Das war auch schon ganz anders
Lobeshymne statt Gift und Galle von Vonn für Shiffrin

Lindsey Vonn (38) äusserte sich einst sehr kritisch über Mikaela Shiffrin (27). Das ist längst vorbei. Die beiden liegen mit 82 Weltcupsiegen gleichauf.
Publiziert: 08.01.2023 um 17:21 Uhr
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Mathias GermannReporter Sport

Mikaela Shiffrin (27) in Trainingskleidern, gross auf dem Titelblatt des «Outside Magazine». Dazu der Text: «Sie ist die grösste Skirennfahrerin aller Zeiten.» Fünf Jahre ist es her, dass die US-Zeitschrift mit dieser Aufmachung einen Wutanfall bei Lindsey Vonn (38) verursachte. «Sie ist die beste Slalom-Fahrerin – ohne Frage», gab Vonn zu. Den Rest? Konnte man sich ausmalen. Zwei Jahre später schoss Vonn konkrete Giftpfeile ab. «Sie hat ihr eigenes Ding gemacht und sie wollte nie wirklich involviert sein oder meine Hilfe oder die Hilfe von irgendjemandem.» Shiffrin habe ihre Hilfe auch niemandem angeboten – das stiess Vonn sauer auf: «Ich denke, als professionelle Athletin – und insbesondere als ‹Beste aller Zeiten› – hat man die Verantwortung, anderen zu helfen.»

Seither ist viel passiert. Vor allem dies: Shiffrin hat weiter gewonnen. Nicht immer und mit Unterbrüchen, vor allem der Tod ihres Vaters Jeff (1955-2020) warf sie zwischenzeitlich aus der Bahn. «Ein Rücktritt war damals ein Thema», gab Shiffrin unlängst zu. Doch das Ski-Wunderkind aus Vail (USA) machte weiter. Und wie! In dieser Saison gewann sie 7 der 14 Rennen, zu denen sie gestartet war. Beim zweiten Riesenslalom in Kranjska Gora (Sln) kommt Sieg Nummer 8 hinzu. Damit hat Shiffrin 82 Weltcupsiege auf dem Konto, genau gleich viele wie Vonn. «Vielleicht hören die Leute nun auf, mich danach zu fragen», sagt sie lachend. «Ich versuche, nicht daran zu denken. Ich versuche, meine Ziele nicht deswegen zu verändern. Aber ja, es sind 82 Siege. Das ist unbeschreiblich.»

«Bekam Ausschlag im Gesicht»

Ob Shiffrin künftig tatsächlich von Fragen nach Rekorden verschont bleiben wird? Kaum. Schon am Dienstag beim Nachtslalom in Flachau (Ö) könnte sie mit einem weiteren Triumph Vonn stehenlassen, dann würden ihr noch drei Erfolge fehlen, um Rekordmann Ingemar Stenmark (86 Siege) einzuholen. Der legendäre Schwede zweifelt nicht daran, dass die Super-Technikerin es schaffen wird. «Sie wird mehr als 100 Siege holen», sagte er im letzten Jahr.

Geschafft! Mikaela Shiffrin holt Lindsey Vonn ein und hat nun auch 82 Weltcupsiege auf dem Konto.
Foto: keystone-sda.ch
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Fakt ist aber auch: Bis Shiffrin Stenmark überholt, wird sie wohl noch einige angespannte Momente überstehen müssen. So wie in Kranjska Gora. «Ich war so nervös, dass ich einen Ausschlag im Gesicht bekommen habe», erzählt sie im Zielraum. Vielleicht sei dies wegen der Rekordmarke gewesen. Sie beschreibt ihre Situation vor dem Start des zweiten Laufs, den sie als Führende in Angriff nahm: «Das Herz pumpt, und ich kann meine Beine nicht spüren. Immer, wenn ich das fühle, versuche ich, noch stärker zu sein, mich noch mehr ans Limit zu führen, anstatt zu lieb zu sein.»

Vonn brauchte 395 Rennen für ihre 82 Siege, Shiffrin hat die Marke in 233 Rennen geschafft. Mit 27 Jahren hat die Freundin von Norwegens Super-Elch Aleksander Kilde (30) noch viele Jahre vor sich – wenn sie denn möchte. Vonn jedenfalls äusserte sich vor Weihnachten sehr wohlwollend über ihre ehemalige Konkurrentin. «In meinen Augen ist sie die beste Skifahrerin, die jemals gelebt hat», sagte sie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».

Gut-Behrami lobt Shiffrin

Im ganzen Trubel rund um Shiffrin geht an diesem Tag in Kranjska Gora fast vergessen, dass auch eine Schweizerin glänzt: Lara Gut-Behrami (31). Die Tessinerin ist zwar nach wie vor nicht ganz zufrieden mit ihrer Position über dem Ski, fährt aber stark und von Halbzeit-Rang 5 auf Platz 3. «Die Balance an den Toren stimmt noch nicht ganz, aber ich bin schnell. Das ist positiv», sagt sie. Und zu Shiffrin? Da meint sie: «Es ist super, von solchen Geschichten lebt der Sport.»

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