«Ich gebe Vollgas, um eine Medaille zu holen»
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Daniel Yule kämpferisch:«Ich gebe Vollgas, um eine Medaille zu holen»

Yules harte Kritik an Ski-Boss Eliasch
«Dann würde ich sofort zurücktreten»

Die Walliser Daniel Yule und Ramon Zenhäusern im Doppel-Interview. Dabei setzt Yule zum Frontalangriff auf FIS-Boss Johan Eliasch an.
Publiziert: 19.02.2023 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2023 um 11:28 Uhr
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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Blick: Lassen Sie uns dieses Gespräch mit einem kleinen Quiz beginnen: Wann hat zuletzt ein Schweizer die WM-Goldmedaille im Slalom gewonnen?
Daniel Yule: Ich habe keine Ahnung! Gab es überhaupt jemals einen Schweizer Slalom-Weltmeister?
Ramon Zenhäusern: Ich weiss es auch nicht. Aber es ist sicher länger als 20 Jahre her.

Es war Georges Schneider aus dem ­Neuenburger Jura, der 1950 bei der WM in Aspen triumphierte. Aber wer hat die letzte Schweizer Medaille in einem ­WM-Slalom gewonnen?
Yule: Ich war zehn Jahre alt, als Silvan Zurbriggen 2003 in St. Moritz Silber gewonnen hat.
Zenhäusern: Genau! Silvan ist heute ein sehr guter Bekannter von mir. Er gab mir vor allem bezüglich des Materials einige sehr wertvolle Inputs.

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Können Sie sich an Ihr erstes Skirennen erinnern?
Zenhäusern: Das war bei einem JO-Rennen in Fiesch. Mein Papa schleppte damals einen alten, senfgelben, leicht verkürzten Renndress im Rucksack mit, den er vom grossen Pirmin Zurbriggen erhalten hat. Den ersten Lauf habe ich mit normalen Skihosen und einem Pullover bestritten und landete auf dem neunten oder zehnten Rang. Für den zweiten Durchgang hat mir Papa dann Pirmins Anzug ausgepackt. Ich habe mich damit auf den fünften Rang verbessert. Später stand ich in Jugendrennen oft mit Pirmin junior und dessen Cousin Joel Müller auf dem Podest.
Yule: Ich gab mein Wettkampf-Debüt in meinem Wohnort La Fouly. Es war anlässlich der Erika Hess Open. Ich war ungefähr fünf Jahre alt und habe sofort verstanden, dass ich bei einem Skirennen möglichst schnell vom Start ins Ziel fahren soll. Dummerweise habe ich nicht kapiert, dass ich alle Tore umkurven muss. So bin ich von oben bis unten gerade an allen Toren vorbeigefahren. Im Ziel war ich mir sicher, dass ich gewonnen habe, war überzeugt, dass man diesen Kurs nicht schneller meistern kann. Entsprechend gross war meine Enttäuschung, als ich die Rangliste sah. Man kann also sagen, dass ich meine Karriere als Abfahrer begonnen habe und dann doch ein Slalom-Spezialist wurde.

Daniel Yule hat im laufenden Weltcup-Winter bereits zwei Slalom-Siege gefeiert: Der Walliser jubelte in Madonna di Campiglio und in Kitzbühel.
Foto: Sven Thomann
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Persönlich

Daniel Yule (30)
Als Sohn britischer Einwanderer wuchs Yule in La Fouly auf. Als Skirennfahrer galt er anfänglich wegen seiner mässigen Technik als hoffnungsloser Fall. «Der wird im Weltcup nie in die Punkteränge fahren», meinte sein jetziger Trainer Matteo Joris, als er Yule 2012 erstmals beobachtete. Der damalige Swiss-Ski-Chefcoach Osi Inglin setzte aber weiter auf ihn. 2014 gewann Yule bei den Junioren WM-Bronze im Slalom. Im Dezember 2018 feierte Yule in Madonna di Campiglio seinen ersten Weltcupsieg. Mittlerweile sind es sechs. Damit ist er der erfolgreichste Schweizer Slalomfahrer.

Ramon Zenhäusern (30)
Der 2,02-Meter-Riese ist in Visp und Bürchen gross geworden. Weil er schon mit zehn Jahren 1,58 Meter gross war, glaubten die Jugendtrainer nicht, dass er einst auf den kurzen Slalom-Ski Karriere machen könnte. Ramon und sein Papa Peter haben sich aber nie von ihrem Weg abbringen lassen. 2018 wurde der Durchhaltewille mit dem ersten Weltcupsieg beim City-Event in Stockholm belohnt. Im selben Jahr gewann Zenhäusern, der parallel zum Skirennsport das Wirtschaftsstudium abschloss, Olympia-Silber im Slalom und Gold im Teambewerb. Den ersten von fünf Slalom-Siegen feierte er 2019 in Kranjska Gora.

Daniel Yule (30)
Als Sohn britischer Einwanderer wuchs Yule in La Fouly auf. Als Skirennfahrer galt er anfänglich wegen seiner mässigen Technik als hoffnungsloser Fall. «Der wird im Weltcup nie in die Punkteränge fahren», meinte sein jetziger Trainer Matteo Joris, als er Yule 2012 erstmals beobachtete. Der damalige Swiss-Ski-Chefcoach Osi Inglin setzte aber weiter auf ihn. 2014 gewann Yule bei den Junioren WM-Bronze im Slalom. Im Dezember 2018 feierte Yule in Madonna di Campiglio seinen ersten Weltcupsieg. Mittlerweile sind es sechs. Damit ist er der erfolgreichste Schweizer Slalomfahrer.

Ramon Zenhäusern (30)
Der 2,02-Meter-Riese ist in Visp und Bürchen gross geworden. Weil er schon mit zehn Jahren 1,58 Meter gross war, glaubten die Jugendtrainer nicht, dass er einst auf den kurzen Slalom-Ski Karriere machen könnte. Ramon und sein Papa Peter haben sich aber nie von ihrem Weg abbringen lassen. 2018 wurde der Durchhaltewille mit dem ersten Weltcupsieg beim City-Event in Stockholm belohnt. Im selben Jahr gewann Zenhäusern, der parallel zum Skirennsport das Wirtschaftsstudium abschloss, Olympia-Silber im Slalom und Gold im Teambewerb. Den ersten von fünf Slalom-Siegen feierte er 2019 in Kranjska Gora.

Mehr

In der sogenannten Future-Gruppe ­wurden Sie beide von Didier Plaschy gecoacht. In welcher Rolle gefällt er ­Ihnen besser: als Trainer oder als SRF-Kommentator?
Zenhäusern: In meinen Augen und Ohren macht Didier zwar beim SRF einen Top-Job, aber als Trainer ist er noch besser. Ich habe von der Zusammenarbeit mit ihm enorm profitiert. Ohne seine aussergewöhnlichen, aber genialen Trainingsmethoden hätte ich den Sprung an die Weltspitze wohl nie geschafft.
Yule: Mir ist Didier als Kommentator lieber (lacht laut). Ich habe so viel geflucht, als er mein Trainer war.

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«Didier Plaschy sagte uns, dass wir mit Ballett-Schuhen den steilen Berg hinuntersprinten sollen.»
Daniel Yule
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Welches war die aussergewöhnlichste Trainingseinheit mit Plaschy?
Yule: Das war in einem Camp in Zermatt. Am letzten Tag konnten wir witterungsbedingt nicht Ski fahren. Zuerst trainierten wir in der Turnhalle auf dem Trampolin, was mir ja noch gefiel. Danach gingen wir mit Didier auf die Gemmi. Oben angekommen, gab er den Befehl aus, dass wir jetzt mit Ballett-Schuhen diesen steilen Berg hinuntersprinten. Als wir gegen 17 Uhr auf dem Parkplatz beim Teambus ankamen, war ich mir sicher, dass endlich Feierabend ist. Stattdessen fuhr Didier mit uns nach Leuk, wo er uns zur Gleichgewichtsschulung Kickboard-Fahren auf einem Bein verordnete. Selbstverständlich mussten wir für diese Aufgabe bei 25 Grad im Schatten auch noch die Skischuhe anziehen. Ramon zog wie eine Maschine das geforderte Pensum durch, ich gab nach einer Runde völlig entnervt auf. Aber was mich am meisten geärgert hat: Während ich wie wild geflucht habe, hat Plaschy nur gelacht.
Zenhäusern: Didier legte immer grossen Wert darauf, dass wir uns möglichst oft auf den Zehenspitzen bewegen. Um das zu fördern, wollte er ein Konditions-Training in Stöckelschuhen durchziehen. In High Heels kann man ja gar nicht anders, als auf den Zehenspitzen zu laufen. Es war in diesem Fall mein grosses Glück, dass es diese Frauenschuhe in meiner Grösse 48 gar nicht gab. Legendär war auch die Art und Weise, wie Didier die Selektion für das Nationale Leistungszentrum tätigte.

Was ist da passiert?
Zenhäusern: Didier wollte bei dieser Selektion gar nicht sehen, wie wir mit den alpinen Ski fahren. Stattdessen mussten wir mit Langlauf-Latten von einem Gipfel wie dem Wildstrubel hinunterfahren. Im faulen Frühlingsschnee war das eine echte Challenge. Und es gab dadurch auch eine natürliche Selektion. Die Hälfte der NLZ-Aspiranten schied nach einer Woche aus. Und nach zwei Wochen nochmals die Hälfte ... Ich habe solche Aktionen geliebt, das waren echte Abenteuer.
Yule: Rückblickend kann auch ich sagen, dass mir der Trainer Plaschy viel gebracht hat. Er hat mich abgehärtet. Überstehst du seine Trainings, kann dich im Leben nicht mehr so viel schocken.

Welche Eigenschaft hätten Sie gerne von Ihrem Teamkollegen?
Yule: Den enorm schnellen Slalom-Schwung von Ramon. Ich bin mir sicher, dass ich mit ihm und Loïc Meillard die Slalomfahrer mit den weltweit grössten Fähigkeiten im Team habe. Würden die beiden in jedem Wettkampf so konstant schnell fahren wie im Training, würden sie praktisch bei jedem Weltcuprennen den Sieg untereinander ausmachen.
Zenhäusern: Ich muss nicht lange überlegen: Ich möchte meine Leistung im Rennen genauso auf den Punkt bringen können, wie das Daniel tut. Seine Coolness im entscheidenden Moment ist wirklich unglaublich. Vor allem wenn man bedenkt, dass er im Training meistens ordentlich Zeit verliert.
Yule: Für mich ist es manchmal brutal deprimierend, mit Ramon und Loïc zu trainieren. Obwohl auch ich im Training immer mein Bestes gebe, verliere ich dort im Vergleich mit ihnen brutal viel Zeit. Ich habe in diesem Winter eine einzige Trainingsbestzeit erzielt – das war in Österreich in Hinterreit, als ich alleine trainierte ... Ich kann mir das nur schwer erklären. Aber offensichtlich fahren einige meiner Gegner im Rennen aufgrund der nervlichen Belastung langsamer, während ich mich im Wettkampf steigern kann.

Österreichs Abfahrts-Spezialist Julian Schütter hat einen offenen Brief an die FIS geschrieben. Darin fordert er von ihr Klimaschutzmassnahmen. Rund 130 Athleten haben dieses Schreiben unterzeichnet. Gehören Sie dazu?
Yule: Ich habe unterschrieben, der Brief ist gut formuliert. Es war vor vier Jahren anlässlich der WM in Are, als ich praktisch der Einzige war, der öffentlich reklamiert hat, als der damalige FIS-Präsident Gian Franco Kasper die Klima­erwärmung in Abrede gestellt hat. Obwohl ich in diesen vier Jahren immer wieder für Verbesserungen gekämpft habe, ist nichts passiert. Deshalb bin ich froh, wenn jetzt mit Julian ein anderer Athlet Energie in dieses so wichtige Thema investiert.
Zenhäusern: Ich habe mich nur am Rand mit diesem Brief befasst. Auch ich bin zu 100 Prozent der Meinung, dass wir unser Klima besser schützen müssen, wir haben diesbezüglich ein Problem. Und ich versuche, meinen Teil beizutragen. Ich gehöre wahrscheinlich zu den Skirennfahrern, die am häufigsten mit dem Zug reisen. Dennoch bin ich nicht in der Lage, bei diesem Thema eine Vorzeigerolle zu übernehmen. Da bin ich in meinem Beruf eben doch zu oft aufs Flugzeug angewiesen.
Yule: Was nach der WM aufgrund des Weltcupkalenders passieren wird, ist für mich der absolute Wahnsinn! Die Speed-Fahrer fliegen zum zweiten Mal in diesem Winter nach Übersee, wir Slalom-Spezialisten für ein einziges Rennen. Diese Reiserei passt nicht mehr in unsere Zeit.
Zenhäusern: Genau dieses Beispiel ist ein Grund, warum ich mich nicht für eine Vorzeigerolle bezüglich Klimaschutz eigne. Auch ich finde es nicht gut, dass wir wegen einem einzigen Slalom in die USA fliegen. Letztendlich mache ich diese Übung aber mit. Deshalb wäre es unglaubwürdig, wenn ich mich in der Öffentlichkeit als Klimaschützer aufspielen würde.

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«Kann es fast nicht glauben, dass ein so schlauer Mensch wie Eliasch auf so dumme Ideen kommt.»
Daniel Yule
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Was halten Sie von Johan Eliaschs Idee, in Zukunft Skirennen in den Bergen Saudi-Arabiens oder in einer Skihalle in Dubai durchzuführen?
Yule: Ich kann es fast nicht glauben, dass ein so schlauer Mensch und erfolgreicher Unternehmer wie Eliasch auf so dumme Ideen kommt. Ich lege mich fest: Wenn der Tag kommt, an dem Rennen in Saudi-Arabien oder Dubai im Weltcupkalender fungieren, werde ich sofort meinen Rücktritt erklären!
Zenhäusern: Ich würde es ja begrüssen, wenn unsere Sportart auf weltweites Interesse stossen würde. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in Saudi-Arabien jemand Skirennen sehen will. Wollen wir wirklich etwas für unser Klima tun, dürfen wir sicher kein Rennen in einer Skihalle in Dubai durchführen. Wenn man in einer Stadt, in der Temperaturen von 40 Grad und mehr herrschen, eine Skihalle betreibt, ist das sicher alles andere als umweltfreundlich.
Yule: Beim Thema Eliasch gibt es noch einen anderen problematischen Aspekt: Es kann einfach nicht sein, dass er als FIS-Präsident immer noch für die Firma Head tätig ist. Der Besitzer von Man­chester United kann ja auch nicht Präsident der Uefa sein. Es gibt das Gerücht, dass Eliasch nach wie vor einigen Top-Athleten von Head das Gehalt aus der ­eigenen Tasche bezahlt. Das wäre ­ungefähr dasselbe, wie wenn Infantino den Lohn von Messi bezahlen würde – undenkbar! Und wenn ich sehe, wie ­Eliasch im Zielraum Head-Fahrer Pinturault umarmt, wirkt das auf mich schon sehr komisch. Zu mir sagte er kein Wort, als ich in Kitzbühel gewonnen habe.

Der WM-Slalom wird hier auf einem Hang ausgetragen, der noch nie im Weltcup-Programm war. Was wissen Sie über die Strecke?
Yule: Ich habe bewusst möglichst wenig an diesen Hang gedacht. Es reicht, wenn ich bei der Besichtigung weiss, was Sache ist. Macht man sich im Vorfeld zu viele Gedanken, vergeudet man nur Energie. Dieser Hang bedeutet ja auch für die meisten anderen Rennfahrer Neuland. Ausser für Loïc, Marco Schwarz und Alexis Pinturault, die hier schon den Kombi-Slalom bestritten haben. Aber auch für sie wird die Ausgangslage eine ganz andere sein, weil die Piste im Spezial­slalom nach der Präparation mit dem Wasserbalken viel härter ist. Das ist für mich wichtiger als alles andere. Mein Fahrstil und mein Material funktionieren auf einer harten Unterlage einfach am besten.
Zenhäusern: Ich habe jedes Mal zu diesem Hang hinaufgeschaut, wenn wir mit dem Auto an ihm vorbeigefahren sind. Und ich habe mir natürlich auch den Kombi-Slalom angeschaut. Ich freue mich, dass wir wieder einmal einen anderen Hang als im Weltcup fahren. Die ersten zwölf Tore sind richtig steil, danach wird es mittelsteil. Das Gelände ist ähnlich wie in La Thuile im Aostatal, wo wir in den letzten Tagen trainiert ­haben.

Benjamin Soland
Alle Infos zur Ski-WM 2023

In Courchevel und Méribel findet das Ski-Highlight des Winters statt. Hier findest du alles, was du über die Ski-WM 2023 wissen musst.

Benjamin Soland

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