«Meine Viper würde ich nie verkaufen»
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Matossi über Autosammlung:«Meine Viper würde ich nie verkaufen»

Die Schwing-Legende lebt ihre Homosexualität erst seit dem 50. Geburtstag aus
Die verrückte Lebensgeschichte von Enrico Matossi

Enrico Matossi war in den 80er-Jahren das, was Samuel Giger jetzt ist: der «böseste» Thurgauer. Für noch mehr Furore sorgte Matossi aber erst nach der Schwinger-Karriere.
Publiziert: 23.08.2022 um 18:02 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 18:03 Uhr
Marcel W. Perren (Text) und Philipp Schmidli (Fotos)

Enrico Matossi residiert in einem schmucken Haus mit Blick auf den Bodensee. An die glorreiche Schwinger-Karriere erinnert hier nichts. Es riecht in diesem modernen Bau nicht nach verstaubtem Eichenlaub, sondern nach ordentlich Geld.

In der Garage stehen neben einer pfeilschnellen Viper GTS drei US-Oldtimer (Buick 1952, Pontiac Grand Prix 1963, Dodge Challenger 1970) und ein 260'000 Franken teurer Bentley. Wohnraum und Schlafzimmer sind mit edlen Designer-Möbeln bestückt, im Garten hats einen Swimmingpool.

Der Herr des Hauses sitzt an diesem garstigen Vormittag entspannt in der Ledergarnitur. Auf seinem Schoss haben es sich die beiden Französischen Bulldoggen Rocky und Amadeus gemütlich gemacht.

In den 80er-Jahren entwickelte sich Enrico Matossi zu einem der ersten Modellathleten des Schwingsports.
Foto: Blicksport
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Matossi blättert in einer Zeitschrift mit dem Titel «Manchmal muss es Kaviar sein» und sagt: «Eigentlich wollte ich ja gar nie Schwinger werden.» Enricos Vater Franco war als SVP-Ständerat ein grosser Schwingerfreund. «Ihm zuliebe trat ich mit 14 erstmals bei einem Buben-Schwinget an», erinnert sich der mittlerweile 65-Jährige, der von seinen Freunden «Rico» genannt wird.

Desaster bei der Premiere

Sein erstes Mal im Sägemehl entwickelte sich aber zu einem Desaster. «Es fing damit an, dass beim Appell ein konservativer Funktionär eine Schere holte, damit er mir meine langen Haare abschneiden konnte. Und weil ich danach vier Gänge verlor, wollte ich vom Schwingsport endgültig nichts mehr wissen.»

Mit 17 wurde er aber rückfällig. «Als ich in Winterthur die Ausbildung zum Maschinenmechaniker machte, teilte ich mir im Lehrlingsheim ein Zimmer mit einem Stift aus der Glarner Schwinger-Dynastie Streif. Er überredete mich zu einem Training im Schwingklub Winterthur. Dort begegnete ich mit Karl Meli und Noldi Ehrensperger zwei königlichen Übungsleitern und fing doch noch Feuer für die Schwingerei.»

Der steile Aufstieg

Durch Ehrensperger lernte er den Bob-Anschieber Sepp Benz (Olympiasieger 1980) und den Diskuswerfer Heinz Schenker (Vize-Weltmeister 1973) kennen. «Dank Sepp und Heinz lernte ich die modernsten Methoden im Krafttraining.» Der «See-Bub» entwickelte sich deshalb zu einem der ersten Modellathleten des Schwingsports.

Bis zu seinem Rücktritt 1992 erkämpfte sich der 1,87-Meter-Mann trotz zahlreichen Verletzungen 75 Kränze. Drei Eichenlaub-Auszeichnungen gewann er an eidgenössischen Wettkämpfen. Als Viertplatzierter verpasste der Ostschweizer mit Bündner Wurzeln 1980 den ESAF-Schlussgang in St. Gallen nur knapp. Den vierten Schlussrang belegte Matossi auch 1989 in Stans NW. In dieser Phase legte der smarte «Böse» auch die Basis für seine erfolgreiche Berufslaufbahn. «Nach meinem Studium zum Maschinenbau-Ingenieur machte ich noch das Nachdiplom-Studium für Unternehmensführung.»

Die glorreiche Karriere nach der Karriere

1989 hatte der dreifache Kranzfestsieger als Produktionsleiter bei einer Firma in Arbon TG die Verantwortung über 250 Mitarbeiter, danach agierte er als Geschäftsführer einer Verpackungsfirma. Und seit 1999 gehört er zu den renommiertesten Headhuntern in der Schweiz. «Viele Kadermitarbeiter von Stadler Rail und anderen renommierten Firmen habe ich rekrutiert», verrät der Mann, der auch im Rentenalter weiterhin Fach-und Führungskräfte für Top-Unternehmen sucht.

Lange konnte Matossi seine Erfolge aber nicht richtig auskosten, weil er seine wahren Gefühle unterdrückte. «Ich habe in meinem Leben viele schöne Frauen erobert, obwohl ich mit ungefähr 20 spürte, dass ich auf Männer stehe. Aber weil ich in einem konservativen Umfeld gross geworden bin, versuchte ich meine Neigung zu verdrängen.» Mit 32 wurde Enrico Vater einer Tochter, bis 2007 lebte er mit einer Frau zusammen.

Outing mit 50

Doch kurz nach seinem 50. Geburtstag ist er aus seiner Scheinwelt ausgebrochen. «Eines Morgens ist mir klar geworden, dass ich meine Gefühle nicht länger unterdrücken will. Ich habe mich deshalb von meiner Lebensgefährtin getrennt, um meine wahren Gefühle ausleben zu können. Unter uns gesagt: Der Nachholbedarf war gross …»

Seit ein paar Jahren gibt es aber nur noch einen Mann in Matossis Liebesleben. «Ich lebe seit 2019 mit dem 30 Jahre jüngeren Manuel in einer eingetragenen Partnerschaft und fühle mich dabei wunderbar.»

Wohltuend waren auch die meisten Reaktionen, die er nach seinem Outing erhielt. «Ich war überrascht, wie tolerant gewisse sehr konservative Leute reagierten. Es gab nur einen Schwinger, der die Nachricht meiner Homosexualität nicht verdauen konnte. Ich bot ihm als Verdauungshilfe zwar eine Flasche Appenzeller an, aber das nützte leider auch nichts.»

Überrascht von der Tochter

Einen hochprozentigen Schluck benötigte Matossi selber, als er sich gegenüber seiner Tochter outete. «Ich sass mit Manuel in Zürich in einem Gay-Club, als meine Tochter mit ihrem schwulen Freund zufälligerweise auch in dieses Lokal reinkam. Ich bestellte vor lauter Schreck einen doppelten Wodka, bevor ich ihr erklärte, warum ich hier sitze. Sie reagierte wundervoll.»

Für den kommenden Sonntag hat Matossi bereits eine Flasche Champagner kalt gestellt. Dann wird «Rico» mit seinem Manuel auf den neuen Schwingerkönig anstossen. Die Chancen stehen gut, dass die Thurgauer auch allen Grund haben werden, um auf Samuel Giger zu trinken.

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