Die Schweizer Sprinterin, die mit 16 Jahren rennen lernte
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Sofia Gonzalez:Die Schweizer Sprinterin, die mit 16 Jahren rennen lernte

Sofia Gonzalez startet an den Paralympics
Die Schweizer Sprinterin, die mit 16 Jahren rennen lernte

Die Schweizer Sprinterin Sofia Gonzalez tritt nächste Woche in Japan bei ihren ersten Paralympics an. Vier Jahre, nachdem sie zum ersten Mal mit einer Prothese gelaufen ist.
Publiziert: 22.08.2021 um 01:24 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2021 um 16:42 Uhr
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Ugo Curty

Seit den Olympischen Spielen in Tokio ist der ganzen Welt klar: Die Schweiz ist eine Sprint-Nation. Was Ajla Del Ponte, Mujinga Kambundji und ihre Staffel-Kolleginnen im Nationalstadion in der japanischen Hauptstadt zeigen, sorgt international für Aufsehen.

Auch bei den Paralympics geht ein Schweizer Sprint-Trumpf an den Start. Sofia Gonzalez (20) wird eines der Schweizer Gesichter sein, wenn es am Dienstag in Tokio losgeht. Die Waadtländerin darf sich durchaus Hoffnungen auf eine Medaille machen. An der EM in Polen gewann sie über 100 Meter Bronze, zudem tritt sie auch im Weitsprung an.

Eine erstaunliche Entwicklung. Schliesslich kann sie erst seit kurzem überhaupt rennen. «Ich habe erst vor vier Jahren mit der Leichtathletik begonnen, in einer Gruppe mit nicht behinderten Sportlern», sagt Gonzalez. «Am Anfang war es nicht einfach, ich war in einer unbequemen Position. Auch meine Mannschaftskameraden wurden mit meinem Anderssein und meiner Prothese konfrontiert. Heute sind wir uns sehr nahe.» Auch wenn sie nicht mehr gleich oft zusammen trainieren. Seit einer Weile ist Gonzalez immer häufiger mit der Nationalmannschaft unterwegs.

Sofia Gonzalez wird die Schweiz an den Paralympischen Spielen in Tokio vom 24. August bis 5. September vertreten.
Foto: Sven Thomann
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«Sie ist eine Quelle der Inspiration für uns», sagt eine ihrer Trainingskolleginnen, als SonntagsBlick Gonzalez bei den Vorbereitungen besucht. «Es ist erstaunlich, dass ich eine Freundin habe, die an den Olympischen Spielen teilnimmt. Ich sehe sie im Fernsehen. Es ist verrückt!»

Inspiriert von Del Ponte und Kambundji

Gonzalez hat während Olympia ganz genau verfolgt, was ihre Schweizer Landsfrauen auf der Sprint-Bahn von Tokio gezeigt haben. «Es war fantastisch, diese Momente zu erleben, selbst aus der Ferne», so Gonzalez über die Leistungen von Mujinga Kambundji und Ajla Del Ponte. «Ich tauschte Nachrichten mit Ajla aus, die ich im Vorbereitungslager in der Türkei kennengelernt hatte. Es war das erste Mal, dass ich sie persönlich sah. Sie sagte mir, dass sie mich für meinen Weg bewundert. Das hat mich sehr berührt, denn auch umgekehrt ist das der Fall.»

Der Sprinterin wurde im Alter von drei Jahren aufgrund einer Missbildung das rechte Bein amputiert. Eine schreckliche Entscheidung für ihre Eltern. «Paralympische Sportler sind wie Phönixe», sagt die junge Frau. «Jeder hatte schon einmal einen Unfall, eine Krankheit oder ein anderes Hindernis im Leben. Trotz allem erheben wir uns aus unserer Asche.» Die Leichtathletik-Welt entdeckte Gonzalez im Jahr 2012. Ihre Eltern hatten sie nach London zu den Olympischen Spielen begleitet. «Ich war ein kleines Mädchen von elf Jahren auf der Tribüne. Ich erinnere mich sehr gut daran. Obwohl ich noch weit davon entfernt war, eine Sportlerin zu werden, war ich von den Wettkämpfen begeistert.»

Dank ihrer Mutter kann sie sprinten

Ihre zweite Geburt sollte erst fünf Jahre später stattfinden, mit einer Begegnung, die alles auf den Kopf stellte. Ihre Mutter meldete sie zwangsweise für ein Schnupperwochenende in Luzern an. «Ich wollte nicht gehen, aber sie hat zum Glück darauf bestanden», lacht Sofia Gonzalez, die dann die Ottobock-Prothesen, die berühmten Karbonklingen, entdeckte. «Bis dahin konnte ich nicht wirklich rennen. Das ist keine Kleinigkeit für ein Kind. An diesem Tag entdeckte ich das Gefühl der Geschwindigkeit, des Sprintens. Ich hatte das Gefühl, ich würde fliegen. Das hat mein Leben verändert. Ein neuer Verbündeter, dessen treibende Kraft und mechanischer Schwung erst gezähmt werden mussten.»

In der Westschweiz ist ihre Prothese übrigens schon berühmt. Während der Fête des Vignerons, deren Show 2019 in Vevey 340 000 Zuschauer anzog, spielte Sofia Gonzalez die Nachfahrin des «lahmen Boten».

«Die Botin hinkte nicht mehr, sie lief, sie sprintete sogar», erinnert sich Gonzalez. Die Idee stammt vom Regisseur Daniele Finzi Pasca, der die Eröffnungsfeier der Spiele in Turin 2006 ausgetüftelt hatte. Eine bahnbrechende Neuerung, eine Frau mit einer solchen Prothese auf derart grosser Bühne zu zeigen – ein Beitrag dazu, gewisse Denkmuster zu durchbrechen und den paralympischen Sport einem breiten Publikum nahezubringen.

Jetzt wird die Bühne noch grösser. Vom 24. August bis 5. September werden Gonzalez und ihre Leistungen in Tokio auf der ganzen Welt zu sehen sein. Ein nächster Schritt – für die Schweizerin und ihre Athleten-Kollegen.

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