach Frankreich vergeben statt in die Schweiz?
Christophe Dubi: Moment. Es ist sehr wichtig, dass Frankreich nicht anstelle der Schweiz gewählt worden ist. Denn wir haben für die Schweiz den privilegierten Dialog für 2038 installiert, es bleibt ein starkes Projekt mit guten Chancen für die Zukunft.

Dennoch war das IOC von Frankreich für 2030 mehr überzeugt. Weshalb?
Dass die Spiele schon in sechs Jahren stattfinden, hat deutlich für Frankreich gesprochen. Es können für 2030 viele Synergien von Paris 2024 genutzt werden. Wir können aufbauen auf die politische und administrative Arbeit, die jahrelang für Paris gemacht wurde. Sie kann für 2030 adaptiert werden. Das ganze Sicherheitskonzept zum Beispiel kann für die Regionen der Winterspiele gespiegelt werden. Viele Sponsoren von Paris haben signalisiert, auch 2030 an Bord sein zu wollen. All diese Vorarbeiten sind da, genauso wie das Fachwissen, das Frankreich in einigen kritischen Bereichen entwickelt hat, vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit, wo sie unglaubliche Arbeit geleistet haben, aber auch bei Fragen wie dem Engagement.

Musste es Frankreich werden, weil die Spiele 2030 so kurzfristig vergeben werden?
Frankreich bietet all die genannten superstarken Elemente, bei denen man sagen kann: ‹Okay, wir haben jetzt fünfeinhalb Jahre Zeit, um die Spiele zu organisieren – das ist mehr oder weniger Plug and Play.› Doch es gibt weitere Faktoren.

Christophe Dubi ist beim IOC Boss der Spiele: Der Lausanner verantwortet als Olympia-Direktor die Planung und Durchführung der Sommer- und Winterevents.
Foto: AFP
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Christophe Dubi persönlich

Der Westschweizer Christophe Dubi (54) arbeitet bereits seit 1996 fürs Internationale Olympische Komitee. Seit neun Jahren ist er «Olympic Games Executive Director», also operativer Boss der Sommer- und Winterspiele. Der Westschweizer begleitet die Veranstalter von Spielen jeweils von A bis Z, von der Planung über die Organisation bis zur Schlussfeier. Dubi studierte in Lausanne Wirtschaft und besitzt einen Master in Sportmanagement. Zwischen Studium und dem IOC-Engagement arbeitete er in der Finanz- und Immobilienbrache, aber auch als Lehrer. Beim IOC war er von Anfang an im Sektor der Veranstaltungen tätig und stieg bis zum Chef der Sparte auf. Dubis Vater Gérard spielte für Lausanne und Servette Eishockey und war Teil der Schweizer Olympia-Mannschaft für Sapporo 1972. (md)

Der Westschweizer Christophe Dubi (54) arbeitet bereits seit 1996 fürs Internationale Olympische Komitee. Seit neun Jahren ist er «Olympic Games Executive Director», also operativer Boss der Sommer- und Winterspiele. Der Westschweizer begleitet die Veranstalter von Spielen jeweils von A bis Z, von der Planung über die Organisation bis zur Schlussfeier. Dubi studierte in Lausanne Wirtschaft und besitzt einen Master in Sportmanagement. Zwischen Studium und dem IOC-Engagement arbeitete er in der Finanz- und Immobilienbrache, aber auch als Lehrer. Beim IOC war er von Anfang an im Sektor der Veranstaltungen tätig und stieg bis zum Chef der Sparte auf. Dubis Vater Gérard spielte für Lausanne und Servette Eishockey und war Teil der Schweizer Olympia-Mannschaft für Sapporo 1972. (md)

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Schildern Sie.
Wir machen unsere eigenen unabhängigen Umfragen. Sie zeigen, dass die Spiele in ganz Frankreich und in den Regionen eine erstaunliche Unterstützung erfahren. Ein weiterer Bereich, der im französischen Projekt sehr stark ist, ist die politische Unterstützung, die natürlich mit Präsident Macron beginnt, sich fortsetzt bei den Präsidenten der Regionen und in allen Bereichen der Administration. Im Einklang mit der Olympischen Agenda 2020+5 umfasst das französische Projekt vier Cluster (vier olympische Zentren zwischen Nizza und dem Genfersee, d.Red.). Das war ein sehr starkes Argument. Die Austragungsorte dürfen gerne über ein gewisses Territorium verteilt sein, aber Cluster bleiben wichtig. Das entspricht auch den Wünschen der Sportler, sie wollen sich in olympischen Dörfern treffen.

Dem dezentralen Schweizer Konzept fehlen solche olympische Zentren. Wurde die Schweiz im Vorfeld nie gewarnt, dass dies ein erheblicher Negativpunkt sein kann?
Natürlich war das im Dialog mit allen Bewerbern ein Thema. Unsere Haltung ist klar, denn Cluster machen auch organisatorisch Sinn. Denn je verteilter die Veranstaltungsorte sind, desto komplexer wird die Organisation beim Transport, der Sicherheit, der Medieninfrastruktur und so weiter. Es geht darum, die richtige Balance zu finden.

Dann schlagen Sie mit anderen Worten der Schweiz vor, sich für 2038 vom dezentralen Konzept zu verabschieden und eher eine Bewerbung wie beispielsweise Lausanne/Wallis/St. Moritz einzureichen?
Ich bin zwar Schweizer, aber nicht in der Position, um hier konkrete Vorschläge zu machen.

Was war denn die Rückmeldung an Swiss Olympic?
Schauen Sie: Das aktuelle Schweizer Projekt spiegelt die erstaunlichen Stärken unseres Landes wider. Angefangen von mehreren topmodernen Eishallen, eine liegt hier gleich um die Ecke (deutet aufs Fenster Richtung Lausanner Vaudoise-Arena, d.Red.), hat die Schweiz viel hervorragende Infrastruktur. Deshalb finden ja auch jährlich Weltcupveranstaltungen und regelmässig Weltmeisterschaften statt.

Genau das war der Ansatz, dass alle Veranstaltungsorte Erfahrungen mit Grossevents haben. Aber das reichte dem IOC ja nicht.
Die Schweiz bringt enorm viel mit. Die Infrastruktur, die Erfahrung mit der Organisation, dazu auch eine grossartige wirtschaftliche, politische und administrative Stabilität. Das alles kombiniert man nun mit dem, was Olympische Spiele einzigartig macht. Mit anderen Worten: Es muss ein sehr intelligentes Projekt sein, das der Schweizer Gesellschaft, aber auch der Olympischen Bewegung Gutes zu bringen vermag.

War die Schweiz nur ein Köder für andere Nationen?
Wie meinen Sie das?

Als das IOC lange ohne Bewerbungen für 2030 dastand, wurde der Schweiz angeboten, die Spiele in einer neuen Form ohne Gigantismus zu veranstalten. Dann sprangen Schweden und Frankreich noch auf, plötzlich gabs eine Auswahl.
Das lief überhaupt nicht so ab. Mit der Schweiz gab es immer lose Gespräche, weil ja in der Vergangenheit immer wieder Projekte existierten. Im Dezember 2022 bat uns das Exekutivkomitee, die strategische Ausrichtung der Winterspiele zu überdenken und dabei die Auswirkungen des Klimawandels in den Blick zu nehmen. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt nur Salt Lake City für 2030 oder 2034. Wir riefen dann dazu auf, wer sich für Spiele unter den neuen Voraussetzungen interessiert, soll sich bitte melden. Die Schweiz war neben Schweden und Frankreich und eben Salt Lake City einer dieser Parteien. Jetzt führen wir mit zwei dieser Parteien den gezielten Dialog und mit der Schweiz den privilegierten.

Bis 2027 muss in der Schweiz aber noch viel passieren.
Die Schweiz hat ihre Vision ‹203X› genannt. Mit dem X hat die Schweiz stets signalisiert, dass man offen ist auch für spätere Spiele. Dass sich die Schweiz von Anfang an auch 2038 vorstellen konnte, war ein erheblicher Grund, den privilegierten Dialog einzuführen. Bis 2027 muss die Schweiz zunächst den Masterplan noch einmal anschauen, die Detailfragen und die Logik für jedes der Cluster klären und sehr klar sein, was das Budget des Organisationskomitees angeht, aber auch die öffentlichen Mittel, die zur Unterstützung benötigt werden, insbesondere für die Sicherheit.

Einen so mächtigen Präsidenten wie in Frankreich Emanuel Macron, der im Alleingang Staatsgarantien verspricht, gibt unser politisches System nicht her. Hätte deshalb das IOC am liebsten ein Referendum in der Schweiz, um Klarheit zu kriegen?
Dass in unserem Land das Volk regelmässig an die Urne geht, ist die grösste Stärke der Schweizer Demokratie. Wir haben nun bis 2027 Zeit, den Masterplan für das Schweizer Projekt zu überarbeiten. Ein Teil davon ist natürlich gerade bei der Sicherheit, die öffentlichen Ressourcen einzubinden. Ein solch grosses Projekt braucht Unterstützung der Bevölkerung. Es muss zu den Bürgerinnen und Bürger des Landes passen. Wenn es eine Volksabstimmung brauchen sollte, dann wird sich das Projekt dieser stellen. Winterspiele würden die Schweiz enorm bereichern.

Doch Sie kennen die lange Geschichte von verlorenen Olympia-Abstimmungen in der Schweiz. Glauben Sie persönlich wirklich daran, dass es diesmal anders kommen würde?
Ich äussere mich hier zwar nur in meiner IOC-Funktion. Doch in diesem Fall kann ich auch persönlich sagen, dass ich absolut davon überzeugt bin, dass man mit den richtigen Argumenten die grossen Vorzüge von Spielen rüberbringen kann. Ich bin nun seit 25 Jahren dabei. Es gab immer Städte und Länder mit Interesse an Spielen. Zum Beispiel haben wir für die Sommerspiele 2036 schon mehr als zehn interessierte Städte und Regionen. Für dieses Interesse muss es ja attraktive Gründe geben.

Die Sie sicher gleich nennen werden.
Olympische Spiele bieten fantastische Chancen. Zum einen wirtschaftlich. Nehmen wir Paris 2024. Das 4,3-Milliarden-Euro-Budget ist privat finanziert. Dieses Geld kommt in die regionale Wirtschaft. Damit werden unzählige Projekte angestossen, von denen die Gesellschaft in Paris profitiert. Speziell der Norden, der ein eher schwieriges Pflaster ist. Es gibt neue Jobs und Infrastruktur. Ein anderes Beispiel: Seit 30 Jahren haben in Paris unzählige Bürgermeister versprochen, dass man in der Seine wieder schwimmen könne. Doch erst jetzt mit Olympia wird es möglich.

Ein grossteils privat finanziertes 1,5-Mia.-Budget beinhaltete das Schweizer Projekt, doch die Finanzierung wurde vom IOC kritisiert. Warum?
Wir haben nicht die private Finanzierung kritisiert. Wir haben im Report hingegen gesagt, dass die Garantien für die Spiele überprüft werden sollten. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.

Sprich: Der Staat soll im Falle eines Falles gerade stehen? Das ist in der Schweiz aber politisch umstritten.
Diese Garantie muss nicht unbedingt finanzieller Natur sein. Es geht um die Gewähr, dass die Spiele auch wirklich in der endgültigen Form stattfinden können. Das ist ein normaler Vorgang. Sie müssen verstehen, dass wir eine solche Garantie benötigen, da Winterspiele auch für das IOC eine Milliardeninvestition ist. Wir reden für 2030 von 722 Millionen US-Dollar, die in die Spiele selber fliessen. Plus die vom IOC übernommenen Kosten von 250 bis 300 Mio. für die Produktion der Bewegtbilder sowie andere Sachleistungen. Aber auch das Schweizer Projekt beinhaltet öffentliche Gelder, vor allem bei den Paralympics. Aus wirtschaftlicher Sicht ist aber etwas anderes hochinteressant.

Erzählen Sie.
Ich komme nochmals zum 4,3-Mia.-Budget von Paris zurück. Die OECD (internationale Wirtschaftsorganisation, d.Red.) wird ausrechnen, welche Wertschöpfung daraus generiert wird. Doch es gibt schon eine Schätzung von sieben bis neun Milliarden Euro. Ob es wirklich diese Zahl sein wird, wissen wir noch nicht. Aber der enorme wirtschaftliche Einfluss ist deutlich. All das führt auch zu zusätzlichen Steuereinnahmen.

Nun wird über 2038 geredet, doch Olympia könnte ja schon 2026 in die Schweiz kommen. Wenn St. Moritz die Eiskanalrennen von Mailand-Cortina übernimmt, wo das IOC auf eine Lösung ausserhalb Italiens drängt. Wie ist da der Stand?
Die Meinung des IOC ist klar. Wir möchten gerade für Eiskanalbauten ein sinnvolles Vermächtnis für die Zeit nach den Spielen. In Cortina haben wir bisher keine diesbezügliche Argumente gehört. Deshalb sagten wir, der logische Schritt ist, eine funktionierende Bob- und Rodelbahn im Ausland zu nutzen. Die italienischen Behörden denken nun weiter an Projekte im Land (Reaktivierung von Turin-2006-Bahn in Cesena, d.Red.). Es ist unklar, was in den Gesprächen herauskommt, aber wir halten an unserer Linie fest. Ende Januar werden wir wissen, wo die Rennen stattfinden werden.

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