Foto: PHILIPP SCHMIDLI | Fotografie

Er produziert Goldwürste und bekämpft den Krebs mit Baum-Misteln
So lebt Unspunnen-Held Bösch nach der Nahtoderfahrung

Vor zwölf Jahren hat Daniel Bösch am Unspunnen triumphiert. Den härtesten Gang musste der Ostschweizer aber im Jahr nach seinem Rücktritt bestreiten.
Publiziert: 27.08.2023 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2023 um 14:47 Uhr
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Marcel W. PerrenReporter Sport

Im Herzen der Gemeinde Oberbüren SG steht eine kleine Metzgerei, in der ein absoluter Schwinger-Gigant hinter der üppig gefüllten Fleischtheke steht – der 106-fache Kranzgewinner Daniel Bösch hat diesen Betrieb wenige Monate nach seinem finalen Wettkampf 2019 am ESAF in Zug mit seiner Frau Sandra übernommen. Dass der 130-Kilo-Brocken das Fleischer-Handwerk genau so begnadet beherrscht wie in seiner sportlichen Blütezeit den linken Fussstich, belegt die Auszeichnung, die er jüngst von der Jury vom Schweizer Fleisch-Fachverband erhalten hat: Gold für die St. Galler Olma-Bratwurst!

Bronze für den Fleischkäse

Die Verleihung dieser «Wurst-Awards» ist trotzdem nicht ganz nach dem Geschmack des 35-Jährigen verlaufen. «Ich habe darauf gehofft, dass ich auch für meinen Fleischkäse Gold erhalte. Aber weil gemäss der Jury die Lochung nicht optimal war, hat es leider nur für Bronze gereicht», seufzt Bösch. Doch im selben Moment wird dem bärtigen 1,93-Meter-Mann bewusst, dass der Ärger wegen einer solchen Lappalie geradezu lächerlich ist.

Am 4. September 2011 gelingt Daniel Bösch in Interlaken der grösste Wurf seiner Karriere: Nach dem Plattwurf gegen den Schwyzer Christian Schuler ...
Foto: Blicksport
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Die wahren Probleme im Leben hat der dreifache Eidgenosse im vorletzten Jahr in der vollen Härte zu spüren bekommen. Angefangen hat dieses menschliche Drama mit einem harmlos anmutenden Überbein unterhalb vom Knie. «Weil in meiner Kindheit schon einmal etwas Ähnliches hatte, habe ich mir anfänglich überhaupt nichts Böses dabei gedacht», hält Dani fest. «Weil ich dann aber immer grössere Schmerzen verspürt habe, bin ich nach ein paar Tagen dann doch zum Arzt gefahren.»

«Herr Bösch, Ihr Leben wird nie mehr so sein, wie es war!»

Rund drei Wochen nach dieser Untersuchung erreicht Bösch ein Anruf aus der Onkologie vom Kanton St. Gallen. «Da hat man mich gebeten, dass ich zusammen mit meiner Frau sofort für ein Gespräch mit dem Arzt ins Spital kommen soll. Aber auch dieser Anruf hat mich noch nicht wirklich beunruhigt, schliesslich war mir damals noch gar nicht klar, was die Onkologie wirklich bedeutet.»

Doch im Spital werden der 23-fache Kranzfestsieger und seine grosse Liebe sofort mit der schmerzlichen Wahrheit konfrontiert. «Der erste Satz, den mir der Arzt gesagt hat, war: «Herr Bösch, Ihr Leben wird nie mehr so sein, wie es einmal war!» Er hat mir dann erklärt, dass ich Knochenkrebs habe und was man nun dagegen tun muss. Logischerweise ist für mich in diesem Moment eine Welt zusammengebrochen. Und obwohl mir der Arzt gesagt hat, dass die Überlebenschance bei 75 Prozent liegt, hatte ich das Gefühl, dass ich gleich sterben muss. Ich habe mit Sandra entsprechend viele Tränen vergossen.»

Unspunnen-Video brachte ihn auf andere Gedanken

Im Frühling 2021 beginnt Bösch mit der Chemo-Therapie und verbringt pro Monat drei Wochen im Spital. Die schwarzen Haare fallen büschelweise vom Kopf, Dani fällt in eine immer tiefere Depression. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaut er sich in dieser Phase die Bilder von seinem grössten sportlichen Triumph am 4. September 2011 an. An diesem Sonntag hat er in der Aussenseiter-Rolle in sensationeller Manier das Kräftemessen am Unspunnen gewonnen.

Bösch schiebt seine Krankheitsgeschichte für einen Moment in den Hintergrund und beginnt mit glänzenden Augen die Hintergründe von seinem grössten Wurf zu erzählen. «Nach dem letzten Training vor dem Unspunnen war ich ziemlich verunsichert, weil mein linker Fussstich nicht mehr funktioniert hat. Und weil ich am Abend vor diesem Wettkampf nicht einschlafen konnte, habe ich mich zu später Stunde noch einmal unter die Leute gesellt. Ich habe mich in meinem damaligen Wohnort Sirnach in eine Bar hineingesetzt. Nach einem Drink und ein paar netten Worten mit anderen Gästen bin ich wieder nach Hause gegangen und habe dann auch richtig gut geschlafen.»

Der ganz grosse Wurf

Und nach dieser ungewöhnlichen Wettkampfvorbereitung hat dann auch wieder der Parade-Schwung funktioniert. «Im Anschwingen mit dem Obwaldner Peter Imfeld ist bis zur letzten Minute nicht viel passiert. Doch dann habe ich den linken Fussstich ausgepackt, was zum Sieg mit der Maximalnote geführt hat.» Nach drei weiteren Siegen und einem Gestellten gegen Benji von Ah stand der damals 23-Jährige im Schlussgang gegen den ein Jahr älteren Schwyzer Christian Schuler.

«Bis dahin habe ich gegen Chrigel immer verloren oder gestellt. Doch diesmal konnte ich ihn nach viereinhalb Minuten besiegen. Ich konnte es selber kaum glauben. Und weil der Rummel um meine Person danach derart gross war, musste ich den für den nächsten Tag geplanten Abflug in den Neusseland-Urlaub verschieben.» Jetzt drehen sich Böschs Gedanken wieder um den Gegner, der wesentlich schwerer zu besiegen ist als ein Schwingerkönig – der Krebs.

Die Nahtoderfahrung

Die ersten beiden Chemo-Therapien hat er ordentlich überstanden, doch dann hat er eine Lungenembolie erlitten. Und nachdem im September der Tumor am Schienbein operativ entfernt wurde, versagten im November plötzlich die Nieren. Schliesslich gipfelte ein Medikamenten-Wechsel in der Chemo-Therapie mit einem allergischen Schock – Bösch musste wiederbelebt werden! «Ich war schon auf der anderen Seite, ich habe mich ausserhalb meines Körpers gesehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass nur einer von uns beiden in meinem Körper existieren konnte: Entweder der Krebs oder ich.» Seit diesem Nahtoderlebnis geht es mit Bösch stetig bergauf. Die Lebensfreude ist zurück, und die letzten medizinischen Untersuchungen waren positiv.

Bösch macht aber deutlich, dass er die Angst vor einem Rückfall noch nicht gänzlich besiegt hat. «Ich muss alle drei Monate zur ärztlichen Untersuchung. Danach dauert es jeweils drei Tage, bis ich die Ergebnisse erhalte. In dieser Phase schwitze ich Blut und Wasser.»

Alternativer Kampf gegen den Krebs

Chemische Arzneimittel nimmt Bösch derzeit keine zu sich. Stattdessen beansprucht der Bauernsohn homöopathische Mittel. «Es gibt einige gute Studien, die belegen, dass isländisches Moos und Baum-Misteln eine Wirksamkeit gegen Krebszellen entwickeln können. Ich spritze mir dreimal in der Woche eine Substanz aus diesen Gewächsen in den Oberschenkel.»

Neben den Baum-Misteln schnuppert Dani als technischer Leiter vom Schwingklub Wil auch wieder regelmässig am Sägemehl. «Aber weil die zwanzig Zentimeter lange Schiene in meinem Schienbein voraussichtlich erst im kommenden März herauskommt, wird es noch eine Zeit lang dauern, bis ich auch wieder in die Zwilchhosen steigen kann.»

Andere Prioritäten

Bösch ist aber schon jetzt so weit, dass er seiner Leidensgeschichte auch etwas Positives abgewinnen. «Es hat sich nicht alles zum Schlechten verändert, weil mein Lebensrucksack durch die Krankheit sehr viel grösser geworden ist. Gewisse Probleme, die ich vorher als riesig betrachtet habe, sind jetzt ganz klein. Und ich habe auch gelernt, dass die Pflege der Familie und das Zusammensein mit Freunden das Wichtigste ist.

Der Beruf nimmt dagegen nicht mehr denselben Stellenwert in meinem Leben ein, im Gegensatz zu früher arbeite ich jetzt nicht mehr 70 Stunden pro Woche in der Metzgerei.» Und deshalb kann sich Bösch am Ende dieses Gespräches auch mit der Tatsache anfreunden, dass sein feiner Fleischkäse nicht mit Gold, sondern mit der Bronzemedaille prämiert wurde.

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