Anna Hug und Marianne Wüthrich Gross – die Co-Chefinnen der Traditionsbäckerei Hug im Interview
«Das Modell ist gut, um Leute zu finden und zu halten»

Jobsharing auf Chef-Stufe ist selten. Anna Hug (49) und Marianne Wüthrich Gross (55) vom Familienunternehmen Hug zeigen seit diesem Monat, dass das geht. Im Interview sagen die CEOs, was es dafür braucht. Und bei welchem Guetzli wir während der Pandemie Trost suchten.
Publiziert: 19.06.2022 um 15:38 Uhr
Rebecca Wyss

Frau Wüthrich Gross, was schätzen Sie an Frau Hug?
Marianne Wüthrich Gross: Oh! Ein steiler Einstieg. Ich schätze ihre Verlässlichkeit in dem, was sie sagt und tut. Sie ist eine brillante Türöffnerin, die auf Leute zugeht, mit allen in Kontakt treten kann. Aber auch eine smarte Denkerin.

Gibt es Bereiche, die Frau Hug mehr liegen als Ihnen?
Wüthrich Gross: Ich bin eher introvertiert. Das, was an mir extrovertiert wirkt, ist antrainiert. Dort hat Anna einen Vorteil. Ich bin eher analytisch, wissenschaftlich, technisch unterwegs. Sie ist näher bei den Bedürfnissen der Konsumenten. Da ist viel Gefühl dabei, da wird es für mich schwierig. Ich lese lieber Statistiken dazu.

Sie mag Statistiken

Marianne Wüthrich Gross gehört nicht zur Familie Hug, weiss aber, wie ein Familienbetrieb funktioniert. Sie wurde 1966 in Bettlach SO in eine Unternehmerfamilie hineingeboren. Ihr Vater hatte eine kleine Uhrenfirma. Sie schlug einen anderen Weg ein. An der ETH studierte sie Lebensmittelwissenschaften. Mitte der Neunzigerjahre arbeitete sie zum ersten Mal bei Hug, nach einem anderen Job kehrte sie 2014 zurück, übernahm die Standortleitung der Hug-Tochterfirma Wernli. Marianne Wüthrich Gross lebt mit ihrer Familie in Bettlach.

Marianne Wüthrich Gross gehört nicht zur Familie Hug, weiss aber, wie ein Familienbetrieb funktioniert. Sie wurde 1966 in Bettlach SO in eine Unternehmerfamilie hineingeboren. Ihr Vater hatte eine kleine Uhrenfirma. Sie schlug einen anderen Weg ein. An der ETH studierte sie Lebensmittelwissenschaften. Mitte der Neunzigerjahre arbeitete sie zum ersten Mal bei Hug, nach einem anderen Job kehrte sie 2014 zurück, übernahm die Standortleitung der Hug-Tochterfirma Wernli. Marianne Wüthrich Gross lebt mit ihrer Familie in Bettlach.

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Sie, Frau Hug, sind also extrovertierter?
Anna Hug: Ich mag Menschen, gehe offensiv auf Menschen zu. Doch ich bin nicht die, die einen Raum betritt und die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Das ist mir unangenehm.

Anna Hug und Marianne Wüthrich Gross (v. l.) in der Produktionshalle in Malters LU. Wüthrich Gross sagt: «Es hat uns zusammengeschweisst, dass wir gemeinsam durchs Feuer sind.»
Foto: Anja Wurm
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Was macht Frau Wüthrich Gross aus?
Hug: An Mary bewundere ich ihren Unternehmergeist. Die breite Denke und die Helikopterflüge, die ich mit ihr machen kann. Sie ist sehr gut im strategischen Denken.

Sie mag Menschen

Anna Hug wurde 1972 in die Unternehmerfamilie Hug in Kriens LU hineingeboren. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, schaffte den Numerus clausus. Doch dann überlegte sie es sich anders und studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen. Nach Jobs ausserhalb des Familienbetriebs fing sie 2010 bei der Hug-Tochterfirma Wernli an, wurde später dort Leiterin Innovation und Produktentwicklung. Seit 2020 leitet sie den Hug-Betrieb, weil Marianne Wüthrich Gross erst ein anderes Projekt beenden musste, tat sie dies zusammen mit ihrem Onkel Andreas. Anna Hug lebt mit ihrer Familie in Luzern.

Anna Hug wurde 1972 in die Unternehmerfamilie Hug in Kriens LU hineingeboren. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, schaffte den Numerus clausus. Doch dann überlegte sie es sich anders und studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen. Nach Jobs ausserhalb des Familienbetriebs fing sie 2010 bei der Hug-Tochterfirma Wernli an, wurde später dort Leiterin Innovation und Produktentwicklung. Seit 2020 leitet sie den Hug-Betrieb, weil Marianne Wüthrich Gross erst ein anderes Projekt beenden musste, tat sie dies zusammen mit ihrem Onkel Andreas. Anna Hug lebt mit ihrer Familie in Luzern.

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Sie beide arbeiten im Jobsharing. Die Chemie muss stimmen. Auf was achten Sie beide, damit das klappt?
Hug: Mary war lange meine Chefin. Ich bin 2010 unter ihr in den Hug-Betrieb eingestiegen. Das hilft uns heute.

Inwiefern?
Hug: Damals ging der Betrieb durch schwierige Zeiten. Die Euro-Franken-Krise. Wir mussten uns aus Märkten zurückziehen und Stellen abbauen. Für mich als Familienmitglied war das nicht einfach. Mary hat mir den Rücken gestärkt.

Wüthrich Gross: Es hat uns zusammengeschweisst, dass wir gemeinsam durchs Feuer sind.

Wie sieht Ihr Co-Leitungs-Modell konkret aus?
Hug: Beide arbeiten 70 Prozent. Und wir haben eine klare Aufgabenteilung: Die Märkte und das Personal sind bei mir, der Bereich Produktion und Finanzen bei Mary. Wir arbeiten selbständig, haben aber einen «Jour fixe», an dem wir uns austauschen.

Wüthrich Gross: Ein Sorgenbarometer, um gemeinsam zu denken.

Jobsharing in Chefpositionen ist wenig verbreitet, obwohl Mitarbeiterumfragen zeigen, dass sich dies viele wünschen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Hug: Viele denken, dass Verantwortung nicht geteilt werden kann. Das ist ein alter Zopf. Mir sagte mal ein Kollege: «Du wirst dann sehen, einer zieht den Karren, ist das Alphatier.» Das stimmt nicht.

Welche Vorteile hat das Modell?
Wüthrich Gross: Es ist schön, jemand Vertrautes an der Seite zu haben. Als ich damals die Geschäftsführung der Tochterfirma Wernli übernahm, kam ich von aussen, wurde inthronisiert. Nicht alle Mitarbeiter hatten Freude. Es war ein Kraftakt, Hierarchie-Gedanken abzubauen. Das kann einsam sein. Beim Jobsharing hat man einen Sparringspartner, der am gleichen Strick zieht.

Hug: Apropos Fachkräftemangel. Das Modell ist gut, um Leute zu finden und zu halten. Gerade als Frau steht man an, wenn man ein Kind bekommt. Man ist gut ausgebildet, würde gerne Verantwortung übernehmen, aber kann nicht. Deshalb steigen so viele Frauen aus dem Beruf aus.

Wie war das bei Ihnen?
Hug: Ich sollte den Betrieb Vollzeit übernehmen, wir planten den Generationenwechsel über viele Jahre hinweg. Dann wurde ich Mutter. Und ich wollte nicht den ganzen Karren alleine ziehen, wie das mein Onkel machte. Er führte den Betrieb lange über 100 Prozent, das wäre für mich privat ein grosses Opfer.

Wüthrich Gross: Als ich meinen Sohn bekam, war klar, dass ich den Job nicht aufgebe. Mir kam schon der Mutterschaftsurlaub zu lange vor, um weg vom Job zu sein.

Viele Mütter und Väter wünschen sich das Gegenteil: eine lange Elternzeit. Warum Sie nicht?
Wüthrich Gross: Ich arbeite sehr gerne, brauche das für meine Zufriedenheit. Ich wäre froh gewesen, wenn ich schon nach ein paar Wochen wieder für einen Tag pro Woche hätte einsteigen können. Vielleicht um die Post zu lesen und um einen Fuss in der Türe zu behalten.

Nun sind Sie die erste Betriebschefin, die nicht zur Hug-Familie gehört. Hatten Sie keine Bedenken, die Familie würde Ihnen in Ihre Arbeit reinreden?
Wüthrich Gross: Während der letzten zwanzig Jahre habe ich das nicht so erlebt. Es ist eine coole Familie. Wir haben die gleichen Werte, nehmen uns selber nicht so ernst, wollen Arbeitsplätze erhalten und den Betrieb ausbauen. Was mich mehr beschäftigte: Wie würde es sein, Kollegen aus der Geschäftsleitung zu führen?

Und wie war das bei Ihnen, Frau Hug, war immer klar, dass Sie mal den Job Ihres Vaters Werner Hug machen würden?
Hug: Nein. Ich war nach meinem Wirtschaftsstudium lange ausserhalb des Familienbetriebs unterwegs. Um mir zu beweisen, dass ich es auch ausserhalb kann. Für mein Selbstvertrauen. Irgendwann ging der Job in Trimbach bei unserer Tochter Wernli auf, und ich wagte es.

War der Familienbetrieb früher zu Hause Thema?
Hug: Am Mittagstisch sprach Papa viel davon, welche Konflikte er hatte, was nicht gut lief. Auslistungen beim Handel waren ein grosses Thema. Wenn also ein Detailhändler die Marke Hug rauswarf. Das beschäftigte ihn sehr.

Wollte Ihr Vater Sie nie nachziehen?
Hug: Subtil schon. Er wollte manchmal mit mir Sachen besprechen. Als ich an der Uni war, war er interessiert daran, was die neueste Managementwissenschaft sagt. Ich wollte aber meinen eigenen Weg finden, suchte die Nähe zu Hug nicht.

Gibt es Dinge, die Sie heute, da Sie in seiner Position sind, besser verstehen?
Hug: Die Belastung durch die Verantwortung. Die gibt es immer noch, auch wenn wir in der Co-Leitung zu zweit sind.

Ihr Vater war ein Patron. Führen Sie anders?
Hug: Er entschied viel mehr als wir ganz alleine. Wir zwei sind heute kein Nadelöhr mehr, durch das alle Entscheide hindurch müssen. Sehr vieles entscheidet das Geschäftsleitungsgremium und vor allem der Fachbereich selber.

Führen Frauen anders als Männer?
Hug: Ja. Frauen stellen sich nicht so in den Mittelpunkt, nehmen sich nicht so wichtig. Die Frauen, die in der Führung sind, müssen per se schon super in der Führung sein. Sonst hätten sie es nicht so weit gebracht.

Sie schauen kritisch, Frau Wüthrich.
Wüthrich Gross: Es kommt auf die Person an, nicht auf das Geschlecht.

Was zeichnet eine gute Chefin aus?
Wüthrich Gross: Man muss seinen eigenen Stil finden und sich selber sein. Dafür muss man über das eigene Tun und Handeln nachdenken. Und Geduld sollte man haben. Heute gelingt mir das besser als mit 30, damals sagte ich schneller, was ich denke, und blockierte unabsichtlich vielleicht für jemanden einen Weg. Jetzt weiss ich: Es gibt viele Wege nach Rom.

Zurück zum Familienbetrieb. Ablösungsprozesse gehören zu einer Familie. Was wollten Sie anders machen als Ihr Vater?
Hug: Beim Thema Nachhaltigkeit bin ich extremer als meine Vorgänger. Ich will eine saubere Rohstoff-Charta, zum Beispiel nur noch Freilandeier in unseren Produkten.

Doch auf Palmöl verzichtet Hug nicht.
Hug: Wir setzen noch Palmöl ein, zum Beispiel bei den Füllungen von manchen Guetzli. Das Palmöl stammt aber aus nachhaltigen Quellen. Andere Fette für Füllungen wie Kokos sind oft weniger nachhaltig. Insgesamt verwenden wir aber viel weniger Palmfett als vor ein paar Jahren.

Die Leute achten immer mehr auf qualitativ hochwertige und gesunde Ernährung. Ist es schwierig, als Guetzli-Bäcker da mitzuhalten?
Wüthrich Gross: Unser aller Ansprüche sind enorm gewachsen. Man will keine Konservierungsmittel, es muss glänzen wie Anton, kein Palmöl darf es haben. Am Schluss muss es aber vor allem gut schmecken. Ein Biscuit gönnt man sich ja. Man isst das für den Genuss. Das zeigen unsere Umfragen. Die Leute geben immer an, dass sie die Biscuits nur kaufen, um sie Besuch aufzutischen. Wenn man dann über längere Zeit schaut, zeigt sich: Sie essen sie oft auch alleine vor dem Fernseher.

Mit Zwieback fing es an

1877 fing alles an. Eingewandert aus dem Schwarzwald, kaufte Joseph Hug-Meyer eine Bäckerei in Luzern. Abends schnitt er das unverkaufte Brot in Scheiben und röstete es über Nacht im warmen Ofen. 1913 gründeten seine Nachfolger die Zwiebackfabrik in Malters LU und belieferten die Welt. Betuchte Touristen, die auf einem Schweiz-Besuch einige Tage in Luzern weilten, liessen sich das Hartgebäck nach Italien, England, Deutschland und sogar Amerika schicken. Mittlerweile ist die Produktepalette gewachsen: Guetzli, Darvida, Tortenböden oder Pastetli – 11'440 Tonnen Gebäck produziert Hug jedes Jahr.

1877 fing alles an. Eingewandert aus dem Schwarzwald, kaufte Joseph Hug-Meyer eine Bäckerei in Luzern. Abends schnitt er das unverkaufte Brot in Scheiben und röstete es über Nacht im warmen Ofen. 1913 gründeten seine Nachfolger die Zwiebackfabrik in Malters LU und belieferten die Welt. Betuchte Touristen, die auf einem Schweiz-Besuch einige Tage in Luzern weilten, liessen sich das Hartgebäck nach Italien, England, Deutschland und sogar Amerika schicken. Mittlerweile ist die Produktepalette gewachsen: Guetzli, Darvida, Tortenböden oder Pastetli – 11'440 Tonnen Gebäck produziert Hug jedes Jahr.

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Hug: Wir müssen mit der Zeit gehen. Die meistverkauften Guetzli, die Choco Petit Beurre, gibt es zum Beispiel in einer zuckerreduzierten Variante.

Essen kann Trost spenden. Bekam Hug das während der Pandemie zu spüren?
Wüthrich Gross: Die Leute kauften anfangs vor allem mehr Zwieback. Als Notvorrat.

Hug: Was uns überraschte: Sie wollten mehr von unseren Nostalgiker-Produkten. Die Jura-Waffel oder Willisauer Ringli haben wir schon lange im Sortiment. Plötzlich gingen die ab wie eine Rakete.

Wüthrich Gross: Alle klammerten sich in der Krise an das, was man kennt. Das spiegelte wohl die Sehnsucht nach Stabilität.

Schauen wir zum Schluss noch nach vorne: Welche Trends im Food-Bereich kommen auf uns zu?
Wüthrich Gross: Nachhaltigkeit wird noch wichtiger werden. Ich wünschte mir, dass wir schon die Lösung für nachhaltige Verpackungen hätten.

Hug: Wir wollen dereinst weg vom Kunststoff, doch momentan ist das das einzige Material, das die Biscuits frisch hält. Wir bleiben dran.

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