«King Küng» ist auferstanden
Die Augen des Jägers leuchten wieder

Mehr Bauchgefühl, weniger Kopfarbeit: Stefan Küng auf dem Weg zu alter Stärke. Der Schlüssel: Eine Prise Lockerheit.
Publiziert: 30.04.2017 um 11:47 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:49 Uhr
Der Thurgauer Stefan Küng ist das grösste Talent des Schweizer Radsports.
Foto: Sven Thomann
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Mathias Germann

Endlich leuchten sie wieder. Die Augen des Jägers. Sie sind wachsam, beobachten die Gegner, achten auf jede Zuckung, erkennen deren Schwächen. Und geben das Signal ans Gehirn weiter: Jetzt!

Diese Augen gehören Stefan Küng, dem grössten Talent des Schweizer Radsports. Jenem Mann, der in der Öffentlichkeit früh als «neuer Cancellara» gefeiert wurde, aber in den letzten zwei Jahren unten durch musste. Stürze, Brüche, Erkrankungen – kaum etwas blieb dem Thurgauer erspart.

Doch das ist nun vergessen. «Ich habe den Instinkt des Siegers wiedergefunden», sagt Küng. «Ich spüre das Rennen wieder. Wie ein Jäger, der weiss, wann er abdrücken muss. Keiner sagt ihm, wann der richtige Zeitpunkt ist, um abzudrücken. Es steht auch nicht in einem Buch. Er macht es einfach. Instinkt.»

So ergeht es auch Küng, der bei der Donnerstags-Etappe der Tour de Romandie nach Bulle FR ein Husarenstück zeigt. Bei Schneeregen und eisigen Temperaturen ist der 23-Jährige die treibende Kraft einer Vierer-Fluchtgruppe. Geschenke macht Küng nicht. «Dafür bin ich viel zu ehrgeizig», sagt er. Die Konsequenz: Küngs Tempo-Bolzerei ist für zwei der Mini-Gruppe zu viel, sie fallen zurück. «Survival of the Fittest» halt, frei nach Darwin. Und dann? Genau: Beim Zielsprint beweist Küng, dass er nicht nur Bärenkräfte, sondern (wieder) jene Schlauheit hat, die es im Radsport braucht. «Dieser Sieg hat mir richtig gut getan», sagt er.

Trotz Zufriedenheit: Küng vergisst nicht, dass es in ihm noch vor kurzer Zeit ganz anders aussah. «Dabei bin ich seit Saisonbeginn physisch top, fühle mich gut. Aber die Resultate fehlten.» Warum? Mit ein Grund: Der Gymi-Absolvent macht sich, auch über kleine Fehler, viele Gedanken. «Zu viele», ergänzt er. «Ein anderer sagt: ‹Ist halt so, morgen ist ein neuer Tag.› Aber so bin ich nicht!»

Das Ganze ging so weit, dass Küng nach einem schweren Sturz bei der Schweizer Meisterschaft im letzten Sommer die Hilfe eine Sportpsychiaters beanspruchte. «Ich hatte meine Lockerheit verloren, war zu verbissen und geriet prompt in einen Negativstrudel», erzählt er. Und was war die Lösung? «Viele versuchten, mir zu helfen. Aber ich musste es selbst hinkriegen. Letztlich hab ich mir gesagt: ‹Hey, nimm es gelassener!›»

Eine Aussage seines ehemaligen Bahn-Trainers Daniel Gisiger blieb Küng dann aber doch haften. «Er sagte: ‹Weisst du, ein Radfahrer kann nicht zu dumm sein. Aber zu gescheit.›» Die Botschaft: Versuch es mit mehr Bauchgefühl und weniger Kopfarbeit. Küng: «So wie ein Stürmer im Fussball. Der darf vor dem Tor auch nicht überlegen, sondern muss seinem Instinkt vertrauen.»

Dank neuer, alter Lockerheit und endlich einem Sieg: Jäger Küng ist zurück. Im abschliessenden Tour-Zeitfahren von Lausanne kann er es erneut unter Beweis stellen. 

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