Angriff auf SBB, Migros und Co.
Preisüberwacher ruft zum Krisengipfel

Die Schweiz ächzt zunehmend unter der Teuerung. Im Interview drängt Stefan Meierhans auf einen stärkeren Konsumentenschutz und kündet für September einen Kaufkraftgipfel an.
Publiziert: 30.07.2023 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2023 um 08:38 Uhr
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

SonntagsBlick: Herr Meierhans, Sie haben im letzten Jahr 60 Prozent mehr Bürgermeldungen erhalten als zuvor. Was treibt die Menschen im Moment am meisten um?
Stefan Meierhans: Es sind ernste Sorgen, auch existenzieller Natur. Es gibt Momente, in denen die Bürgermeldungen besonders stark zunehmen – zum Beispiel nach Bekanntgabe der Krankenkassenprämien oder nach der Ankündigung von Mietzinserhöhungen. Solche Nachrichten lösen Ängste aus, gerade wenn es um Grundbedürfnisse wie das Wohnen oder die Gesundheit geht.

Seit dem Jahr 2000 haben sich die Krankenkassenprämien mehr als verdoppelt. Wer ist dafür verantwortlich?
Ich war Mitglied der Expertenkommission unter Leitung von Ex-Ständerätin Verena Diener. 2017 legten wir 38 einfache Vorschläge zur Dämpfung der Gesundheitskosten vor – erst eine Handvoll davon wurde umgesetzt. So läuft es immer: Es fehlt nicht an Lösungsvorschlägen. Sie scheitern einfach an wechselnden Widerständen und Allianzen.

Monsieur Prix

Stefan Meierhans (55) ist seit 16 Jahren Preisüberwacher. Der Jurist ist als «Monsieur Prix» dafür verantwortlich, überall dort die Preise zu kontrollieren, wo der freie Wettbewerb nicht spielt – etwa im öffentlichen Verkehr. Auch Post-Preise, Labortarife und Gebühren nimmt er unter die Lupe. Meierhans lebt mit Frau und zwei Töchtern in Bern.

Stefan Meierhans (55) ist seit 16 Jahren Preisüberwacher. Der Jurist ist als «Monsieur Prix» dafür verantwortlich, überall dort die Preise zu kontrollieren, wo der freie Wettbewerb nicht spielt – etwa im öffentlichen Verkehr. Auch Post-Preise, Labortarife und Gebühren nimmt er unter die Lupe. Meierhans lebt mit Frau und zwei Töchtern in Bern.

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Preisüberwacher Stefan Meierhans geht gegen die Teuerung vor und nimmt die Unternehmen ins Visier.
Foto: Thomas Meier
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Es ist ja nicht so, dass es keine Vorschriften zum Schutz der Versicherten gäbe. Von Gesetzes wegen müssen sich etwa die Tarife für stationäre Spitalleistungen seit 2012 an den effizientesten und günstigsten Spitälern orientieren. Sie tun es bloss bis heute nicht.
Dahinter steckt eine giftige Tinktur von Fehlanreizen und Eigeninteressen. Die Kantone sind in der Regel die Spitaleigner – sie genehmigen aber auch die Tarife. Da überrascht es nicht, dass sie zugunsten der Spitäler höhere Tarife absegnen. Das Gesetz funktioniert nicht, weil die Kantone zwei Hüte tragen und Regierungsmitglieder wiedergewählt werden möchten. Verlierer sind die Versicherten, denn die hohen Tarife verteuern die Grundversicherung.

Dennoch verkünden diverse Spitäler, sie stünden kurz vor dem finanziellen Kollaps …
Es gibt auch Spitäler, die für den Kanton sogar Dividenden ausschütten, im Thurgau zum Beispiel. Und wenn ein Kantonsspital wie in Aarau wegen eines Investitionsversagens blutet, liegt das nicht an den Tarifen. Der Gesetzgeber verlangt, dass die Spitäler ihre Effizienz steigern und die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Da steht jedes Haus für sich selbst in der Verantwortung. Aber man hört natürlich nur die Klagen derjenigen, die damit nicht zurechtkommen.

Jetzt fordert die FDP eine Budget-Krankenkasse, die Mitte will eine Kostenbremse und die SP eine Prämienentlastung. Was taugen solche Rezepte?
Die angebotenen Lösungen sind nicht neu. Sie finden sich so oder ähnlich zum Beispiel bereits im Bericht der Expertengruppe Diener von 2017. Dort wurde von Kostenzielen statt von einer Kostenbremse gesprochen. Zudem haben wir schon damals stärkere soziale Ausgleichsmassnahmen empfohlen. Und alternative Versicherungsmodelle werden heute bereits rege genutzt, denken Sie etwa an das Hausarztmodell oder die Telemedizin. Aber die eine magische Antwort auf sämtliche Probleme im Gesundheitswesen gibt es nun mal nicht.

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Die Preise sind in vielen Lebensbereichen gestiegen. Jetzt regt sich Kritik an den Unternehmen, sie würden mit den Preissteigerungen überrissene Profite machen.
Die grossen Unternehmen haben die Margen erhöht und ihre Preise durchgesetzt. Bisher jedoch gab es darauf kaum Reaktionen – das ist bedenklich. Die Gierflation wird ermöglicht, weil wir wegschauen. Das müssen wir ändern und die Wirtschaft richtig ausleuchten.

Die Frage ist: Wie?
Wir müssen das Wettbewerbsrecht neu gestalten. Die Wirtschaft neigt nicht von sich aus zum Wettbewerb, deshalb müssen wir sie dazu zwingen. Und wir müssen den Konsumentenschutz stärken. Die entsprechenden Organisationen haben zwar einen verfassungsmässigen Auftrag, erhalten aber fast kein Geld. Ich selbst habe die Marktbeobachtungen intensiviert. Wichtig ist jetzt, dass sich die relevanten Akteure diesem Thema gemeinsam widmen. Deshalb führe ich mit den Schweizer Konsumentenschutz-Organisationen im September einen Kaufkraftgipfel in Bern durch – zum ersten Mal in meiner Amtszeit.

Worum soll es an diesem Gipfel konkret gehen?
Wir bündeln unsere Kräfte, um Licht ins Dunkel zu bringen. Transparenz ist ein zentrales Ziel. Wir organisieren uns und setzen Prioritäten. Auf der Traktandenliste stehen die Preisentwicklung und die Rolle der Unternehmen. Dazu gehören auch die staatsnahen Unternehmen wie die Post und die SBB …

… die unlängst die Billettpreise und die Briefpreise erhöht haben. Es wäre wahrscheinlich noch teurer geworden, wenn Sie nicht eingeschritten wären.
Wenn irgendjemand ein Interesse daran haben muss, die Teuerung nicht noch zusätzlich aufzublasen, sollte das der Staat sein. Deshalb fragen wir am Kaufkraftgipfel auch gezielt nach der Verantwortung des Staates in Zeiten der Inflation. Es geht nicht nur um die Post oder die SBB. Soeben habe ich mit einer kantonalen Gebäudeversicherung intensive Diskussionen über eine Prämiensenkung geführt, in einem anderen Kanton ging es um die Feuerungskontrolle. Der Staat sollte sich jetzt auf breiter Front zurückhalten. Gerade kantonale oder kommunale Einrichtungen zeigen durchaus Sensibilität, wenn man sie darauf anspricht.

Was man von den Grossen nicht unbedingt behaupten kann. Die Post erhöht die Preise – und gibt drei Millionen Franken für eine Party mit DJ Bobo aus. Und die Schweizerischen Bundesbahnen wollten das Generalabonnement in der zweiten Klasse viel stärker verteuern als in der ersten.
Die GA-Besitzer in der zweiten Klasse benötigen das Abo, um zur Arbeit oder an die Uni zu gelangen. Sie sind gefangene Kunden und haben das höchste Recht auf Schutz. Dass sie am stärksten geschröpft werden sollen, ist nicht richtig. Deshalb bin ich eingeschritten. Auch die teure Veranstaltung der Post zeugt nicht von besonderer Sensibilität.

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Nicht nur staatliche Unternehmen tragen eine Verantwortung. Migros und Coop haben die Preise ihrer Billiglinien über die Teuerung hinaus erhöht – auf breiter Front und bis zu mehr als 20 Prozent. So wird die Marge auf Kosten der Ärmsten gesteigert. Werden Sie dem nachgehen?
Gerade Familien mit geringerem Einkommen sind von der Teuerung sowieso überproportional betroffen. Deshalb ist diese Entwicklung natürlich sehr bedauerlich. Meine Voruntersuchung zu den Biolebensmittelpreisen werde ich auch aus diesem Grund generell auf den Detailhandel ausweiten.

Zurzeit liegt die Inflation in der Schweiz unter zwei Prozent. Doch im Oktober steigen die Mietzinsen auf breiter Front. Was können Sie als Preisüberwacher in diesem Markt tun?
Die Zinssätze der Nationalbank sind dem Einfluss des Preisüberwachers entzogen. Aber wenn der Preis nicht das Ergebnis von wirksamem Wettbewerb ist, muss ich tätig werden. Eine solche Situation ist auch im Bereich der Zinsen nicht auszuschliessen.

Steigende Hypothekarzinsen, hohe Gebühren und tiefe Sparzinsen bescheren den Banken enorme Gewinne. Ist auch das ein Thema für Sie?
In Sachen Gebühren bin ich bereits bei den Banken aktiv geworden. Sie erheben zum Beispiel sehr hohe Gebühren für Kontoauflösungen, aber auch im Wertschriftenhandel. Hier erwarte ich Korrekturen!

Warum diskutiert die Bevölkerung in unserem Land so intensiv über 200 Franken bei den Radio- und Fernsehgebühren der SRG – und nimmt gleichzeitig die deutlich grösseren Beträge, die sie in Form von Gebühren bei Banken und Versicherungen bezahlt, mit einem Schulterzucken zur Kenntnis?
Es gibt wohl einfach Preise, die uns näher sind und deshalb emotionaler wahrgenommen werden als andere. Haben Sie je eine allgemeine Geschäftsbedingung von Anfang bis Ende durchgelesen? Oder im Detail geprüft, wofür Sie welche Gebühren bezahlen? Es gibt viele intransparente Preise, die zum Grundrauschen gehören. Denken Sie nur an all die Cloud- und Streamingdienste im Netz, die wir so fleissig nutzen …

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