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Hans Knecht (1913–1986) wurde vor 78 Jahren Weltmeister in der Schweiz
Er fuhr der Armut davon

Eine Rad-WM in Zürich? Das gab es schon einmal. Genauer: 1946. Hans Knecht gewann damals im strömenden Regen und vollendete seinen Aufstieg vom Färber zum Weltmeister.
Publiziert: 16.09.2024 um 14:48 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2024 um 14:50 Uhr

Auf einen Blick

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Mathias GermannReporter Sport

Zürich, der Nabel der Velo-Welt! Ab Samstag dreht sich in der Limmatstadt nicht alles, aber vieles um die Rad-WM. Eine einmalige Sache? Für Marc Hirschi (26) schon. Der Berner zählt beim Strassenrennen der Elite, dem wichtigsten WM-Rennen, zu den heissesten Anwärtern aufs Regenbogentrikot. Er weiss: «Ich werde ganz sicher nie mehr eine WM in Zürich erleben. Vielleicht auch keine mehr in der Schweiz. Mir ist bewusst, welch grosse Chance ich habe – zumal mir der Kurs gut liegt», sagt er.

Was viele nicht wissen und woran sich kaum einer erinnern kann, ist die Tatsache, dass die Rad-WM schon zweimal in Zürich gastierte. 1923, als man unter anderem über die «prächtig ausgebaute Hardturmstrasse» («Neue Zürcher Zeitung») fuhr. Und auch 1946, also unmittelbar nach dem Krieg. Damals gewann mit Hans Knecht (1913–1986) im Regen und vor begeisterten 50’000 Zuschauern, die man laut «NZZ» «von gewissen chauvinistischen Regungen nicht ganz freisprechen» durfte. Heisst: Die Stimmung war grossartig.

Doch war dieser Hans Knecht eigentlich? Kaum einer kennt seinen Namen. Dabei ist der Zürcher der einzige, der sowohl bei den Amateuren als auch bei den Profis Weltmeister wurde – zuerst 1938 Valkenburg (Niederlande), dann 1946 in Zürich. In seiner Autobiografie «Strasse ohne Ende» von 1949 beschreibt er seinen Aufstieg aus der Armut auf den Rad-Thron – das WM-Magazin «Gruppetto» erzählt die Geschichte eindrucksvoll nach.

Er stellte sein Leben um, radelte der Armut davon und wurde 1946 Weltmeister bei den Profis: Hans Knecht.
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In drei Jahren spart er 311 Franken

Knecht wächst unter schwierigen Verhältnissen in Albisrieden und Altstetten auf. Der Vater schuftet auf dem Bau, die Mutter in einer Gärtnerei. Das Geld reicht, um zu überleben, aber sicher nicht, um Hans ein gutes Velo zu kaufen. In seiner Jugend wird er, der alles andere als ein Rad-Supertalent ist, nach den Rennen belächelt. «Ich las es ab an allen Wänden, ich sah es in allen Augen und ich fühlte es aus allen Bewegungen: Ich bin nichts, ich kann nichts, ich habe nichts», schreibt Knecht in seinem Buch.

Irgendwann, während der Lehre zum Färber, beschliesst Knecht: Ich zeige es allen! Er stellt sein Leben auf den Kopf, verzichtet auf Bier und Zigaretten, läuft jeden Tag eine halbe Stunde barfuss zur Arbeit – immer, auch bei Eiseskälte und Schnee. Dazu spart er Geld, wo es nur geht. Nach seiner dreijährigen Lehre hat er 311 Franken auf der Seite, kauft sich ein gutes Rad und tritt dem Veloclub Altstetten bei.

So läuft die WM in Zürich

Die Rad-WM findet nach 1923 und 1946 zum dritten Mal in Zürich statt. Erstmals überhaupt werden dabei die Para-Athleten im gleichen Zeitraum und an denselben Orten ausgetragen. Die WM dauert vom 21. bis 29. September. Total werden 66 WM-Titel vergeben, 13 in den üblichen Rennen und 53 in den Para-Disziplinen. Die Rennen werden an verschiedenen Orten gestartet (Winterthur, Oerlikon, Uster und Gossau) und enden allesamt auf dem Sechseläutenplatz.

1300 Fahrer aus mehr als 75 Ländern nehmen an der WM teil. Geschätzte 300 bis 350 Millionen Zuschauer werden die Rennen weltweit am TV verfolgen, bis zu einer Million Fans werden an der Strecke über die neun WM-Tage erwartet. Es gibt fünf Fanzonen: Sechseläutenplatz, Bürkliplatz, General-Guisan-Quai, Münsterhof und Limmatquai.

Der Berner Marc Hirschi zählt beim Strassenrennen der Elite zu den Favoriten auf das Regenbogentrikot des Weltmeisters.
GIAN EHRENZELLER

Die Rad-WM findet nach 1923 und 1946 zum dritten Mal in Zürich statt. Erstmals überhaupt werden dabei die Para-Athleten im gleichen Zeitraum und an denselben Orten ausgetragen. Die WM dauert vom 21. bis 29. September. Total werden 66 WM-Titel vergeben, 13 in den üblichen Rennen und 53 in den Para-Disziplinen. Die Rennen werden an verschiedenen Orten gestartet (Winterthur, Oerlikon, Uster und Gossau) und enden allesamt auf dem Sechseläutenplatz.

1300 Fahrer aus mehr als 75 Ländern nehmen an der WM teil. Geschätzte 300 bis 350 Millionen Zuschauer werden die Rennen weltweit am TV verfolgen, bis zu einer Million Fans werden an der Strecke über die neun WM-Tage erwartet. Es gibt fünf Fanzonen: Sechseläutenplatz, Bürkliplatz, General-Guisan-Quai, Münsterhof und Limmatquai.

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Knecht trainiert wie ein Verrückter. «Ich duldete keine Ermattung des Willens, keine Erschlaffung des Geistes und keine Erlahmung des Körpers.» Er ist fest entschlossen, kein Namenloser zu bleiben.

Er schlägt auch die Stars aus Italien

Knechts Mühen tragen Früchte. Doch nachdem er 1938 Amateurweltmeister wird, bremst der Krieg seinen Aufstieg. Keine Rennen, keine Preisgelder, nichts – er muss weiterhin ganz normal arbeiten gehen. Acht Jahre später, als Knecht 1946 zur WM in Zürich startet, haben ihn fast alle wieder vergessen. Die Stars sind andere, zum Beispiel die Italiener Gino Bartali (1914–2000) und Fausto Coppi (1919–1960).

Doch letztlich ist es Knecht, der sich im strömenden Regen gegen zwei Belgier durchsetzt und triumphiert. Endlich gebührt ihm jener Ruhm, den er so lange gesucht hatte. 1949 beendet Knecht im Zürcher Hallenstadion seine Karriere, 1986 stirbt er mit 72 Jahren.

Knecht ist der letzte Schweizer, der im eigenen Land Weltmeister im Strassenrennen wurde. Ob sich daran etwas ändert, wird sich am übernächsten Sonntag zeigen – Hirschi hätte nichts dagegen.

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