Hinterseer (89) & Leitner (86)
Auch die ältesten Kitz-Legenden schwärmen von Odermatt

Sie waren arme Bauernbuben. Doch in den 50er-Jahren haben Ernst Hinterseer und Hias Leitner mit dem Kitzbüheler Wunderteam die Ski-Welt erobert. Auch die Nachfahren haben es zu viel Ruhm und Geld gebracht.
Publiziert: 23.01.2022 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2022 um 12:04 Uhr
Marcel W. Perren (Text) und Sven Thomann (Fotos) aus Kitzbühel

Im Erdgeschoss der Hahnenkammbahn-Talstation wird im Legenden-Café bereits am Vormittag ordentlich Bier gezapft. Am Stammtisch sitzen mit Ernst Hinterseer und Mathias «Hias» Leitner zwei Vertreter von Österreichs Alpin-Hochadel, die sich gerade angeregt über einen jungen Schweizer unterhalten.

«Dieser Marco Odermatt ist ein genialer Skifahrer und ein sympathischer Bursche», schwärmt der bald 90-jährige Ernst Hinterseer, der 1960 beim Olympia-Slalom Gold holte. Mathias «Hias» Leitner, seines Zeichens Lauberhorn-Triumphator und Slalom-Vize-Olympiasieger von 1960, stimmt seinem drei Jahre älteren Kameraden zu. «Odermatt ist der Einzige, der selbst auf der technisch schwierigsten Abfahrt blitzsaubere Carving-Schwünge auspackt.»

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Aufregung um Odermatt-Interview

Der alte Hinterseer nippt an seinem Bierglas und erzählt, warum er sich im letzten Winter wegen eines TV-Interviews mit Odermatt fürchterlich aufgeregt hat. «Als die erste von zwei Hahnenkamm-Abfahrten nach 30 Fahrern abgebrochen worden ist, kam der Odermatt, der mit der 31 ins Rennen gegangen wäre, zum ORF-Reporter. Und dieser stellte dem Schweizer die dümmste Frage, die ich je bei einer Ski-Übertragung gehört habe: ‹Sind Sie froh, dass Sie nicht mehr starten müssen?›» Hinterseer kann sich kaum beruhigen: «Wie kann man einen so begnadeten Rennfahrer, der an diesem Tag wahrscheinlich in die Top 5 geschossen wäre, einen solchen Blödsinn fragen?!»

Die beiden Kitzbüheler Skilegenden Mathias «Hias» Leitner (links) und Ernst Hinterseer finden schade, dass sie heute keine Nachfolger mehr haben im Ski-Weltcup.
Foto: Sven Thomann
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Für einen Moment herrscht am Legenden-Stammtisch bedächtige Stille, bis der Journalist aus der Schweiz eine Frage stellt, die den einheimischen Ski-Altmeistern ebenfalls wehtut: Warum hat seit Jahrzehnten kein Kitzbüheler mehr den Sprung in den Weltcup-Zirkus geschafft? «Aus demselben Grund, warum seit vielen Jahren kein Zermatter eine bedeutende Rolle im Skirennsport spielt – die jungen Leute aus den sogenannten Nobel-Skiorten sind zu verwöhnt und haben daher zu wenig Biss, um den harten Weg an die Weltspitze auf sich zu nehmen.»

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Erste Banane mit 14 Jahren

Hinterseer, dessen Söhne Hansi (Riesenslalom-Vize-Weltmeister 1974) und Guido (Junioren-Weltmeister 1982) die letzten Kitzbüheler waren, die auf der grossen Ski-Bühne für Furore sorgten, erinnert sich an seine Blütezeit. Damals war genau das Gegenteil der Fall. «In Kitzbühel regierte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Armut. Wir hatten nur eine Möglichkeit, um ohne Geld die Welt kennenzulernen, und das war der Skisport. Und so ist eine Gruppe entstanden, die auch heute noch als Kitzbüheler Wunderteam bezeichnet wird.»

Zu dieser Jahrhundert-Equipe gehörten neben Hinterseer und Leitner der dreifache Olympiasieger Toni Sailer und der fünffache WM- und Olympia-Medaillengewinner Anderl Molterer. Sailer ist 2009 verstorben, Molterer lebt schon seit vielen Jahren in den USA.

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«Wir waren damals im wahrsten Sinne des Wortes hungrig nach Erfolg», legt Leitner nach. «In der Nachkriegszeit hatten wir zu Hause nur das Nötigste zu essen. Meine erste Banane habe ich mit 14 Jahren erhalten, als die amerikanischen Soldaten bei uns einmarschiert sind. Und deshalb sind wir besonders gerne zu den Rennen in die Schweiz gereist. Da wurden wir speziell in Wengen richtig verwöhnt.»

In Wengen den Luxus genossen

Hinterseer nickt: «Wenn wir mit dem Zug in Wengen ankamen, stand der damalige OK-Präsident Ernst Gertsch am Perron und hat jedem von uns 50 Franken Trinkgeld gegeben. Zudem konnten wir uneingeschränkt Ovomaltine trinken, was für uns der pure Luxus war.»

Unvergesslich bleibt für die beiden aber auch die erste USA-Reise im Jahr 1959. «Da war ich nach der Landung in Chicago ein erstes Mal komplett überfordert, als ich am Flughafen die Toilette aufgesucht habe», gesteht Leitner. Warum? «Als junger Bursche, der noch mit einem Plumpsklo aufgewachsen ist, hatte ich doch keine Ahnung, wie die moderne WC-Spülung der Amerikaner funktioniert …»

Trotzdem haben die Kitzbüheler Ski-Helden in den USA Karriere gemacht. Hinterseer wechselte unmittelbar nach Riesenslalom-Bronze bei Olympia in Squaw Valley vom Amateur-Lager auf die US-Profitour. Leitner folgte seinem Kumpel 1964 und wurde 1966, 67 und 68 Profi-Weltmeister. «In dieser Zeit haben wir dann auch wirklich gutes Geld verdient.»

Hinterseers Erben dürften heute aber deutlich mehr kassieren: Sein ältester Sohn Hansi (67) gehört zu den erfolgreichsten Volksmusik-Sängern, Enkel Lukas hat es als Fussball-Profi bis in die deutsche Bundesliga (Ingolstadt, HSV, aktuell Hannover 96) und in Österreichs Nationalmannschaft geschafft.

Von einer Karriere als Fussballer hat auch Leitners Grosssohn Mathias geträumt, der für die A-Junioren von 1860 München spielte. «Er war sehr talentiert, aber für den Sprung in den Profi-Kader hat ihm der letzte Biss gefehlt», glaubt der Opa. Die jungen Kitzbüheler sind eben tatsächlich nicht mehr so hungrig wie ihre Vorfahren.

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