Abzocker-Schreck Thomas Minder im Interview
«Es ist abartig, wie viel die Chefs von Ruag, SBB und Swisscom verdienen»

Zehn Jahre nach Annahme der Abzockerinitiative zieht Ständerat und Abzockerschreck Thomas Minder ein kritisches Fazit. Der Schaffhauser sagt der «Handelszeitung», um welchen Punkt er sie heute ergänzen würde.
Publiziert: 13.05.2023 um 16:35 Uhr
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Aktualisiert: 14.05.2023 um 06:39 Uhr
Carmen Schirm-Gasser «Handelszeitung»
Handelszeitung

Herr Minder, Sie wirken verärgert. Um nicht zu sagen, geladen. Habe ich recht?
Ich habe ein Déjà-vu. 2001 das Swissair-Grounding, 2008 die Notrettung der UBS – und jetzt die CS. Ich habe einen riesigen Hals.

Täuscht der Eindruck, oder nehmen Sie das alles sehr persönlich?
Natürlich nehme ich das persönlich. Ich habe mich jahrzehntelang unter anderem bei der Credit Suisse engagiert, gewarnt und gekämpft. 2016 habe ich an der Generalversammlung den gesamten CS-Verwaltungsrat wegen Unfähigkeit zur Abwahl empfohlen.

Kurzum: Der Zusammenbruch der Credit Suisse hat Sie nicht kalt erwischt?
Es überrascht mich überhaupt nicht, was passiert ist. Aber es ärgert mich riesig. Die teuersten Manager fahren einmal mehr einen Milliardenkonzern an die Wand. Das Missmanagement passierte unter anderem deshalb, weil es zu grosse Anreize im Entlohnungssystem gab. Baumeister dieses Geistes ist der ehemalige CS-Verwaltungsrat Walter Kielholz. Die hohen Gehälter trugen stark dazu bei, dass die Kunden und Kundinnen das Vertrauen verloren und so viel Geld abgezogen haben.

«Bei der Credit Suisse ist es ein höllisches Versagen von vielen Akteuren», sagt Thomas Minder.
Foto: Valeriano Di Domenico
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Der Kämpfer gegen Abzocker

Thomas Minder (62), in einer Beziehung lebend, ist Eigentümer und Geschäftsführer der Trybol AG, in Neuhausen am Rheinfall SH. Er absolvierte die Handelsschule in Neuenburg, arbeitete dann zwei Jahre bei einem Huthersteller in Paris. Studium an der Fordham University in New York mit einem Betriebswirtschafts-Abschluss (MBA). Zwei Jahre Produktemanager bei Xerox in Zürich. Einstieg bei Trybol. Ehemaliger Kompaniekommandant einer Schaffhauser Füsilierkompanie.

Ursprünglich entwickelte der Schaffhauser Zahnarzt G. Adolf Trüeb ein Mundwasser aus Kräuterauszügen und gründete 1900 die Trybol AG. 1913 übernahm der Grossvater von Thomas Minder das Unternehmen, das der Enkel seit 1988 in dritter Generation leitet.Trybol stellt Produkte für Mund- und Zahnpflege her, Kosmetika und Haarpflege. Thomas Minder beschäftigt aktuell 40 Mitarbeitende.

Seit 2011 ist Thomas Minder Ständerat für den Kanton Schaffhausen. Er gehört keiner Partei an und ist 2013 Initiator der eidgenössischen Volksinitiative «gegen die Abzockerei». Zudem war er Auslöser der eidgenössischen «Swissness»-Gesetzgebung zum besseren Schutz der «Marke Schweiz». Diesen Oktober will er erneut für den Ständerat antreten.

Thomas Minder (62), in einer Beziehung lebend, ist Eigentümer und Geschäftsführer der Trybol AG, in Neuhausen am Rheinfall SH. Er absolvierte die Handelsschule in Neuenburg, arbeitete dann zwei Jahre bei einem Huthersteller in Paris. Studium an der Fordham University in New York mit einem Betriebswirtschafts-Abschluss (MBA). Zwei Jahre Produktemanager bei Xerox in Zürich. Einstieg bei Trybol. Ehemaliger Kompaniekommandant einer Schaffhauser Füsilierkompanie.

Ursprünglich entwickelte der Schaffhauser Zahnarzt G. Adolf Trüeb ein Mundwasser aus Kräuterauszügen und gründete 1900 die Trybol AG. 1913 übernahm der Grossvater von Thomas Minder das Unternehmen, das der Enkel seit 1988 in dritter Generation leitet.Trybol stellt Produkte für Mund- und Zahnpflege her, Kosmetika und Haarpflege. Thomas Minder beschäftigt aktuell 40 Mitarbeitende.

Seit 2011 ist Thomas Minder Ständerat für den Kanton Schaffhausen. Er gehört keiner Partei an und ist 2013 Initiator der eidgenössischen Volksinitiative «gegen die Abzockerei». Zudem war er Auslöser der eidgenössischen «Swissness»-Gesetzgebung zum besseren Schutz der «Marke Schweiz». Diesen Oktober will er erneut für den Ständerat antreten.

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Wer sind die Schuldigen an diesem Debakel?
Es ist ein höllisches Versagen von vielen Akteuren. An erster Stelle hat der Verwaltungsrat versagt, in zweiter Instanz die Revisionsstelle, in dritter Instanz die Finma und die Politik. Alle Institutionen waren im Tiefschlaf. Auch der SNB-Chef. Ich bin der Einzige, der sich traut, Thomas Jordan zu kritisieren. Er ist mitbeteiligt und mitverantwortlich an diesem Debakel, da er mit billigem Geld die Banken fütterte, um Eigenhandel zu betreiben und ein paar idiotische Übernahmen im Investmentbanking zu machen, um dort Milliarden in den Sand zu setzen. Man hat sich nur an diese Übernahmen gewagt, da im amerikanischen Investmentbanking überrissen hohe Gehälter bezahlt werden. Wären die Herren Bankenmanager im Kreditwesen oder Wealth Management geblieben, wären sie nie an diese Gehälter gekommen.

Trotz Ihrer Initiative und den darauffolgenden Gesetzesänderungen kam es zu diesem Kollaps. Frustriert Sie das?
Ja, das Ganze beschäftigt mich gewaltig. Das, was der CS passiert ist, wollte ich ja vermeiden, und ich habe es trotz der Initiative nicht vermeiden können.

Müssen Sie dafür Kritik einstecken?
Im Moment höre ich ziemlich viel Kritik. Ich bekomme im Wochenrhythmus Mails von Menschen, die mir mitteilen, dass meine Initiative nichts gebracht hat.

Ihre Antwort darauf?
Ich antworte jeder und jedem, der mir schreibt oder mich persönlich anspricht. Ich erkläre dann den Menschen, dass durch meine Initiative mindestens drei Verbote wirksam geworden sind, die im Fall der Credit Suisse noch Schlimmeres verhindert haben.

Die wären?
Das Prämienverbot bei der Übernahme von Firmen wurde wirksam. Man stelle sich vor, was passiert wäre ohne dieses Verbot. Bei allen Mammutübernahmen in der Vergangenheit wurden an das alte und neue Management riesige Prämien ausgezahlt. Im Fall der CS-Übernahme durch die UBS wäre das auch passiert, wäre es nicht mittlerweile verboten. Ich garantiere Ihnen, dass Millionen von Franken in Prämien geflossen wären.

Was wurde noch unterbunden?
Es gab keine Abgangsentschädigungen, denn auch die sind mittlerweile verboten. Zudem sind die Saläre der CEO nicht weiter gestiegen.

Einspruch. Die CEO-Saläre sind nicht auf breiter Front gesunken, wie man gehofft hatte. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass sie weiter gestiegen sind.
So verrückte Ausschläge nach oben wie früher sieht man nicht mehr. Ich erinnere an Daniel Vasella bei Novartis oder Brady Dougan bei der Credit Suisse, die noch um die 75 Millionen Franken abkassierten. Das Gehalt von Sergio Ermotti bei der UBS hat sich auf geschätzt 13 Millionen eingependelt. Aber es herrscht noch immer ein falscher Geist. Das Problem liegt ja nicht nur bei den Banken. Selbst bei den Staatsbetrieben ist es abartig, wie viel die Chefs von Ruag, Swisscom und SBB verdienen.

Sie weigerten sich ja, einen Höchstbetrag für CEO-Saläre in den Initiativtext reinzunehmen. Haben Sie da eine Chance verpasst?
Ich bin freisinnig. Und wirtschaftsfreundlich. Weil ich keine Antwort auf die Frage habe, wann ein Salär unanständig ist, wollte ich sie dem Eigner, dem Aktionär, übertragen. Die Aktionärinnen und Aktionäre sollen diese Frage an der Generalversammlung beantworten. Es stört mich gewaltig, dass auch sie in dieser Hinsicht versagt haben. Sie haben die Versager bei der Credit Suisse einfach wiedergewählt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.

Welches Fazit ziehen Sie nach zehn Jahren Abzockerinitiative? Genugtuung oder Frust?
Ich bin irgendwo dazwischen. Ich habe mit meiner Initiative etwas erreicht, auf der anderen Seite eben auch nicht. Vielleicht wäre es anders, wenn das ganze CS-Debakel nicht passiert wäre. Der Frust dadurch ist gross und heftig.

Was würden Sie rückblickend anders machen?
Neu würde ich zu den 24 Punkten, die ich in meinem Initiativvorschlag hatte, einen 25. Punkt nehmen. Ich würde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Heute ist es ja mega schwierig, Organmitglieder zur Verantwortung zu ziehen.

Was schwebt Ihnen vor?
Es genügt nicht, dass man diese Versager und Versagerinnen nur an den Pranger stellt. Man muss sie zur Rechenschaft ziehen. Es war nicht der liebe Gott, der wollte, dass die CS in Konkurs geht. Es war Missmanagement. Aber das zu beweisen, ist mit der aktuellen Gesetzgebung nicht möglich. Abgesehen davon können nur Aktionäre und der Verwaltungsrat Klage einreichen. Und die tun das nicht. Die Aktionärin müsste eine Wahnsinnige sein. Selbst wenn sie am Bundesgericht in Lausanne Recht bekäme, würden die Gelder zurück in die Unternehmung gehen. Auch Verwaltungsratsmitglieder klagen üblicherweise nicht. Axel Lehmann würde nicht Urs Rohner verklagen, denn die Copains schützen sich gegenseitig. Es braucht einen neuen Lösungsansatz.

Und der wäre?
Man müsste eine Gesetzgebung einführen, die es ermöglicht, die Verantwortlichen strafrechtlich und privatrechtlich vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Ähnlich dem Konzept von Privatbankiers, die mit ihrem Privatvermögen haften. Managerinnen sollen dann bis zu jenem Betrag haftbar gemacht werden können, den sie als Salär bezogen haben.

Werden Sie eine neue Initiative dafür lancieren?
Es gibt zahlreiche Leute, die mich auffordern, erneut aktiv zu werden. Die meisten wissen gar nicht, wie schwierig es ist, eine Initiative durchzubringen, und wie viel Geld man dafür benötigt. Economiesuisse hatte eine Kriegskasse von 8 Millionen Franken, um meine Initiative zu bekämpfen. Ich hatte 500'000 Franken. Es ist keine Sonntagsübung, 100'000 Unterschriften zu bekommen. Auch wenn die Zahl bei 8,5 Millionen Einwohnern auf den ersten Blick klein erscheinen mag. Es ist eine Mammutaufgabe. Allein um die gesamten Unterschriften sortieren und beglaubigen zu lassen, braucht es fast eine Turnhalle.

Sie treten im Herbst für weitere vier Jahre für den Ständerat an. Weshalb wollen Sie weitermachen?
Eben. Weil ich einen dicken Hals habe.

Die Politik hat ja auch versagt …
Das ist ja das Problem. Ich habe aktuell einen Vorstoss eingereicht für ein Trennbankensystem. Ich bin gespannt, ob der durchkommt. 2014, als die Grünen mit diesem Vorschlag kamen, war das nicht der Fall. Alles dauert ewig in Bern. Wir sind in der Millimeterpolitik. Wir drehen an der Stellschraube mal rechts, mal links. Aber den losen Stein, der auf die Schweiz niederzurollen droht, sehen wir nicht.

Weshalb sollte man Thomas Minder wählen?
Ich kann anders politisieren, weil ich keiner Partei angehöre und finanziell unabhängig bin. Ich nehme keinen einzigen Franken entgegen – damit ich politisch unabhängig bin. Wenn ich Anfragen habe wie von der Raiffeisenbank und für einen Vortrag 2600 Franken bekomme, lege ich das offen und spende das Geld, und zwar jedes Jahr einer anderen Institution. Ich habe keine anderen Mandate, bin nur Verwaltungsrat bei meinem Unternehmen. Einige Medien kamen zum Schluss, dass ich der unabhängigste Politiker in Bundesbern bin.

Sie sind in all den Jahren im Ständerat ein Einzelkämpfer geblieben. Haben Sie es verpasst, Allianzen zu schmieden?
Im Ständerat hört man mir zu. Unter anderem, weil mein Argumentarium fundiert ist und ich meine Position nicht wechsle, wie es andere Politiker tun, nur weil Wahljahr ist. Es wird ja kaum mehr gelogen als in einem Wahljahr. Ich bleibe meiner Linie treu.

Wie hat sich Ihre Firma in den vergangenen Jahren entwickelt?
Viele sagen, ich sei jetzt bekannt, und alle würden mein Produkt kaufen. Was überhaupt nicht stimmt. Eigentlich dürfte man als Unternehmer nicht in die Politik gehen, wenn man in der Konsumgüterbranche tätig ist, so wie ich es bin. Denn man polarisiert. Natürlich gibt es auch jene, die durch mein politisches Engagement auf die Produkte aufmerksam geworden sind, aber es gibt genauso viele, die meine Produkte deshalb nicht kaufen.

Was machen die Umsätze?
Die gebe ich nicht bekannt. Mein KMU steht hierarchisch gesehen auf der zweituntersten Stufe. Ganz unten ist nur noch das WC-Papier. Das Geschäft mit Mundpflege und Shampoo ist ein Rappengeschäft. Wir machen zeitweise Offerten im dreistelligen Bereich. Doch alles in allem sind wir gut unterwegs. Wir erwirtschaften mittlerweile zwei Drittel unseres Umsatzes nicht mehr mit eigenen Produkten, sondern mit Private Labeling. Das heisst, ein Coiffeur oder Kosmetikstudio kommt zu uns und lässt die eigenen Cremes von Trybol produzieren.

Sie sind heute 62. Sind Sie mit dem Älterwerden zahmer geworden?
Nein, das bin ich nicht. Wenn man zahm ist, hat man in der Politik nichts zu suchen.

Wenn Ihr Ärgerpegel ständig derart hoch ist, wirkt sich das nicht auf Ihre Gesundheit aus?
Ich brauche die Auseinandersetzung, den Challenge, die Aktivität. Bei mir muss immer etwas laufen. Ich bin kein Diplomat und kein ruhiger Pool. Ich brauche das.

Haben Sie einen Ausgleich, ein Hobby, mit dem Sie runterkommen?
Ich sitze nicht daheim und lese Bücher. Ich gehe jeden Tag joggen, gehe gerne und viel in die Natur. Ich bin ein Vogelliebhaber, beobachte die Vögel und bekomme einen dicken Hals, wenn ich sehe, wie die Biodiversität immer mehr zurückgeht. Die mückenfressenden Vögel, die Rauch- und Mehlschwalben, die Mauersegler, für die ich früher Nistkästen an meinem Haus gebaut habe, sind alle nicht mehr da.

Was steht noch auf Ihrer privaten Bucketlist?
Ich bin kein Mensch, der eine Wunschliste hat. Ich bin glücklich mit dem, was ich habe. Ich bin Steinbock im Sternzeichen, mit beiden Beinen auf dem Boden, träume nicht und habe keine Wünsche. Ich würde vielleicht noch mal eine Initiative machen, wenn mir jemand das Geld dafür geben würde, um die Manager zur Rechenschaft zu ziehen.

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