«Endlich rückt unser Sport wieder in positives Licht»
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Steingruber vor Heim-EM:«Endlich rückt unser Sport wieder in positives Licht»

Giulia Steingruber freut sich auf Heim-EM in Basel
«Endlich rückt unser Sport wieder in positives Licht»

Giulia Steingruber ist zurück. Nach eineinhalb Jahren bestreitet die 27-Jährige an der EM in Basel wieder ihren ersten Grosswettkampf. Besser? «Nein, aber sicherer», sagt sie.
Publiziert: 17.04.2021 um 18:30 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2021 um 20:08 Uhr
Cécile Klotzbach

Für eine Kunstturnerin in ihrem Alter und mit ihrem Verletzungs-Dossier war es nicht selbstverständlich, dass sich Giulia Steingruber noch einmal aufraffen konnte. Neue Ziele stecken, Grosstaten anvisieren, täglich üben und Risiken eingehen. Kein Wunder, setzte sich die 27-jährige Gossauerin nach der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio von 2020 auf 2021 ernsthaft mit dem Thema Karriereende auseinander.

Aber nein, Giulia kam zum Schluss: «Ich bin noch nicht durch!» Und in der intensiven und kontinuierlichen Vorbereitungsphase zur EM in Basel motivierte sie ein Gedanke immer mehr: dass eine EM im eigenen Land unmittelbar vor Olympia ein gutes Omen ist. Und dass es vielleicht sogar besser ist, erst dieses Jahr nach Tokio zu reisen. Die Erinnerung an Bern 2016, wo sie Gold in Sprung und Boden holte und wenige Monate später beflügelt in Rio den Sprung zu Olympia-Bronze schaffte – sie lebt. «Es wäre so cool, wenn ich das wiederholen könnte!»

Mami Giulia mit ihren Küken

Gestern rückte die Schweizer Delegation aus ihrer Trainings-Blase in Magglingen in die Wettkampf-Blase in Basel ein. Negativer PCR-Test vorausgesetzt. Das Männer-Team besteht aus Aushängeschild Pablo Brägger, dem Reck-Europameister von 2017, Christian Baumann (26), Benjamin Gischard (25), Noe Seifert (22), Andrin Frey (20) Marco Pfyl (23) und Ersatzmann Samir Serhani (21). Bei den Frauen führt Steingruber die Equipe um Stefanie Siegenthaler (22) und die Neulinge Lilli Habisreutinger (16), Anina Wildi (18) und Martina Eisenegger (15, Ersatz) klar an.

An der EM 2016 in Bern holte Giulia Steingruber Gold im Sprung ...
Foto: Keystone
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«Ich bin stolz auf sie, hoffentlich zeigen sie eine gute Qualifikation – sie hätten es verdient», sagt Giulia. Sie sei stets bereit, zu helfen und ihre grosse Erfahrung weiterzugeben. Auch in diesen schwierigen Zeiten im Verband wolle sie den jüngeren Kolleginnen eine Stütze sein – Untersuchungen gegen ihren Chefcoach Fabien Martin wegen Drohmethoden und psychischen Missbrauchs sind noch immer im Gange. Sie selbst habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. «Ich kann weitergeben, wie wichtig eine offene Kommunikation mit den Trainern ist. Alle dürfen jederzeit auf mich zukommen, das wissen sie.»

Giulia klingt wie ein Mami, das seine Küken führt. «Das bin ich auf gewisse Art tatsächlich. Aber trotz grossem Altersunterschied ist unser Teamgeist toll.» Die Heim-EM komme in jeder Hinsicht zum perfekten Zeitpunkt. «Es freut mich, dass unser Sport nun wieder ins positive Licht gerückt werden kann.»

Die alten Sprünge, dafür gut und sauber

An Herzblut fehlt es der fünffachen Europameisterin derzeit also nicht. An Übungen, die ihre Ausgangswerte im wachsenden Niveau der Weltspitze steigern könnten, hingegen schon. Zwar feilte Giulia in den letzten Monaten an neuen Sprüngen. Einer davon wäre sogar eine Weltpremiere – den Jurtschenko mit Doppelsalto rückwärts gehockt hat noch keine Frau gezeigt.

«Die erste Frau zu sein, die diesen Sprung steht, wäre eine grosse Ehre», sagt sie – hält aber sogleich fest, dass sie weder mit diesem noch mit dem anderen neuen Sprung (Jurtschenko mit halber Drehung und Salto vorwärts gestreckt mit anderthalb Drehungen) schon so weit ist. Ihre Gesundheit will Steingruber nicht riskieren, sie geht auf Nummer sicher und setzt in Basel auf ihre altbewährten Standardsprünge (Tschussowitina und Jurtschenko mit Doppelschraube) und Qualität. «Lieber gut und sauber turnen.»

Giulias Ziele sind auch sonst eher defensiv gesteckt: «Ich will mich im Mehrkampf, am Sprung und am Boden für die Finals qualifizieren. Der Balken-Final wäre das Tüpfli auf dem i.» Mit einem Top-12-Platz im Mehrkampf könnte sie leben, mit Diplomen an den Geräten auch. Sie erinnert: «Ich bin ein paar Jahre älter geworden, hatte einige Verletzungen.»

Olympia als Motivation

Die letzte war der Kreuzbandriss im Juli 2018. Sie fiel mehr als ein Jahr aus, nahm nach ihrem Comeback im Herbst 2019 an der WM in Stuttgart teil, wo sie im Mehrkampffinal 18. wurde und den Sprungfinal als Neunte knapp verpasste. Heute, eineinhalb Jahre später, ist sie optimistisch, besser zu turnen. «Ich zeige die gleichen Übungen, aber mein Selbstvertrauen ist viel grösser.»

Den Gipfelsturm behält sie für Tokio auf, gleich nach der EM geht sie die höheren Schwierigkeitsgrade wieder an. Seit Rio sei alles auf ihre dritte Olympia-Teilnahme ausgerichtet. Und wenn die Spiele wegen Corona nicht stattfinden? Steingruber: «Das wäre natürlich megabitter, und ich wüsste nicht, wie es mit mir weitergehen würde.» Im Moment verschwende sie aber keine Gedanken daran. «Ich mache mit der Einstellung weiter, dass die Spiele stattfinden. Das gibt mir enorm viel Motivation!»

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