«Peinlich», «eine Schande», «unwürdig»
Österreichs Abfahrer kassieren in der Heimat heftige Prügel

Österreichs Abfahrer befinden sich in der grössten Krise ihrer Weltcup-Geschichte. Die grossen Altmeister betreiben Ursachenforschung.
Publiziert: 17.01.2024 um 17:15 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 17:22 Uhr
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Marcel W. PerrenSki-Reporter

Nie war die Stimmung im Lager von Österreichs Abfahrern derart mies wie in diesen Tagen. In der rot-weiss-roten Medienlandschaft wird vor dem Heimspiel in Kitzbühel ordentlich schwarzgemalt. Viele Austria-Berichterstatter bezeichnen ihr Speed-Team als «Schande», «peinlich» oder «einer Skination unwürdig!»

Der Saisonstart der einst so stolzen Abfahrts-Armada ist tatsächlich historisch schlecht: In vier Rennen haben die Ösis in der Königsdisziplin erstmals in der 57-jährigen Geschichte des Alpinen Weltcups keinen einzigen Stockerl-Platz eingefahren! Der Equipe des einstigen Swiss-Ski-Erfolgstrainers Sepp Brunner fehlt aber nicht nur eine richtig scharfe Spitze, es gibt auch keine Breite. Am vergangenen Samstag waren bei der Lauberhorn-Abfahrt lediglich vier ÖSV-Athleten am Start.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, als der Speed-Kader unserer Nachbarn vor lauter Hochkarätern überquoll. Im Dezember 1998 regierte in Österreich nach dem Neunfach-Sieg beim Super-G am Patscherkofel die pure Überschwänglichkeit. Im November 2002 klassierten sich bei der Abfahrt in Lake Louise elf Österreicher in den Top 15.

Die Stimmung in Österreichs Abfahrtslager vor den Hahnenkammrennen in Kitzbühel ist mies.
Foto: AFP
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«Das ist besonders traurig»

Wie kann es sein, dass diese einstige Grossmacht seit ein paar Jahren kaum noch konkurrenzfähige Speed-Piloten herausbringt? Der Steirer Hans Knauss war in den späten 90ern und in den frühen 2000ern neben Hermann Maier, Stephan Eberharter, Fritz Strobl und Hannes Trinkl eine der Stützen im ÖSV-Wunderteam. 1999 triumphierte der heutige ORF-Experte bei der Hahnenkamm-Abfahrt.

Für Knauss steht fest, dass bei Ski Austria in den letzten zehn Jahren die Basis-Arbeit im Nachwuchs vernachlässigt wurde: «In dieser Zeit wurde fast alles in die Spitze investiert, man wollte die Top-Leute noch besser machen. Aber im Unterbau hat man sich nicht weiterentwickelt.» Der 52-Jährige geht ins Detail: «Als ich ein junger Rennfahrer war, konnte ich in Österreich locker sechs bis sieben FIS-Abfahrten pro Saison bestreiten. Heute werden bei uns kaum noch FIS- und Europacuprennen ausgetragen. Unserem Nachwuchs mangelt es an permanenten Abfahrtstrainingsstrecken, während die Italiener beispielsweise sieben davon haben. Und das stimmt mich besonders traurig: Früher hat der Rest der Ski-Welt auf uns geschaut, jetzt müssen wir uns an den anderen orientieren.»

«Diese Entwicklung haben wir verpasst!»

Rainer Salzgeber (56) war 1993 Vize-Weltmeister im Riesenslalom. Der Vorarlberger führt die Abfahrtskrise in Österreich auch auf seine einstige Parade-Disziplin zurück: «Der Abfahrtssport wird derzeit von zwei Athleten dominiert, die ursprünglich vom Riesenslalom kommen: Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin. Das ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Abfahrten immer technischer werden. Diese Entwicklung hat man in Österreich in den letzten Jahren verpasst.»

Deshalb muss Daniel Hemetsberger, der vor zwei Jahren auf der Streif den dritten Rang herausgefahren hat, auch öffentlich eingestehen, dass ihm die Analysen von Odermatts Traumfahrten nicht weiterhelfen: «Ich brauche mir kein Video vom Odi anzuschauen. Wenn ich solche Schräglagen wie er fahren würde, würde ich im Fangzaun landen ...» 

Kriechmayr weckt Hoffnung

Stellt sich die Frage: wie weiter, Ski Austria? Muss Trainer Sepp Brunner, der zuvor bei Swiss-Ski Carlo Janka zum Gesamtweltcupsieger geformt und Beat Feuz zum Abfahrts-Weltmeister gecoacht hat, seinen Posten räumen? Hans Knauss schüttelt den Kopf: «Das Problem liegt nicht an den Trainern, die sind gut. Das Problem ist, dass wir im Unterbau auf dem Niveau vor 15 Jahren stehengeblieben sind. Und das müssen wir dringend ändern.»

Der Salzburger Michael Walchhofer (48), der bei der WM 2003 in St. Moritz Abfahrts-Gold gewonnen hat, sieht das ein bisschen anders. «Ich glaube, dass unser Trainerstab mehr aus den Athleten herausholen könnte.» Es könnte aber sein, dass die Österreicher bereits am Freitag in der ersten von zwei Hahnenkamm-Abfahrten wieder Grund zum Jubeln haben werden. Vincent Kriechmayr hat im Training mit einigen brillanten Abschnittszeiten angedeutet, dass er zu den heissen Anwärtern auf einen Podestplatz gehört.

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