In Brasilien kämpfe er mit Homophobie – in Jona ist er glücklich
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Schwuler Volley-Star:Zuhause kämpfte er mit Homophobie – in Jona ist er glücklich

«Ich hatte Angst»
Volleyball-Profi Dos Santos über sein Outing

Michael Dos Santos ist der erste Volleyball-Profi, der sich als homosexuell geoutet hat. In seiner Heimat Brasilien wurde er deshalb von den Fans beschimpft. Der TSV Jona hat den 35-Jährigen mit offenen Armen empfangen.
Publiziert: 17.03.2019 um 14:12 Uhr
|
Aktualisiert: 18.03.2019 um 11:26 Uhr
Nicole Vandenbrouck

Michael Dos Santos sagt es ohne Umschweife und mit sanfter Stimme: «Ja, wenn ich gewusst hätte, wie das Leben hier ist, wäre ich schon früher ­hierher gekommen.» Denn was der Brasilianer Verletzendes in seiner Heimat erleben musste, bleibt unvergessen.

Rückblende: Es ist der 1. April 2011. Das erste Halbfinal-Spiel in der höchsten brasilianischen Liga zwischen Sada Cruzeiro Volei und Volei Futuro läuft. Futuro-Blockspieler Dos Santos nimmt sich den Ball zum Servieren. Tausende gegnerische Fans schreien aus voller Kehle: «Schwuchtel, Schwuchtel!» ­Sogar Kinder stimmen mit ein, Frauen zeigen dem Volleyball-Star den Mittelfinger. Er erträgt es stoisch. Sagt später aber, dass es ihm wehgetan habe, so behandelt zu werden.

Sein Klub steht geschlossen hinter Dos Santos, denn mannschaftsintern – wie auch in seiner Familie – ist ­seine Homosexualität längst kein Geheimnis mehr. Volei Futuro reicht Beschwerde ein und verlangt vom brasilianischen Verband Sanktionen. Sada Cruzeiro Volei wird später mit einer Busse von umgerechnet rund 32 000 Franken belegt. Im nächsten Halbfinal-Duell spielt der Futuro-Libero in Regenbogen-Farben, es werden rosa Schleifen an die Zuschauer verteilt.

Michael Dos Santos ist der erste Volleyball-Profi, der sich als homosexuell geoutet hat.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Denn in den Tagen dazwischen hat Michael Dos Santos einen einschneidenden, mutigen Entscheid gefasst: Der damals 27-Jährige ­outet sich in den Medien als erster Volleyball-Profi als schwul. «Zunächst war ich noch etwas skeptisch», erinnert er sich heute, «ich hatte Angst davor, keine Verträge mehr zu bekommen.» Und seine Grosseltern, bei denen er aufwuchs, fürchteten sich vor den Konsequenzen für ihren Enkel ausserhalb des Sports. Heute sagt der Brasilianer: «Es war es wert, so offen zu sein. Ich habe das Richtige getan. Denn sich selbst immer verstecken zu müssen, tut einem Menschen nicht gut.»

Mit seinem Outing löst der Volleyball-Star eine Debatte über die Schwulen-Feindlichkeit in seiner Heimat aus. In Brasilien, wo einerseits im TV Wahlen der schönsten Frauen-Pos durchgeführt werden, ist das Volk andererseits erzkonservativ und katholisch.

«Respektvoller Umgang»

Das ganze Ausmass der Debatte, die fortwährende Homophobie, bekommt auch sein Landsmann Denis Milanez mit, der heute Trainer der NLA-Volleyballer des TSV Jona ist. Dos Santos war einige Jahre vor dem Outing sein Gegenspieler.

«Nicht manche Männer hätten die Eier dafür, so mutig hinzustehen», sagt Milanez, der den letzten Sommer vertragslosen Dos Santos von einem Wechsel in die Schweiz überzeugt hat. «Ich erklärte ihm, dass seine Homosexualität hier kein Problem sein werde und er hier sein Leben leben könne.» Und dass der TSV Jona einen guten, erfahrenen Spieler wie Dos Santos brauche. Klub-Präsident Hajo Zwanenburg spricht damals mit der Mannschaft offen darüber, «die Mitspieler integrieren ihn toll». In Brasilien blieb immer eine gewisse Distanz. «Die Menschen sahen nicht mehr den starken Volleyballer in ihm, sondern nur noch den Schwulen.»

Dass er dadurch schier grössere Berühmtheit erlangte als durch seine Volleyball-Erfolge, ist der einzige Punkt, der den sanften Riesen manchmal noch etwas beschäftigt an seiner Geschichte. «Denn ich selbst habe mich immer so akzeptiert, wie ich bin.» Dies rät der 2,02-Meter-Hüne auch allen Gleichgesinnten, die den Schritt vielleicht noch nicht gewagt haben.

In Jona SG jedenfalls fühlt sich der Volleyballer pudelwohl, wohnt mit zwei Teamkollegen in einer WG. «Ich fühlte mich hier sofort willkommen. Die Menschen pflegen einen respektvollen Umgang», so Michael Dos Santos, «und ich hatte noch nie negative Reaktionen.» Weder auf dem Feld noch von den Zuschauern. So wie es überall sein sollte.

Das meint BLICK zum Outing

Wenn es um Homosexualität geht im Sport, wird Akzeptanz, Toleranz und Offenheit gefordert. Immer wieder. Und auch zurecht!

Doch aufgrund der homophoben (Sport-)Gesellschaft gibt es selbst im 21. Jahrhundert noch immer Profi-Athleten in wohl jeder Sportart, die den Mut für ein Outing nicht aufbringen – aus Angst vor den Konsequenzen. Oder den Reaktionen von Mitspielern und Zuschauern.

Aussagen wie jene von FCZ-Kicker Kololli (im BLICK) zum Beispiel, der Konflikte befürchtet, weil man ja zusammen dusche. Oder Reaktionen wie im Fall des brasilianischen Volleyball-Stars Michael dos Santos, der sich von gegnerischen Zuschauermassen als Schwuchtel beschimpfen lassen musste. Unfassbar, ärgerlich, traurig.

Bei Dos Santos’ Mitspielern des TSV Jona nachgefragt über die Akzeptanz und Toleranz im Team, liefern sie die beste Antwort überhaupt: Das sei gar nie Thema gewesen – weil es einfach normal ist. Danke! Sie leben den Respekt vor, den Mitmenschen (und Mitspieler) voreinander haben sollten.

Nicole Vandenbrouck

Wenn es um Homosexualität geht im Sport, wird Akzeptanz, Toleranz und Offenheit gefordert. Immer wieder. Und auch zurecht!

Doch aufgrund der homophoben (Sport-)Gesellschaft gibt es selbst im 21. Jahrhundert noch immer Profi-Athleten in wohl jeder Sportart, die den Mut für ein Outing nicht aufbringen – aus Angst vor den Konsequenzen. Oder den Reaktionen von Mitspielern und Zuschauern.

Aussagen wie jene von FCZ-Kicker Kololli (im BLICK) zum Beispiel, der Konflikte befürchtet, weil man ja zusammen dusche. Oder Reaktionen wie im Fall des brasilianischen Volleyball-Stars Michael dos Santos, der sich von gegnerischen Zuschauermassen als Schwuchtel beschimpfen lassen musste. Unfassbar, ärgerlich, traurig.

Bei Dos Santos’ Mitspielern des TSV Jona nachgefragt über die Akzeptanz und Toleranz im Team, liefern sie die beste Antwort überhaupt: Das sei gar nie Thema gewesen – weil es einfach normal ist. Danke! Sie leben den Respekt vor, den Mitmenschen (und Mitspieler) voreinander haben sollten.

Nicole Vandenbrouck

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Wenn Sportler sich outen

Der Trend ist klar: Immer mehr schwule Sportler outen sich. Viele davon aber leider erst nach ihrer Karriere.

1976
Der britische Eiskunstläufer John Curry († 45) wird von der «Bild»-Zeitung gegen seinen Willen geoutet. Er stirbt 1994 an einem durch Aids verursachten Herzinfarkt.

1985 
Ex-College-Footballer Ed Gallagher († 48) räumt als 28-Jähriger einen Selbstmordversuch aufgrund von Depressionen wegen seiner sexuellen Orientierung ein. Er überlebt ihn, bleibt aber querschnittsgelähmt.

1988 
Der amerikanische Dressurreiter Robert Dover ist der erste bekennende schwule Sportler an Olympia.

1990
Justin Fashanu († 37) wagt als erster Fussballprofi das Coming-Out noch während seiner Aktivkarriere. Danach schlägt ihm eine Welle von Unverständnis und Verachtung entgegen. Er erhängt sich 1998 in seiner Garage in England, weil er erfahren hatte, dass er mit internationalem Haftbefehl gesucht werde. Ein 17-jähriger Amerikaner beschuldigte ihn der Vergewaltigung.

1992 
Ex-Schwimmer Bruce Hayes (USA) ist der erste Olympia-Goldmedaillen-Gewinner, der sich zu seiner Homosexualität bekennt.

1994
Der amerikanische Wasserspringer und vierfache Olympiasieger Greg Louganis erklärt, dass er schwul und HIV-positiv sei. Das Pikante daran: Bereits an Olympia 1988, wo er nach einem Sturz ins Becken Blut verlor, war er infiziert.

1995
Der schwedische Eishockeyspieler Peter Karlsson († 29) wird nachts in Västeras (Sd) erstochen. Der Täter, ein Hockeyfan, begründet den Mord mit Karlssons Homosexualität.

1996
Die bekennend schwulen Turmspringer Patrick Jeffrey und David Pilcher nehmen an den Olympischen Spielen in Atlanta teil. Und Rudy Galindo ist der erste Eiskunstläufer, der sich outet.

2000
Wegen «verbreiteter Homophobie» beendet der norwegische Fussballer Thomas Berling als 21-Jähriger seine Profikarriere.

2003
Lacrosse-Profi Andrew Goldstein ist der erste US-Sportler, der sich während seiner Karriere outet.

2007
Ex-Basketballer John Amaechi ist der erste NBA-Spieler, der sich outet. Und der deutsche Ex-Fussballer Marcus Urban veröffentlicht seine Biografie «Versteckspieler». Heute berät er schwule Fussballer.

2009 
Der walisische Rugby-Star und Rekord-Nationalspieler Gareth Thomas ist der erste Rugby-Spieler, der sich bekennt.

2010 
Coming-Out des australischen Schwimm-Olympiasiegers Daniel Kowalski.

2011 
Der Brasilianer Michael Dos Santos ist der erste Volleyball-Profi, der sich outet.

2012 
Der Puertoricaner Oscar Cruz ist der erste Boxer, der sich outet und wird erster schwuler Box-Weltmeister.

2013 
Als er für Olympia in Sotschi fürs US-Teams nominiert wird, sagt Eiskunstläufer Brian Boitano, dass er homo-sexuell sei. US-Fussballer Robbie Rogers ist der erste noch aktive MLS-Spieler, der sich bekennt. Der britische Turmspringer und Olympiasieger Tom Daley outet sich. Und Jason Collins (USA) ist der erste Basketballer, der dies während seiner Karriere tut.

2014 
Australiens Schwimm-Star Ian Thorpe bestätigt, dass er schwul sei. Und der deutsche Ex-Fussball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger redet erstmals offen über seine Homosexualität.

2015 
Freestyle-Skifahrer und Olympia-Teilnehmer Gus Kenworthy (USA) outet sich. Ihm tun es die beiden Minor-League-Baseballer David Denson und Sean Conroy nach. US-Footballspieler Michael Sam outet sich sogar noch vor dem NFL-Draft, der britische Geher und Rekordhalter Tom Bosworth in einem BBC-Interview. In diesem Jahr steht auch US-Eiskunstläufer Adam Rippon zu seiner Homosexualität.

2017 
Der Schweizer Pascal Erlachner outet sich im SonntagsBlick als erster Spitzen-Schiri. «Ich hoffe, dass ich mit meinem Outing eine öffentliche Diskussion anrege», erklärt er damals.

2018 
Ein Jahr nach seinem Rücktritt erklärt der Aargauer Ex-Kunstturner Lucas Fischer: «Ich fliege auf Männer.» Und weiter: «Homosexualität ist im Spitzensport nach wie vor ein grosses Tabu. Wenn von schwul gesprochen wird, dann entweder im Witz oder als Beleidigung.»

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