Kanada-Chef Rufener vor WM-Abfahrt
«Feuz und Jansrud sind die Top-Favoriten»

Einst im Unfrieden aus der Schweiz geflüchtet. Und jetzt die triumphale Rückkehr mit dem kanadischen Team. Das Interview mit dem Heimweh-Engadiner Martin Rufener.
Publiziert: 12.02.2017 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 22:10 Uhr
Kanadas Alpin-Chef Martin Rufener feiert eine erfolgreiche Rückkehr in die Schweiz.
Foto: Sven Thomann
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Felix Bingesser und Marcel W. Perren

Der verlorene Sohn Martin Rufener krönt sich zum König von St. Moritz. Eine schöne Schlagzeile, oder?
Ich bin vieles, aber sicher kein König. Das war für mich einfach eine wunderbare Woche.

Und nach ihrer unschönen Verabschiedung 2011 als Cheftrainer der Schweizer doch eine grosse Genugtuung. Die späte Rache des Martin Rufener.
Auch wenn man mir das fast nicht glaubt: Für mich gibt es keine derartigen Gefühle. Das ist erledigt. Und trotzdem kann ich mir ein neuerliches Engagement bei Swiss Ski mittlerweile nicht mehr vorstellen. Für mich sind die Erfolge meiner Fahrer aus vielen anderen Gründen hochemotional.

Zum Beispiel?
Ich war schon bei der WM 2003 WM Rennleiter an diesem Berg. Ich kenne praktisch jeden Voluntari. Das ist wie eine Klassenzusammenkunft. Ich habe zehn Jahre im Engandin gelebt, meine beiden Töchter sind hier zur Welt gekommen. Ich kenne jedes Dorf und den Förster in jedem Dorf. Nach dem Sieg von Erik Guay standen plötzlich 14 ehemalige Nachbarn unangemeldet im Hotel. Wir haben dann meinen Geburtstag nachgefeiert. Ja, hier solche Erfolge zu feiern ist ein Traum.

Das emotionalste in ihrer Karriere?
Etwas vom Schönsten. Nur die beiden Olympiasiege von Didier Défago und Carlo Janka bei den Spielen in Vancouver können da mithalten.

Sie kennen den WM-Berg wie ihren Hosensack. Hat das ihren Fahrern viel geholfen?
Ich weiss, wie hier der Schnee ist. Das habe ich meinen Fahrern gesagt. Der Schnee in St. Moritz ist wie der Schnee in Colorado. Trocken und ziemlich aggressiv. Deshalb haben wir unser Material im November in Colorado genau für diese Verhältnisse abgestimmt. Und ich weiss, dass man auf diesem Berg nichts erzwingen kann. Das ist nichts für die Hillybilly-Fahrer wie es die Crazy Canucks früher waren. Hier hilft nur Gefühl und Technik. Und das hat Erik Guay.

Hat ihre Familie in Kanada die Rennen überhaupt gesehen?
Ja natürlich. Sie skypen jeweils mit meiner Schwiegermutter in Steffisburg. Und die richtet die Kamera dann Richtung Fernseher...

Haben die Erfolge in Kanada ein grosses Medienecho ausgelöst?
Verhältnismässig schon. In Kanada kommt der Skisport im Ranking der Wintersportarten an 13. Stelle. Das ist nicht nur Eishockey viel wichtiger. Sondern vieles mehr. Sogar Curling. Und trotzdem war der Sieg von Erik Guay im Super G sogar in den TV-Nachrichten. Und eine Schlagzeile in allen grossen Zeitungen. Das hilft uns sehr. Wir haben ja immer Probleme mit den Finanzen. Und einen Bruchteil der Mittel, wie sie die Schweiz oder Österreich haben.

Haben die Nordamerikaner einfach dieses Winner-Gen, diese Gabe am Tag X bereit zu sein?
Ich glaube, dass ist eher ein Klischee. Natürlich können sie gut fokussieren. Ich denke aber nicht, dass die Nordamerikaner mental soviel stärker sind als ein Europäer.

Aber ihre Erfolge im Skisport bei Grossanlässen sind augenfällig.
Das hat andere Gründe. Vor allem der Umstand, dass sie sich nie qualifizieren müssen. Sie können den ganzen Formaufbau auf die Grossanlässe ausrichten. Sie können immer ohne Druck fahren, weil sich in der Heimat sowieso keiner für die Weltcupresultate interessiert. Auch eine WM setzt sie nicht unter Druck. Die Nordamerikaner denken im Vierjahresrhythmus. Von Olympia zu Olympia.

Haben Sie nie Heimweh?
Ich bin ja immer wieder in der Schweiz. Und dann fliege ich drei, vier Tage für Air Glacier Helikopter. Dann fliege ich über jeden Berg und jedes Tal. Und das Heimweh ist gestillt.

Diese Möglichkeit hat ihre Familie nicht.
Meine Frau hat Heimweh nach dem Engadin. Wir schauen, was die Zukunft bringt. Meine ältere Tochter Michelle ist jetzt 17 und hat schon ein FIS-Rennen gewonnen. Vielleicht geht sie an die Sportschule nach Engelberg. Annika, meine jüngere Tochter, kann sich eine Lehre in der Schweiz sehr gut vorstellen. Mein Vertrag in Kanada läuft noch. Es ist vieles denkbar. Auch, dass wir über 2018 hinaus in Kanada bleiben.

In Canmore, wo sie daheim sind, gehören Begegnungen mit Bären zur Tagesordnung.
Nicht gerade zur Tagesordnung. Aber wenn ich mit dem Hund spazieren gehe, dann nehme ich den Bärenspray schon in den Hosensack. Da kam es auch schon zu einer Begegnung mit einem Schwarzbär. Und in vielen Bäumen lauern die Pumas. Zum Glück gibt es in Canmore aber auch ein Schweizer Bäcker und der aus dem Kanton Obwalden stammende Metzger Walter von Rotz, der herrliche Blut- und Leberwürste produziert.

Zurück zum Skisport: Die Schweiz hinkt immer noch ihren Ansprüchen hinterher. Man müsste zusammen mit Österreich Skination Nummer Eins sein. Warum klappt das nicht?
Es hat wohl tatsächlich etwas mit der vielzitierten Komfortzone zu tun. Es geht einfach allen zu gut. Das fängt bei den Trainern an.

Wie kann man denn diese Komfortzone übertölpeln?
Nur mit verrückten Typen voller Leidenschaft. Der Skisport ist extrem komplett und aufwändig. Man muss enorme Distanzen bewältigen um am idealen Ort zu trainieren. Es gibt ganz viele kleine Details, die am Ende entscheiden.

Das heisst?
Zeigen Sie mir einen Trainer wie Karl Freshner. Einer, der jeden Tag vierundzwanzig Stunden an den Skisport denkt. Der sich um jedes Detail kümmert, der diesem Trainerjob alles unterordnet. Solche Typen braucht es. Dann kann man auch die Fahrer abholen. Weil jeder jungen Athlet bringt die Leidenschaft mit. Aber solche Trainer gibt es heute fast nicht mehr, weil viele fähige Leute lieber ein intaktes Familienlieben haben als mit dem Ski-Zirkus um die Welt zu reisen.

Dann haben wir die falschen Trainer?
Das sage ich nicht! Aber grundsätzlich muss die Skination Schweiz schon ganz vorne mitmachen. Wenn wir auf einem Gletscher trainieren wollen müssen wir ins Flugzeug sitzen. Hier hat man alles. Perfekte Bedingungen und genügend finanzielle Mittel.

Was halten Sie eigentlich davon, dass Swiss Ski die Amerikaner vor der WM entgegen einer ursprünglichen Abmachung nicht hat auf der WM-Piste hat mittraineren lassen?
Das ist in meinen Augen ein absolutes No-Go! Die Schweizer haben im November im Trainings-Zentrum der Amerikaner in Cooper Mountain eine Woche lang enorm profitieren können, während die Amis ja umgekehrt in St. Moritz nur drei Fahrten absolviert hätten.

Heute wird in Graubünden über die Olympia-Bewerbung abgestimmt. Was ist die Meinung des Heimweh-Engadiners Martin Rufener?
Es muss sich im Schweizer Wintersport etwas bewegen, auch der Skisport braucht eine Vitaminspritze. Darum sollte so eine Bewerbung unbedingt zustande kommen. Olympische Winterspiele könnten viel Gutes auslösen.

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