André Blattmann über Swiss, Armee und Corona
«Wir erleben gerade eine Zäsur»

Der Swiss-Verwaltungsrat und ehemalige Armeechef André Blattmann über Corona, die Armee und darüber, warum Disziplin die Voraussetzung für Freiheit ist.
Publiziert: 29.08.2020 um 23:41 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2020 um 09:43 Uhr
André Blattmann (64) war von 2008 bis 2016 Chef der Armee.
Foto: Thomas Meier
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Christian Dorer (Interview) und Thomas Meier (Fotos)

André Blattmann ist kaum zu erkennen. Er selber hat sich zwar nicht verändert, doch die Öffentlichkeit kennt ihn in Uniform. Acht Jahre lang war er Chef der Armee. Jetzt hat er diverse Mandate. Das wichtigste: Verwaltungsrat bei Swiss. Für das Interview kommt er direkt vom Flughafen auf die SonntagsBlick-Redaktion.

BLICK: Herr Blattmann, Sie haben sich Ihr Berufsleben lang mit Bedrohungen beschäftigt. Haben Sie je an einen Virus gedacht?
André Blattmann: In diesem Ausmass hatten wir es nicht auf dem Radar. Im Sicherheitspolitischen Bericht 2010 wurde zwar das Risiko einer Pandemie erwähnt. Man dachte dabei aber an Krankheiten aus Asien, wie z.B. die Vogelgrippe, die nur wenige Wochen dauern würden.

Wie hat die Schweiz die Krise gemeistert?
Am Anfang sehr gut. Nun gibt es Unklarheiten bei der Zuständigkeit, das macht es schwieriger. Als Bürger möchte ich eine klare Linie und Massnahmen, die dann für alle gültig sind. Das hat mit Glaubwürdigkeit und Vertrauen in unsere Institutionen zu tun.

Wie war die Arbeit im Swiss-Verwaltungsrat während der Krise?
Wir hatten wöchentliche, sehr intensive Sitzungen, in der Zeit, als es um die Bürgschaft ging.

Keiner ist in Bundesbern so gut vernetzt wie Sie. Haben Sie die Parlamentarier überzeugt, Ja zu sagen zur Staatsgarantie?
Das war eine Teamleistung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Letztere führte die Verhandlungen mit dem Bund. Wir waren alle erleichtert, als das Abkommen unter Dach und Fach war. Es ging erfreulich schnell, und auch das Parlament hat rasch und positiv reagiert.

Kommt die Swiss nun über die Runden?
Wir haben den Bankenkredit, für den die Eidgenossenschaft bürgt, und den Kredit der Lufthansa. Das ist eine riesige Unterstützung. So können wir den Flugbetrieb langsam hochfahren und die Schweiz wieder an die Welt anbinden, wobei das interkontinental noch sehr schwierig ist. Natürlich wollen wir den Kredit rasch wieder zurückzahlen.

Wie lange dauert es, bis wieder gleich viele Flugzeuge fliegen wie zuvor?
Wir haben gegenüber unseren ersten Einschätzungen nochmals Zeit dazugegeben: Wir gehen jetzt davon aus, dass wir 2024 wieder da sind, wo wir mal waren. Bis Ende dieses Jahres sind wir voraussichtlich bei der Hälfte unseres ursprünglich geplanten Angebots.

Viele Firmen haben gemerkt: Eine Videokonferenz tut es auch. Wird es wirklich wieder wie früher?
Im Moment bleiben Geschäftskunden aus. Viele sehnen sich aber danach, ihre Gesprächspartner wieder physisch zu treffen. Ob es wieder so viele Geschäftsreisen gibt wie früher, sehen wir dann.

Wann erhalten Swiss-Kunden ihr Geld von annullierten Flügen zurück?
Bis Ende August sollten alle Rückerstattungsanträge, die wir bis im Juni erhalten haben, abgearbeitet sein. Es ist keine Floskel: Wir bedauern sehr, dass wir die Rückzahlungen nicht in der gewohnten Zeit abwickeln konnten. Wir haben nun alles unternommen, dass es schneller geht.

Welche Erfahrungen bringen Sie als Armee-Chef bei der Swiss ein?
Diese Frage hatte ich mir auch gestellt, als ich angefragt wurde. Es gibt einige Zweisamkeiten von Armee und Swiss: Beide machen rund fünf Milliarden Franken Umsatz, beide haben etwas gleich viele Lohnempfänger, beide haben etwa gleich viele Flugzeuge, wenn man die Helikopter dazurechnet, wobei die Swiss deutlich moderner ist ...

Was ist in einem Unternehmen anders als in der Armee?
Von aussen hat man das Gefühl, die Armee sei viel hierarchischer. Aber das stimmt nicht: Auch in der Armee ist es wichtig, dass die Unterstellten einbezogen werden, sodass sie mittragen, was der Vorgesetzte fordert. Ansonsten kommt es nicht gut, da spielt dann der Grad keine Rolle.

Sie waren 33 Jahre lang Berufsoffizier, und jetzt, wo sie weg sind, kam der Ernstfall. Wurmt es Sie, dass Sie nicht mehr dabei sind?
Nein. Alles hat seine Zeit. Noch heute pflege ich gute Kontakte, aber ich würde mich nie einmischen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Leute, die keine Verantwortung mehr tragen, Ratschläge erteilen wollen. Ich war aber zufrieden zu sehen, wie gut die Mobilmachung geklappt hat – sie wurde ja erst vor wenigen Jahren wieder eingeführt.

Wird der Corona-Einsatz die Akzeptanz der Armee steigern?
Natürlich steigt die Akzeptanz, wenn man einen guten Job macht. Die Menschen werden sich wieder bewusst, dass es überhaupt Bedrohungen gibt. Wenn die Akzeptanz auch längerfristig steigen soll, so muss in der Ausbildung mehr über die Sicherheit und die verschiedenen Akteure gesprochen werden.

Sie wurden einst verspottet, weil Sie für Notfälle Dutzende Sechserpack Mineralwasser, eine Wasserzisterne und ein Cheminée mit Holz zu Hause haben. Erleben Sie jetzt Genugtuung?
Ich selber bekam schon damals mehr positive Rückmeldungen als negative, und während Corona werde ich auch wieder darauf angesprochen. Aber tatsächlich erleben wir gerade eine Zäsur: Jeder hat gesehen, dass etwas Unerwartetes passieren kann, dass unsere Gesellschaft fragil ist.

Was sind die Folgen dieses neuen Bewusstseins?
Im Sicherheitspolitischen Bericht sind alle Risiken und Bedrohungen erfasst. Bloss liest den kaum jemand. Es wäre gut, wenn man sich auch wieder überlegen würde, welche Gegenmassnahmen getroffen werden können. So ist man bei einem Notfall schnell parat.

Was halten Sie für die grösste Bedrohung?
Ein Terrorangriff auf kritische Infrastruktur. Damit könnte man der Schweiz rasch viel Schaden zufügen. Die Wahrscheinlichkeit spielt gar keine Rolle. Die Frage ist, ob es ein Risiko gibt. Frank A. Meyer hat vor einer Woche einen guten Kommentar zu den Kampfjets geschrieben: Wir mussten während des gesamten Kalten Kriegs bereit sein. Vielleicht ist genau deshalb nichts passiert. Wenn wir bereit sind und dadurch etwas verhindern, dann haben wir nicht nur viel Geld gespart, sondern vor allem viel Leid verhindert. Bereit sein lohnt sich.

Was ist bei den neuen Kampfjets besser als beim Gripen, den das Volk 2014 nicht wollte?
Damals hatten wir eine völlig andere Ausgangslage: Es ging um den Tiger-Teilersatz. Der Tiger fliegt zwar heute noch. Er hatte aber bereits damals keinen operationellen Wert mehr. Daneben gab es noch den F/A-18, der kommt jetzt an sein Lebensende. Diesmal geht es grundsätzlich um den Schutz von Land und Leuten gegen Angriffe aus der Luft. Das kann man den Leuten besser vermitteln. Wichtig ist, dass die Flugzeuge aus dem ordentlichen Budget bezahlt werden und niemandem etwas weggenommen wird. Ob es einem passt oder nicht: Die Risiken und Bedrohungen sind vorhanden! Und die Schweizerinnen und Schweizer erwarten richtigerweise, dass man darauf vorbereitet ist.

Was bedroht uns sonst noch neben Terror?
Von Cyber-Kriminalität sind wir beinahe dauernd betroffen. Die Bevölkerungsexplosion in Afrika und Asien wird, zusammen mit dem Klimawandel, zu noch mehr Armut und früher oder später zu einem Migrationsschub führen, den wir uns heute nicht vorstellen können. Das ist ein sicherheitsrelevantes Pulverfass, aber auch der zunehmende Nationalismus.

Sind wir mit unserer Armee wirklich dagegen gerüstet?
Die Armee entwickelt sich weiter, und die Corona-Krise hat gezeigt, dass sie richtig aufgestellt ist. Wer meint, dass eine feindliche Armee über den Bodensee kommt, ist wirklich im vorletzten Krieg stehen geblieben. Aber es gibt überall auf der Welt Leute, die Waffen einsetzen, und da muss man parat sein. Dazu braucht man die richtige Ausrüstung und die notwendige Ausbildung sowie Mitbürger, die bereit sind, dafür selber einzustehen.

Halten Sie einen Krieg in der Schweiz für möglich?
Wenn man sieht, wie rund um die Welt aufgerüstet wird und sich die Länder und die Mächtigen ändern, kann man es nicht ausschliessen. Auf den Vorwurf, dass diese Gefahr unrealistisch sei, antworte ich jeweils: Dasselbe hat man bis vor einem halben Jahr auch über die Pandemie gesagt. Und jetzt sehen wir, wie schnell es gehen kann und was es kostet, wenn man betroffen ist.

Wann haben wir alle unser normales Leben zurück?
Wir wissen es nicht. Im Militär denkt man in Varianten, entscheidet systematisch und hat eine hohe Disziplin. Denn oft scheitert es an der Disziplin. Mein Lieblingssatz dazu ist von August E. Hohler, der am Schweizer Radio jeweils das Wort zum neuen Tag sprach. Er sagte am 24. April 1997: «Disziplin ist die Voraussetzung wirklicher Freiheit.»

André Blattmann. Persönlich.

Seit 2018 ist André Blattmann (64) Verwaltungsrat der Swiss International Air Lines. Davor widmete Blattmann fast sein ganzes Berufsleben der Schweizer Armee. Von 2009 bis 2016 war er Korpskommandant und Chef der Armee. Heute engagiert er sich in diversen Stiftungsräten und als freischaffender Führungscoach und Ausbilder. Blattmann kam in Richterswil ZH zur Welt. Er machte eine Banklehre und bildete sich zum Betriebsökonomen HWV weiter. Er ist verheiratet und wohnt am Murtensee.

Seit 2018 ist André Blattmann (64) Verwaltungsrat der Swiss International Air Lines. Davor widmete Blattmann fast sein ganzes Berufsleben der Schweizer Armee. Von 2009 bis 2016 war er Korpskommandant und Chef der Armee. Heute engagiert er sich in diversen Stiftungsräten und als freischaffender Führungscoach und Ausbilder. Blattmann kam in Richterswil ZH zur Welt. Er machte eine Banklehre und bildete sich zum Betriebsökonomen HWV weiter. Er ist verheiratet und wohnt am Murtensee.

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