2023 fehlen 30'000 Pflegefachkräfte
Setzt der Bundesrat in der Pflege bald auf eine 38-Stunden-Woche?

Der Pflegenotstand in den Gesundheitseinrichtungen wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Der Fachkräftemangel in der Pflege gibt den Angestellten neue Macht. Und könnte den Bundesrat zu erheblichen Zugeständnissen bewegen.
Publiziert: 24.03.2024 um 18:55 Uhr
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Die Pflegefachkräfte in der Schweiz drehen im roten Bereich. Viele Gesundheitseinrichtungen sind personell chronisch unterbesetzt. Zu viele Patienten, zu wenig Zeit, psychischer Druck und Überstunden: Die Belastung treibt die Angestellten gleich reihenweise aus dem Beruf. Jeden Monat verlassen rund 300 Pflegende ihren Beruf. Gleichzeitig sind knapp 14'000 Stellen unbesetzt.

Das Problem ist seit Jahren bekannt und gipfelte im November 2021 in einer Volksabstimmung zur Pflege-Initiative. 61 Prozent der Wählenden sagten damals Ja. Die Umsetzung der Initiative lässt jedoch noch auf sich warten – und dies, obwohl sich das Problem seither gar noch verschärft hat. Bis 2030 sollen in der Schweiz gar über 30'000 Pflegefachkräfte fehlen, sagt eine Studie der Beratungsunternehmens PwC Schweiz voraus.

Viel höhere Löhne bei Temporären

Weil die Arbeitsbedingungen mit dem wachsenden Mangel immer schlimmer werden, geben zahlreiche Festangestellte ihren Arbeitsplatz auf und heuern über ein Temporärbüro als Zeitarbeiterinnen und -arbeiter an. Der Pflegenotstand hat den Angestellten neue Macht verliehen. Als Temporärangestellte können sie deutlich mehr verdienen. «In einigen Fällen gar so viel wie Assistenzärzte», sagt eine Pflegefachkraft zu Blick, die anonym bleiben möchte. Bei einem Vollzeitpensum erhalten sie 1000 oder gar mehrere Tausend Franken pro Monat mehr als Festangestellte. Und sie wählen selbst, wann und wie oft sie im Dienst sind.

Derzeit fehlen in der Schweiz knapp 14'000 Pflegefachkräfte.
Foto: Keystone
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Ohne Temporäre könnte die Gesundheitsbranche nicht mehr funktionieren. Seit 2019 hat die Leiharbeit in der Pflege um 60 Prozent zugenommen, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt. Doch das Modell schafft auch Probleme. So würden sich beispielsweise die Bewohnerinnen und Bewohner im Alterszentrum Lanzeln in Stäfa ZH weniger oft mit Problemen melden, wenn viele Temporäre Dienst schieben. Diese Zurückhaltung kann gesundheitliche Beschwerden verschärfen. Hinzu kommt vielerorts generell eine personelle Unterbesetzung. Gemäss einer Studie von Intercare, basierend auf Zahlen des Bundesamts für Statistik, entstehen so unnötige Kosten von 1,5 Milliarden Franken. 

Temporäre schaffen Druck auf die Spitäler

In den Spitälern führen die Zeitangestellten zu einer Zweiklassengesellschaft. Zudem verursachen sie wegen ihrer höheren Löhne und der Zahlungen an die Temporärbüros Millionen an Mehrkosten. Doch das setzt die Gesundheitseinrichtungen unter Druck, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. So hat die Stadt Zürich die Löhne für Pflegefachkräfte mit langjähriger Berufserfahrung auf rund 100'000 Franken erhöht und konnte so in den städtischen Klinken den Fachkräftemangel massiv abmildern.

Auch das GZO Spital Wetzikon ZH konnte die Situation entschärfen. Nicht aufgrund höherer Löhne. Man setze auf eine tiefere Arbeitszeit bei gleichem Lohn, sagt das Spital gegenüber «Medinside».

Spitäler in Basel oder der Zentralschweiz haben schon vor Monaten entschieden, wo möglich auf Temporäre zu verzichten. Ohne Anreize über attraktivere Arbeitsbedingungen dürften die Temporären aber kaum als Festangestellte zurückzugewinnen sein.

Helfen könnte ein neues Massnahmenpaket des Bundesrats. Gemäss diesem könnte das Modell aus Wetzikon national Schule machen, wie die «NZZ am Sonntag» unter Berufung auf eine mit dem Dossier vertraute Person schreibt. So könnten Pflegende künftig eine 38-Stunden-Woche haben, aber weiterhin für 40 Stunden Lohn erhalten. Zudem sollen Dienstpläne in den Gesundheitseinrichtungen künftig landesweit vier Wochen im Voraus publiziert und kurzfristige Einsätze besser entlohnt werden.

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