Neues Rad-Problem Magersucht!
Profis sehen aus wie wandelnde Skelette

Die Magersuchtwelle schwappt über den Radsport. Die Profis sehen aus wie wandelnde Skelette.
Publiziert: 20.04.2015 um 20:53 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 07:49 Uhr
Haut und Knochen: Schon 2009 – drei Jahre vor seinem Toursieg – sah man Bradley Wiggins die Abmagerungskur an.
Foto: Graham Watson
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Von Hans-Peter Hildbrand

Das englische Team Sky rief vor Jahren die «Ernährungsgeister» – jetzt wird sie der Radsport nicht mehr los. Täglich drangsalieren teameigene Diät-Experten die Fahrer. Bis zu zwölf Kilo hat Bradley Wiggins (34) in sechs Jahren – auf seinem Weg vom Bahn-Olympiasieger zum Tour-de-France-Gewinner – abgenommen.

Für das Feld ist er ein Vorbild, so wie Model Twiggy («dünner Zweig») in den 60er-Jahren mit ihrer spindeldürren Figur. Marcello Albasini (58), Trainer des Schweizer IAM-Teams, hat es vor Jahren im BLICK angekündigt: «Viele werden das Team Sky mit Exzessen nachahmen.» Gemeint ist damit die radikale Reduzierung des Körperfettanteils. Bisher hatten Radfahrer ­einen Fettanteil von ohnehin nur 6 bis 7 Prozent.

Bei Chris Froome (29), Teamkollege von Wiggins und Tour-Gewinner 2013, sinkt dieser nun auf 4,5 Prozent. Froome – Spötter sprechen von einem «in Hosen gesteckten Röntgenbild» – liegt bei einer Grösse von 1,86 Metern und einem Gewicht von 66 Kilogramm mit einem BMI von 19,1 knapp im normalen Bereich. Wie sehr er das ganze Jahr fasten muss, zeigt sein Gewichtsunterschied Sommer/Winter – er beträgt nie mehr als ein Kilo.

Eine neue Form des Dopings

Viele reden vom neuen Dopingmittel Aicar. Auf Laufbändern rannten die als Marathonmäuse gedopten Versuchstiere 44 Prozent länger als unbehandelte Tiere. Aicar bewirkt eine Erhöhung der Muskelkraft auf Kosten des Fettgewebes. Und ist – wie früher das Blutdopingmittel EPO – noch nicht nachweisbar.

Vor zwei Jahren sorgte sich ganz Belgien um seinen spindeldürren Radstar Tom Boonen (34). War der Liebling der Fans gar magersüchtig? Der Ex-Weltmeister beruhigte das Land: «Ich bin besser in Form als 2012.» Tests bewiesen, dass er sein Leistungsniveau gesteigert hat. Er hat also Fett, aber keine Muskelmasse verloren.

Das Gewicht spielt in den Bergen eine zentrale Rolle. Dokumentiert wird das anhand eines Computerprogramms von Trainern. Die nahmen als Beispiel die Strecke von Morzine nach Avoriaz (15 Kilometer lang, 6 Prozent Steigung), setzten eine Fahrzeit von 34 Minuten und einen Fahrer von 72 Kilogramm Gewicht ein. Der Solothurner Rad-Coach Kurt Bürgi: «Mit einem Gewichtsverlust von sechs Kilo verbessert Wiggins seine Leistung um 6:30 Minuten.» Ein fünf Kilo leichterer Cancellara (er träumte früher vom TdF-Gesamtsieg) wäre theoretisch fast sieben Minuten schneller als mit seinem heutigen Gewicht von 80 Kilo.

Doch für den Berner kommt die Hungerkur zu spät. «Ist auch nichts für mich», analysiert er. «Denn ich bin oft ein Frustfresser.»

Auch Bradley Wiggins ist ein Gefangener seines Gewichts. Als er bis zu zwölf Kilo abgehungert hatte, zog er die Reissleine. «Es ging mir immer darum, die Tour zu gewinnen. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich noch einmal zu solchen Entbehrungen bereit bin.»

Er fuhr vor neun Tagen mit Paris–Roubaix sein letztes grosses Rennen. Mit acht Kilo mehr Fett als bei seinem Sieg an der Tour de France 2012.

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