Bob-Legende Erich Schärer
«Dann wurde ich von der Polizei abgeführt»

Wir waren Helden! Heute vor 40 Jahren wurde Erich Schärer (73) Bob-Olympiasieger. Der Zürcher über einen Sturz, der sein Leben veränderte und eine Spionage-Aktion, die einen Polizei-Einsatz auslöste.
Publiziert: 26.02.2020 um 14:49 Uhr
Daniel Leu (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Herr Schärer, haben Sie Ihr grösstes Glück einem Sturz zu verdanken?
Erich Schärer: Warum meinen Sie?

1980 lernten Sie dank eines Unfalls Ihre heutige Frau kennen.
Das stimmt. In St. Moritz stürzte ich im Training und verletzte mich am Oberschenkel. Ich ging dann zum Arzt. Dort arbeitete Francesca als Praxisassistentin. Ihr Job war es, mich zu pflegen.

Waren Sie ein einfacher Patient?
Wahrscheinlich nicht. Ich war schon immer ungeduldig und erschien regelmässig zu spät zu den Arztterminen. Irgendwann dachte ich mir: Wenn sie mir bei der Genesung helfen kann, dann kann sie das vielleicht auch in anderen Lebensbereichen. Jetzt sind wir schon 33 Jahre glücklich verheiratet.

Sein grösster Triumph: 1980 wurde Erich Schärer im Zweierbob Olympiasieger.
Foto: Keystone
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Sie waren ursprünglich Zehnkämpfer. Wie kamen Sie zum Bobsport?
Durch meinen älteren Bruder Peter. Im Militär lernte er einen Freund des Bob-Piloten Jean Wicki kennen. Peter und ich dachten dann: Lass uns das mal ausprobieren. Zuerst trainierten wir hier in Herrliberg auf der Strasse. Als wir dann das erste Mal in St. Moritz mit René Stadler fuhren, waren wir auf Anhieb die Schnellsten. So nahm alles seinen Lauf.

1972 nahmen Sie erstmals an Olympischen Spielen teil. Und sorgten gleich für einen Eklat.
Der IOC-Präsident hiess damals Avery Brundage. Er war gegen die Kommerzialisierung des Sports, ich aber dafür. Deshalb lief unser Team in Sapporo etwas provokativ mit einem «I like Brundage»-Sticker rum. Das gab natürlich ein Riesentheater.

Vier Jahre später in Innsbruck gabs wieder Wirbel um Ihre Person. Zwei Tage vor dem Vierer ersetzten Sie Ihren Bruder Peter als Anschieber. Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?
Das war natürlich eine unangenehme Situation. Doch wenn du gewinnen willst, musst du auch schwierige Entscheidungen fällen können.

Wie haben Sie das Ihrem Bruder mitgeteilt?
Da muss ich kurz ausholen. Ein Jahr zuvor waren wir am Start immer die Schnellsten. In der Olympia-Saison aber nicht mehr, denn Peter hatte Probleme mit der Achillessehne. Also hielt unser Team eine Krisensitzung ab. Das Resultat kennen sie. Ich musste entscheiden, dass er ausgewechselt werden muss.

Wie sehr hing danach der Haussegen schief?
Als ich nach Olympia nach Hause kam, war meine Mutter gar nicht glücklich. Trotz zwei gewonnenen Medaillen.

Gab es ein Donnerwetter?
Sagen wir es so: Es hingen schon ein paar Wolken am Himmel. Wenige Wochen später startete ich im Zweier aber bereits wieder mit meinem Bruder an der EM. Wir siegten. Trotzdem: Etwas hängen bleibt nach so einer Entscheidung immer.

1980 holten Sie dann endlich Olympia-Gold im Zweier. Der Legende nach fuhren Sie in den Rennen zuvor extra etwas gemächlicher, um nicht zu gewinnen.
Das stimmt. Wir waren vorher zweimal Weltmeister. Ich befürchtete aus Erfahrungen, dass wir dadurch ein bisschen nachlässiger werden könnten. Deshalb wollte ich vor Olympia kein Rennen gewinnen, damit wir dann in Lake Placid so richtig heiss sind.

Hielten Sie sich an den Plan?
Ja, bis auf ein Rennen. In St. Moritz wurden wir im Vierer Europameister, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollten.

In Lake Placid ging Ihr Plan aber auf.
Ja, wir holten Gold im Zweier. Es hätte aber auch anders kommen können.

Warum meinen Sie?
Nach jeder Trainingsfahrt lief ich jeweils die Bobbahn rauf und runter. Ich legte mich dabei aufs Eis, schaute die Spuren an. So auch in Lake Placid. Als ich danach zufällig an unserer Garage vorbei lief, in der der Bob aufgebockt war, dachte ich auf einmal: Warum hängt der so durch? Da entdeckte ich, dass die Längsachse in der Mitte gebrochen war. Wäre ich dort nicht die Bahn abgelaufen und dadurch nicht an der Garage vorbeigekommen, hätte ich das wohl nicht bemerkt und somit nicht mehr beheben können. Wer weiss, was dann passiert wäre...

Legendär war Ihre Zieldurchfahrt im vierten Lauf.
Ich habe das ja gar nicht mitgekriegt. Offenbar riss mein Anschieber Sepp Benz kurz vor der Zieldurchfahrt die Hände hoch, um zu jubeln. Ich habe das dann erst später auf Video gesehen. Die Samariter dachten aber, er sei verletzt und kamen deshalb sofort angerannt, um zu helfen.

Sie waren ein Perfektionist. Haben Sie Ihren Anschiebern nachspioniert, ob Sie vor Rennen auch wirklich früh ins Bett gegangen sind?
Ich war ein Perfektionist bezüglich Material und auch im mentalen Bereich. Ich hatte grosse Anforderungen an mein Team. Ein Beispiel: Deshalb sollten meine Teamkollegen – wenn überhaupt – an der Bar sitzen und nicht stehen, um nicht unnötig Energie zu verlieren.

Wie sehr haben Sie für den Bobsport gelebt?
24 Stunden am Tag. Ich habe immer mehr gemacht als die anderen. Ich kann mich noch heute an jeden Zentimeter jeder Bobbahn auf dieser Welt erinnern. Wenn ich ins Bett ging, dachte ich an meinen Sport. Wenn ich aufwachte, war dies mein erster Gedanke. Und wenn die anderen etwas trinken gingen, blieb ich im Hotel und dachte darüber nach.

Ich habe mit einigen Ihrer Konkurrenten von damals gesprochen. Viele sind nicht so gut auf Sie zu sprechen.
Ich fasse das als Kompliment auf. Ich war immer der unbequeme Ehrgeizige. Der Gejagte. Eine Rolle, die ich gerne habe, denn ich fordere die Leute gerne ein bisschen heraus. Und ich sage, was ich denke, während die anderen halt leider oftmals hintenrum reden.

Stört es Sie nicht, dass Sie nie ein Liebling waren?
Nein! Wenn dich deine Konkurrenten gerne haben, dann muss etwas faul sein.

Für Ärger sorgten Sie auch mit Ihren drei Streifen auf dem Bob. Sie waren damals mit Adidas liiert.
Das war in St. Moritz. Man sagte mir, die drei Streifen seien Werbung und müssten deshalb weggemacht werden. Ich sagte: Nein, ich sei dreimal in Serie Weltmeister gewesen. Deswegen diese drei Streifen. Als Strafe kriegte ich 6000 Franken aufgebrummt.

Haben Sie die bezahlt?
Ja, wenige Tage später aber lag ein Couvert in meinem Briefkasten. Mit 6000 Franken drin. Der, der mir das bezahlt hat, habe ich übrigens witzigerweise genau heute in Zürich getroffen.

Ihre Hauptkonkurrenten stammten aus der BRD und der DDR. War Spionage damals ein Thema?
Das kann man so sagen. Einmal rief mich ein Garagist aus der Nähe der Bobbahn in Königssee an. Dort hatten wir immer den Schlitten vorbereitet. Er meinte, die Deutschen testen etwas. Es sei abends immer dunkel und dann brenne für zehn kurz Minuten das Licht.

Was machten Sie?
Ich fuhr mit meinem Bruder nach Königssee. Alles war abgesperrt. Also liefen wir durch den tiefen Schnee im Wald, überquerten Bachbeete und pirschten uns an die Bahn ran. Auf einmal kam einer in unsere Richtung zugelaufen, weil er pinkeln musste. Also taten wir so, als ob wir uns auch erleichtern mussten. Dann ging auf einmal das Licht an und wir sahen den so genannten Opelbob, der getestet wurde.

Wurden Sie entdeckt?
Ja, als der Pilot Toni Mangold im Ziel ankam, sagte er seinen Betreuern: «Der Schärer ist an der Bahn.» Wenig später fuhr die Polizei mit Blaulicht vor und zehn Polizisten suchten im Wald nach uns. Ich rief: «Hier bin ich.» Wir wurden dann abgeführt und in einer Beiz abgeladen. Dort blieben die Polizisten solange sitzen, bis der Geheimtest vorbei war. Doch ich hatte mein Ziel erreicht und wusste schon damals, dass das mit dem Opelbob nichts wird.

Im Bobsport geht es oft um Neid und Missgunst. Warum ist das so?
Ich habe mal gesagt: Wer im Bobsport mit jemandem redet, der sollte immer eine dritte Person als Zeugen dabei haben. Da ist schon was Wahres dran.

Wo steht die Bob-Schweiz im Jahr 2020?
Wir haben mit Michael Vogt und Simon Friedli vom Bobclub Zürichsee Super-Fahrer mit Super-Material. Leider fehlt es uns aktuell noch an richtig schnellen Anschiebern.

Letzte Frage: Stimmt die Geschichte eigentlich, dass Sie früher bei Polizeikontrollen regelmässig schlüpfen konnten, weil Sie so bekannt waren?
Das kam tatsächlich mal vor. Auf dem Hirzel wurde ich einst angehalten, weil ich nicht angegurtet war. Der Polizist meinte nur: «Gälled Sie Herr Schärer, im Bob ist man halt auch nicht angegurtet.» Er liess mich dann weiterfahren. So etwas würde heute kaum mehr gehen.

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