Ariella Kaeslin studiert zum zweiten Mal – sie wird Physiotherapeutin
«Physios waren auch unsere Seelsorger»

Als Kunstturnerin lud Ariella Kaeslin ihre körperlichen und seelischen Probleme beim Physiotherapeuten ab. Jetzt will sie selbst Physio werden.
Publiziert: 09.05.2019 um 01:15 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2019 um 07:18 Uhr
Cécile Klotzbach
Cécile KlotzbachSport-Redaktorin

Etwas hyperaktiv sei sie schon immer gewesen, sagt Ariella Kaeslin. Von den Opfern und Pflichten als Kunstturn-Star früh­zeitig ausgebrannt, beendete die ­Europameisterin und WM-Silber­gewinnerin im Sprung vor acht 
Jahren mit 23 überraschend ihre Karriere. Vom Sport kann sie dennoch nicht lassen: Ariella rudert, macht Langlauf, Marathons, Triathlons und übt sogar für den Ironman.

«Ich brauche heute noch die sportliche Challenge», gibt sie zu. «Aber ich muss aufpassen, dass ich mich nicht überbelaste. Natürlich bin ich nicht mehr so trainiert wie früher.» Sie mache bewusst keinen Kraftaufbau mehr. «Ausdauertraining tut mir mental und körperlich viel besser.»

Dafür trainiert sie in den letzten Jahren intensiv ihre Hirnmuskeln: Vom Studieren bekommt ­Ariella, die nebenher Referate und Coachings in Firmen 
abhält, offenbar auch nicht ­genug. Nach dem Studium der Sportwissenschaften und Psychologie in Bern will sie nun Physiotherapeutin werden.

Ariella Kaeslin will selbst Physio werden.
Foto: Christian Merz
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Ariella wohnt mit dem Freund in Buchs

Seit letztem September absolviert sie das vierjährige Studium an der SUPSI – einer von vier Schweizer Fachhochschulen für Physiotherapie in Landquart GR.

«Die Schule ist streng und zeitauf­wendig», sagt die Luzernerin. Zum Glück hat sie es nicht weit nach Hause. Mit ihrem Freund, dem Sarganser Sport- und ­Englisch-Lehrer Oliver (31), den sie vor einem Jahr beim Engadiner Ski-Marathon 
kennenlernte, lebt Ariella heute in Buchs im Rheintal. ­«Lebensphasen» heisst das Ausbildungsmodul im ersten Semester, bei dem SonntagsBlick Ariella in Landquart besucht. Es ist das Studium über Training in der Kindheit, als Erwachsener und als Senior. Unter den wachsamen Augen von Studiengangleiter Kahim Mundy und dem wissenschaftlichen Assistenten Carlo Paganoni lernt die 31-Jährige Handgriffe und Übungen zur Stärkung und Mobilität von Rücken, Hüfte oder Schultern.

An Gewichtsstangen lernen die Schüler die Bewegungen in kor­rekter Haltung kennen. Und im 
korrekten Rhythmus: Laute Rap-Musik begleitet die sogenannten Backsquats, Hang Cleans, Front­squads und Deadlifts – alles Grundlagen für die «aktive Therapie».

Die Mitschüler fragen ­Kaeslin aus

Bewegungs-Fanatikerin Ariella machen die praxisorientierten Stunden Spass, aber auch die Theorie störe sie nicht. «Ich ziehe Sport immer noch Büchern vor. Aber bin ich mal dran, packts mich, weil ich wissenshungrig bin. Das Thema Körper und Krankheiten ist mein Ding.»

Diese Faszination entstand schon als Kunstturnerin, als sie täglich mit ­Physios zu tun hatte. «Ich fragte ständig, warum sie was an mir machen. Dazu waren die Physios im Leistungszentrum Magglingen auch unsere Seelsorger, die den Turnern ­zuhörten und uns stets ernst ­nahmen.»

An der SUPSI fragen andere ­Kaeslin aus und hören gebannt zu, wenn sie Erfahrungen aus Sportler- Karriere und Sportstudium einfliessen lässt. Mitschülerin Lucilla sagt: «Das ist spannend. Aber Ariella erzählt nur, wenn wir sie fragen. Man merkt ihr die früheren Erfolge nicht an. Sie ist eine von uns.»

Auch Studiengangleiter Kahim Mundy bestätigt, dass Ariella ­«total bodenständig» sei. Und ­betont, dass sie keinerlei Vorzugsbehandlung geniesse. «Bei der strengen Aufnahmeprüfung waren wir sogar besonders kritisch bei ihr.» Die 48 Studenten aus rund 200 Bewerbungen pro Lehrgang sollten möglichst alle abschliessen, denn es herrscht ein grosser Mangel an gut ausgebildeten Physios in der Schweiz, wo der Beruf seit 2006 akademisch ist. Mundy: «Wir mussten sicher sein, dass sie ein zweites Studium wirklich will.»

Ariella will und geniesst ihr ­Studentenleben. «Alle hier haben schnell gemerkt, dass ich ganz ­normal bin. Und die meisten sind erstaunt, dass ich schon 31 bin.» Sie lacht. «Ich glaube, mein ­Verhalten ist nicht ganz altersentsprechend.» In Wahrheit holt sie nur nach, was sie in früheren ­Zeiten des Drills verpasst hat.

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