ABB-Chef Ulrich Spiesshofer im Interview
Nehmen uns Roboter bald die Jobs weg?

ABB-CEO Ulrich Spiesshofer will Schweizer werden. Zuerst vertritt er den Industrieginganten aber auf der grössten Industrie-Messe der Welt in Hannover (D). Dort hofft er, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer neuen ABB-Erfindung an seinen Stand locken zu können.
Publiziert: 24.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:18 Uhr
Guido Schätti und Moritz Kaufmann

SonntagsBlick: Herr Spiesshofer, ABB hat bereits über 250’000 Roboter verkauft. Eben hat Mercedes 250 Stück für eine Fabrik in Finnland bestellt. Nehmen uns die Roboter die Arbeit weg? 
Ulrich Spiesshofer: Überhaupt nicht. Die Länder mit der grössten Roboterdichte der Welt, also Deutschland, Japan oder Südkorea, gehören zu jenen mit der tiefsten Arbeitslosenquote. Das Zusammenspiel von Automation und Mensch steigert die Produktivität und sichert die Arbeitsplätze. 

Andere sind da weniger optimistisch. Eine Studie der Universität Oxford schätzt, dass in 20 Jahren die Hälfte der Jobs in den USA verschwinden wird. 
Natürlich verschwinden gewisse Tätigkeiten, aber wie immer in Zeiten industrieller Umbrüche entstehen auch neue. Die Arbeit geht uns deshalb nicht aus. ABB hat im Jahr 1974 Schweissroboter in der Automobilindustrie eingeführt. In der Folge sind die Jobs für Schweisser verschwunden, dafür sind neue Jobs entstanden. Zum Beispiel Applikationsentwickler und Serviceleute.

Deutsche Manager wie Telekom-Chef Timotheus Höttges und SAP-Manager Bernd Leukert befürworten das bedingungslose Grundeinkommen, um die Massenarbeitslosigkeit abzufedern. 
Das ist aus meiner persönlichen Sicht der falsche Weg. Wir müssen durch Beschäftigung Wohlstand schaffen. Dass es ein soziales Netz braucht, um Menschen aufzufangen, die aus dem Erwerbsprozess herausfallen, ist klar. Aber wir müssen die Leistungskultur, die die Schweiz erfolgreich gemacht hat, hoch halten und den Umbau zur Service-Gesellschaft vorantreiben.

ABB-CEO Ulrich Spiesshofer (52) will am Montag Angela Merkel in Hannover beeindrucken.
Foto: Sabine Wunderlin
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Sie würden die Initiative bei der Abstimmung am 5. Juni also ablehnen? 
Ein bedingungsloses Grundeinkommen entspricht nicht meiner Wertvorstellung. 

Sie müssten Schweizer werden! 
Meine Familie und ich durchlaufen gerade den Einbürgerungsprozess und würden uns freuen, wenn dieser erfolgreich abgeschlossen würde. Noch sind wir aber Gäste im Land. 

Sie sagen, wir sollten den Umbau zur Dienstleistungsgesellschaft vorantreiben. Die Schweiz wird also deindustrialisiert? 
Das Schlagwort der Deindustrialisierung geht von einem veralteten Industriebegriff aus. Bei ABB sind heute 50 Prozent unserer Angebote softwarebasiert. Der Umbau von der klassischen Industrie zu Digitaltechnik und Software ist seit Jahren im Gang. Es geht darum, die beiden Welten intelligent zu vernetzen.

(Spiesshofer lässt sich ein Teil in der Grösse eines Jasskarten-Sets geben.) 

Der «Smarte Sensor» von ABB bringt die Motoren zum Sprechen. Es wird an Elektromotoren angebracht, verfügt über sieben Sensoren und über Bluetooth werden an ein Handy die Daten verschickt und gehen parallel in die Cloud. So erfährt man in Echtzeit, wie es dem Motor geht. Es ist also ein Fitnessarmband für Motoren. Dieses Produkt haben wir in der Schweiz zusammen mit einem Schweizer Partner entwickelt. 

Ohne gut ausgebildete Mitarbeiter geht das nicht. Die Schweiz will nun aber bei der Bildung sparen, bis hinunter zu den Gymnasien. 
Das ist der falsche Weg. Die Schweiz darf bei der Bildung nicht sparen. Mein älterer Sohn geht in Zürich auf ein Gymnasium. Die Schweizer Gymnasien sind einer der Grundbausteine der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Das Langzeitgymnasium darf auf keinen Fall abgeschafft werden. 

Persönlich

Ulrich Spiesshofer (52) arbeitet seit 2005 für den Industriegiganten ABB. Aufgewachsen ist er in Süddeutschland. Spiesshofer ist studierter Ökonom und Ingenieur. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist begeisterter Musiker. Vor zweieinhalb Jahren übernahm Spiesshofer bei ABB den CEO-Posten. Seither leitet er vom Hauptsitz in Zürich-Oerlikon rund 135000 Angestellte weltweit.

Ulrich Spiesshofer (52) arbeitet seit 2005 für den Industriegiganten ABB. Aufgewachsen ist er in Süddeutschland. Spiesshofer ist studierter Ökonom und Ingenieur. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist begeisterter Musiker. Vor zweieinhalb Jahren übernahm Spiesshofer bei ABB den CEO-Posten. Seither leitet er vom Hauptsitz in Zürich-Oerlikon rund 135000 Angestellte weltweit.

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Auch bei älteren Arbeitnehmern geht die Angst um den Job um. Was unternimmt ABB dagegen?
Es braucht einen Mix aus alten Hasen und jungen Füchsen. Das haben wir bei der Entwicklung des YuMi-Roboters gesehen. Wir brauchen die Internet-Generation, aber auch erfahrene Techniker, die wissen, wie der Fertigungsprozess genau abläuft. Wenn man die zusammenbringt, kann man enorm viel erreichen.

Wer nicht auf Erfahrung setzt, vergibt sich also etwas? 
Genau. Natürlich ist es heute nicht mehr so, dass die Älteren in der Hierarchie automatisch zuoberst sind. Aber sie sind wichtig für uns. Durch Automation werden bei ABB laufend Tätigkeiten ersetzt. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Service-Tätigkeiten. In Deutschland und auch hier in der Schweiz fahren wir für unsere Mitarbeitenden eine Qualifizierungsoffensive, um sie bei dieser Reise von der Vergangenheit in die Zukunft mitzunehmen. Das kostet uns pro Mitarbeiter mehrere Tausend Franken, aber ist immer noch günstiger als eine Restrukturierung. 

Eigentlich müsste man die Bildung umkrempeln.
Das ist genau der Punkt! Lebenslange Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung! Ich sage das auch meinen Kindern, die Teenager sind. Sie werden in ihrem Leben drei oder vier Mal einen neuen Job bekommen, der ganz anders aussieht.

An der Generalversammlung am letzten Donnerstag hat der Stimmrechtsberater Ethos Ihr Salär von 9 Millionen Franken kritisiert. Wie rechtfertigen Sie, dass Sie so viel mehr verdienen als ein Normalbürger? 
Über mein Salär müssen Sie mit dem Verwaltungsrat reden. Er legt die Löhne fest, nicht ich. Oft fehlt das Verständnis, wie sich die Löhne zusammensetzen. Die Zahlen, die herumgeboten werden, haben nur zum Teil mit dem zu tun, was auf meinem Konto landet. Den anderen Teil erhalte ich nur, wenn die Leistung langfristig stimmt. 

ABB ist Partner von Solar Impulse – dem Solar-Flugzeug von Pionier Bertrand Piccard (58). Nach neun Monaten Pause ist es endlich wieder unterwegs. 
Darüber haben wir uns sehr gefreut. ABB will die Welt bewegen, ohne sie zu verbrauchen. Mit Solar Impulse zeigen wir, dass das geht.

Eigentlich sollte es die Welt längst umrundet haben. Zeigt Solar Impulse nicht auf, dass die Sonnenenergie nicht marktfähig ist?
Das zeigt nur, dass für uns auch bei Pionierleistungen die Sicherheit zuerst kommt. Solar Impulse hatte bei der Ankunft in Hawaii ein Problem mit den Batterien. Rein technisch wurde das schnell gelöst. Es hatte zu dieser Jahreszeit einfach zu wenig Sonnenstrahlung und zu unsicheres Wetter, um gefahrlos über den Pazifik zu fliegen.Deshalb wurde entschieden, eine Pause einzulegen.

Die Menschheit befindet sich in einem Wettlauf gegen den Klimawandel. Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir das gewinnen?
Wir müssen die Welt ohne fossile Brennstoffe mit Energie versorgen können. Die Technologien haben wir schon heute. Es gibt zum Beispiel Wind- und Wasserkraft. Diese müssen wir schlau kombinieren. Ausserdem müssen wir Wege finden, den Strom zu speichern, damit diese Energien verlässlicher werden.

Das reicht aber nicht.
Nein, wir müssen auch auf der Verbraucherseite ansetzen. 40 Prozent der weltweit hergestellten Elektrizität geht in Elektromotoren. Diese installierten Produkte müssen effizienter werden. Wären heute alle Elektromotoren mit der neuesten Technologie ausgestattet, könnten wir die Hälfte aller Atomkraftwerke der Welt abschalten! 

Haben wir das richtig verstanden: Sie sind gegen neue AKW?
Nein. Gerade wird eine vierte Generation von Nuklearreaktoren entwickelt. Es kann sein, dass ein neuer, kleinerer und sicherer Typ von Reaktor uns helfen kann, den CO2-Ausstoss zu reduzieren. Aber noch sind diese nicht so weit.

Sie trafen sich vor kurzem mit dem indischen Premierminister Narendra Modi (65). Wird ABB die indischen Rikschas elektrifizieren?
Indirekt schon. Indien will bis 2030 den individuellen Transport vor allem über Elektroautos laufen lassen. Das ist eine riesige Herausforderung. Das indische Stromnetz ist nicht das stabilste. Will man Tausende Ladestationen für Elektroautos drauf packen, würde das nicht funktionieren. Als braucht es einen Umbau. Darüber habe ich mit Premierminister Modi gesprochen. 

Bei der Digitalisierung konkurrenzieren Sie mit Google und dem Silicon Valley. Können Sie da mithalten?
Die Frage stellt sich umgekehrt: Können Google und Apple mit uns mithalten? Da haben wir genug Selbstvertrauen. Apple und Google machen tolle Programme für den Alltag - und darum arbeiten wir ja auch mit diesen Firmen zusammen. Aber was Industrie, Transport und Infrastruktur angeht, sind wir führend.

Dieses Jahr wird der neue Gotthard-Tunnel eröffnet. Sind Sie schon mal durchgefahren?
Bis dato noch nicht, aber ich freue mich dies bei der Eröffnung am 1. Juni zu tun. Das ist ein Jahrhundert-Bauwerk! ABB war schon bei der Elektrifizierung des ersten Gotthard-Tunnels dabei. Und im neuen Tunnel steckt nun eine breite Palette innovativer und energieeffizienter ABB-Technologien. Ich bin wahnsinnig stolz auf die Leistung unserer Techniker und freue mich sehr, dass wir zu unserem 125-Jährigem Firmenjubiläum auch die Eröffnung des neuen Gotthard-Tunnels feiern können. Dieses Projekt zeigt, was die Schweiz kann!

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