Felix Neureuther über den Ski-Zirkus
«Es fehlen Typen mit Ecken und Kanten»

Felix Neureuther (33) ist diese Woche der grösste Abwesende in Wengen. Weil der zweifache Sieger vom Lauberhorn-Slalom (2013 und 2015) Ende November einen Kreuzbandriss erlitten hat, muss sich Deutschlands Ski-König die Rennen vor dem Fernseher reinziehen. Was ihm dabei besonders in die Augen sticht, erzählt er im Interview mit BLICK.
Publiziert: 09.01.2018 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 19:55 Uhr
Felix Neureuther drückt Carlo Janka für sein Comeback die Daumen.
Foto: KEYSTONE
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Interview: Marcel W. Perren

BLICK: Felix Neureuther, wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Carlo Janka?
Felix Neureuther: 
Carlo und ich hatten mitte Dezember ein längers Gespräch am Telefon. Ich wollte ja nach meinem Kreuzdbandriss die Verletzung genau wie er auf konservative Weise, also ohne Operation, behandeln. Er hat mir damals erzählt, dass er ordentliche Fortschritte erziele. Während ich in der Zwischenzeit nun aber doch eine OP über mich ergehen lassen musste, scheint es bei Carlo tatsächlich ohne operativen Eingriff zu funktionieren. Ich drücke ihm für sein Comeback am Lauberhorn die Daumen, ich schätze den Carlo als richtig guten, jederzeit authentischen Typen.

Wie verläuft ihre Reha rund zwei Wochen nach der Operation?
Bis jetzt ohne Probleme. Mir ist allerdings bewusst, dass ich mich ohne meine kleine Tochter und ohne meine Frau in der jetzigen Situation sehr schwer tun würde. Doch die Familie relativiert tatsächlich alles andere. Die Geburt von meiner Tochter hat mir auf wundervolle Weise gezeigt, dass es im Leben wirklich viel Wichtigeres gibt als Weltcupsiege oder Olympia-Medaillen.  Und seit meine Tochter Matilda da ist, bin ich auch nicht mehr bereit, für ein Comeback jeden Preis zu bezahlen.

Was heisst das konkret?
Ich gebe in der Reha zwar schon wieder richtig Gas, damit ich im nächsten Winter wieder Rennen bestreiten kann. Aber wenn ich bei der Rückkehr auf die Ski spüren sollte, dass ich mein Knie mit einer Fortsetzung meiner Karriere derart beschädigen würde, dass ich den Rest meines Lebens mit Arthrose verbringen müsste, würde ich sagen: Wisst ihr was, jetzt steht die Familie im Vordergrund, ich höre auf mit Skifahren.

Nehmen Sie den Skirennsport als TV-Zuschauer sehr viel anders wahr wie  ls Aktiver?
Ja, und mir sind bei den TV-Übertragungen leider auch einige negative Dinge so richtig bewusst geworden. Der alpine Skisport ist unbestritten etwas besonders Faszinierendes und international immer noch die Wintersportart Nummer 1. Aber man hat sich in den letzten Jahren zu wenig Gedanken gemacht, wie man das dieses tolle Produkt weiterentwickeln könnte. Es gibt zu viel Langeweile. Auch deshalb, weil im Ski-Zirkus richtige Typen mit Ecken und Kanten immer seltener werden.

Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?
Als ich ein Kind war, hat es im Skisport viel extremere Charaktere gegeben. Damals hat kaum ein Rennfahrer Normalität verkörpert. Aber jetzt gibt es mir zu viele normale Typen. Früher hat sich der Charakter der Athleten in ihrem Fahrstil widergespiegelt. Nehmen wir das Beispiel Didier Cuche, der für mich einer der geilsten Skifahrer überhaupt war. Der war auf und neben der Piste ein absoluter Draufgänger. Der hat sich weder von einem Sponsor noch vom Verbandspräsidenten das Wort verbieten lassen. Didier hat in den Interviews das gesagt, was er auch gedacht hat. Heute trauen sich viele Athleten viel zu wenig zu sagen.  Dominik Paris, Marcel Hirscher, Aksel Svindal, Manuel Feller, Beat Feuz, Carlo Janka oder auch ein Justin Murisier gehören zu den wohltuenden Ausnahmen.

Didier Cuche ist seit letztem Frühling Justin Murisiers Berater …
… und das macht sich auch  in seinem Fahrstil bemerkbar. Murisier ist genau wie Luca Aerni  ein richtig wilder Hund. Es gibt so viele talentierte Fahrer, die anstatt voll auf Sieg immer wieder mit dem Rechenschieber fahren, damit sie mit dem Gewinn von ein paar Weltcuppunkten ja ihren Startplatz in den ersten 30 nicht verlieren. Aber das ist definitiv nicht der Steil von Murisier und Aerni. Die wollen immer ganz vorne dabei sein und geht deshalb auch entsprechende Risiken ein. Und das wollen wir sehen. Deshalb schaue ich auch Marcel Hirscher so gerne zu, der dieses Angriffs-Gen besonders tief in sich verankert hat.

Marcel Hirscher ist überzeugt, dass unser Loic Meillard in Zukunft zum Sperstar avancieren wird. Sie auch?
Weil ich mit Loic im letzten Sommer in Neuseeland trainiert habe weiss ich, dass dieser Bursche definitiv ein grosses Potenzial hat. Doch mit der Bezeichnung «nächster Superstar» gehe ich bei so jungen Rennfahrern immer sehr vorsichtig um. Loic hat bis an die Spitze schon noch ein ordentliches Stück vor sich.

Sie haben sich vor drei Jahren in einem Interview im «Sonntagsblick» festgelegt, dass ein ganz grosser Skirennfahrer eine Startnummer von der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel in seiner Sammlung haben muss. Ihnen fehlt diese Startnummer noch immer … Ja, und das wird leider wahrscheinlich auch so bleiben. An meiner Meinung hat sich zwar nichts verändert, die Abfahrts in Kitzbühel ist für mich das Grösste im Skirennsport. Und eine Teilnahme reizt mich nach wie vor. Aber die Frage ist doch, ob ein Wechsel von den technischen Disziplinen auf die Abfahrt für mich jetzt noch einen Sinn macht. Und ich glaube, dass die Antwort auf diese Frage Nein lautet. Ich würde auf der «Streif» ja nicht an den Start gehen, um bis ins Ziel sechs Sekunden auf die Bestzeit zu verlieren. Ich möchte auch in der Abfahrt vorne mitfahren, aber das macht mein Körper wohl nicht mehr mit.

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