Hypnose macht Giger stark
«Spreche mit den Zellmännchen in meiner Schulter»

Dank eines Hypnotiseurs hat Unspunnensieger Samuel Giger ein neues Level erreicht. Der Spitzenschwinger gibt einen tiefen Einblick in die Zusammenarbeit.
Publiziert: 06.09.2024 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2024 um 14:42 Uhr

Auf einen Blick

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Nicola AbtReporter Sport

Am Ursprung eines der dominantesten Auftritte der jüngeren Schwingvergangenheit steht eine Internetrecherche. Nach dem verpassten Königstitel 2022 setzte sich Samuel Giger (26) an den Computer. «Ich musste etwas ändern», erklärt er. Seine Frau Michelle brachte das Thema Sporthypnose auf. Während seiner Suche stiess Giger auf den Namen von Adrian Brüngger (48). 

Der frühere Handball-Trainer von Pfadi Winterthur ist Teilinhaber und CEO eines Instituts für Hypnose-Ausbildung. Im Februar 2023 begann ihre Zusammenarbeit. Was diese bewirkte, sahen die Zuschauer einige Monate später am Unspunnen-Schwinget. Giger trat voller Selbstvertrauen auf. Keine Spur von einem lähmenden Druck, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Sechs Kämpfe. Sechs Siege. Pure Dominanz.

Auch ein Jahr später arbeitet Giger noch immer intensiv mit Brüngger zusammen. Die beiden empfangen Blick Anfang August in ihrem Hypnoseraum in Winterthur ZH. Im hinteren Teil des rechteckigen Raumes steht ein schwarzer Stuhl, auf dem Giger während der Sitzung liegt. Davor hat es einen Tisch, wo sie sich jeweils ein paar Minuten unterhalten. «Vor jeder Session definieren wir ein Ziel», erklärt Brüngger. 

Ein eingespieltes Team: Hypnotiseur Adrian Brüngger (l.) und Spitzenschwinger Samuel Giger.
Foto: Sven Thomann
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Moment der Verletzung noch einmal durchleben

So auch in den drei Sitzungen, die sich um die Schulterverletzung des Unspunnensiegers drehten. Passiert ist es Ende April. Giger hat sich Sehnen- und Muskelgewebe sowie den Gelenkknorpel in der rechten Schulter angerissen. In Kombination mit der Schulmedizin und dem Reha-Training beschleunigte die Hypnose die Genesung.

«In einer ersten Phase mussten wir den Schock der Verletzung aus dem Unterbewusstsein und dem Körper bringen», erklärt Brüngger und ergänzt: «Ich liess Sämi den Moment der Verletzung noch einmal durchleben. Aber mit der Gewissheit, dass alles nicht so schlimm ist. So kann ich die negativen Emotionen, die damit verknüpft sind, neutralisieren.»

Ist das geschafft, geht Brüngger konkret auf die verletzte Körperstelle ein. Dafür benötigt er Informationen des Arztes. Diese lässt er während der Hypnose einfliessen. Brüngger unterbreitet Giger Vorschläge, die er weitergibt. «Ich spreche mit den Zellmännchen in meiner Schulter. Ich sage ihnen, dass sie das kaputte Material zur Seite räumen und abtransportieren sollen. Erst dann können sie das neue Material bringen», so der Kilchberg-Sieger. 

Giger könnte einen Baum ausreissen

Während dieser Zeit nimmt der Spitzenschwinger kaum etwas um sich herum wahr. Sein ganzer Fokus liegt auf der Schulter. «Ich stellte mir vor, dass es in ihr aussieht wie auf einer Baustelle.» Während Giger die Informationen weitergibt, beobachtet Brüngger die Reaktion der verletzten Stelle. «Die Schulter bewegt sich, das ist faszinierend.»

Seine Erklärung dahinter: «Mit der Hypnose erreicht man eine Ebene, auf der man mit dem Körper direkter verbunden ist.» Dies ermögliche eine einfachere Kommunikation mit den einzelnen Zellen, was den Genesungsprozess beschleunige. Für Giger bedeuten Hypnosesitzungen von rund einer Stunde totale Entspannung. «Wenn ich die Augen wieder aufmache, fühle ich mich topfit. Am liebsten würde ich hinausgehen und einen Baum ausreissen», meint er schmunzelnd. 

Schwünge im Kopf trainieren

Die Hypnose hilft ihm auch im Schwingtraining. Obwohl er nicht ins Sägemehl durfte, konnte er zu Hause verschiedene Schwünge üben. «Ich hypnotisierte mich selbst.» In diesem Zustand versetzte er sich in Gedanken in den Schwingkeller. «Ich habe mir jedes Detail vorgestellt. Das ist entscheidend. Man muss es so erleben, wie es wirklich ist.» In diesem Moment kann das Gehirn nicht mehr zwischen Vorstellung und Realität unterscheiden. Das bringt einen Trainingseffekt.

«Ich bin immer wieder verschiedene Schwünge durchgegangen.» Dass diese Methode eine Verbesserung bringt, belegen mehrere wissenschaftliche Studien. Während der Saison hypnotisiert sich Giger drei bis fünf Mal pro Woche. Eine Trainingseinheit ohne Anstrengung. «Das ist faszinierend.» 

Schlagwörter lösen positive Emotionen aus

Wie effektiv das Hypnosetraining neben dem athletischen Bereich und den Physio-Einheiten war, zeigte sich bei seinem Comeback Anfang Juni auf dem Stoos. Giger gewann das Bergfest in souveräner Manier. Vor rund drei Wochen triumphierte der Thurgauer auch auf der Schwägalp.

Nun steht mit dem Jubiläumsschwingfest der Saisonhöhepunkt an. Unterstützt wird Giger vor Ort einmal mehr von Brüngger. «Ich hypnotisiere ihn nicht vor dem Gang», stellt er klar. Giger befinde sich dann bereits in einem Trancezustand. «Die Suggestionen dringen so auch ohne Hypnose ins Unterbewusstsein ein.»

Bei Suggestionen handle es sich um «Knöpfe», die sie im Vorfeld installieren – in Form von Schlagworten. Während der Hypnosesitzungen erwähnt Brüngger diese immer wieder ein. Vor dem Gang baut er die Schlagwörter in seine Sätze ein. «Die lösen positive Emotionen bei Sämi aus. Damit er voller Überzeugen in einen Gang geht.» Wie am Unspunnenschwinget vor knapp einem Jahr.

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