Bäckereisterben lässt Qualität steigen
Weniger Backstuben, besseres Brot

In den Schweizer Backstuben wird die Luft dünner: Im Jahr 2000 gab es noch 2500 Bäckereien – heute sind es noch rund 1400. Es überlebt nur, wer richtig gutes Brot bäckt.
Publiziert: 21.12.2019 um 23:05 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2020 um 10:20 Uhr
Rachel Hämmerli

Warum sind da Mandelsplitter auf dem Buebebei – dem männlichen Gegenstück zum Meitschibei? Margrith Amstad verrät es: «Männerbeine sind haarig.» Dann schiebt die Bäckerin nach: «Aber beide haben Nüsse!»

Nichts deutet darauf hin, dass die zwei Inhaber der Traditionsbäckerei Amstad in Cham ZG längst pensioniert sein könnten: «Hat es nicht, gibt es nicht», sagt die Frau des Hauses. Ihr Credo sei der Grund dafür, warum die 62-Jährige und ihr 68-jähriger Ehemann vom Bäckereisterben verschont geblieben seien. Auf Wunsch backe Peter Amstad vegane Brownies, sogar Schwarzwäldertorte ohne Kirsch habe er im Programm.

Editorial über die Bedeutung des Brots

Wenn die Kunden glücklich sind, sind es auch Peter und Margrith Amstad.
Foto: Anja Wurm
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Dafür ist das vor 38 Jahren eröffnete Ladengeschäft so eng, dass höchstens zehn Männer- oder Frauenbeine samt den dazugehörigen Kunden Platz haben. Es hat weder einen auffälligen Namen noch einen Internet-Auftritt zu bieten – und gehört zu den letzten seiner Art.

Der Grosse frisst den Kleinen

«Kleinere Bäckereien wurden zu grösseren Betrieben mit zahlreichen Filialen», sagt Urs Wellauer, Direktor des Schweizerischen Bäcker-Confiseur­meister-Verbands. Als Beispiele nennt er den Sutter Beck aus Basel oder die Confiserie Bachmann aus Luzern.

Das Bäckereisterben begann vor etwa zwanzig Jahren. Seither verschwanden in der Schweiz rund 40 Prozent der Geschäfte – im Jahr 2000 existierten noch 2500, heute sind es 1436. «Jedes Jahr schliessen bis zu 40 Bäckereien», so Verbandsdirektor Wellauer. Stärkste Konkurrenten seien Grossverteiler, Discounter und Tankstellenshops: «Der Konsument ist bequem und kauft Brot dort, wo er auch die restlichen Lebensmittel bekommt.»

Als die Luft für die Branche allmählich dünner wurde, spürte auch die Bäckerei Amstad den Wandel. Vor 15 Jahren war Brot der Bestseller, 70 Prozent der Einnahmen wurden damit erwirtschaftet, der Rest mit süssem Gebäck. Dann drängten Snacks zum Mitnehmen peu à peu Brot und Kuchen in die Ecke. Heute liegen täglich bis zu 200 Eingeklemmte im Schaufenster. Das Geschäft mit blossem Brot halbierte sich.

Noch etwas geschah: Die Qualität begann zu steigen. «Unsere Kunden fragten immer öfter, was im Brot drin ist», sagt Peter Amstad. Er wurde es leid, sagen zu müssen, dass er Backhilfsmittel verwende. «Ich habe das noch so gelernt. Damit ging alles einfach schneller und effizienter.» Und man konnte Lohnkosten sparen.

Mit Hilfsmitteln dauert das Backen vom Mischen bis zum fertigen Brot zwei Stunden. Um natürlichen Sauerteig herzustellen, braucht es mindestens 18 Stunden Geduld. Heute kommen in Amstads Pfünderli nur noch Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Kunden wie Annemarie Genther schätzen das. Sie komme «schon ewigs» in die Bäckerei an der Hünenberger­strasse, nehme dafür sogar einen Umweg in Kauf. «Auch wenn ich vorher im Coop war, das Brot hier ist nicht zu toppen.» Grossverteiler und Tankstellenshops verwenden in aller Regel Backhilfsmittel, damit der Teig schneller aufgeht. ­Dadurch wird das Brot schneller hart und verliert an Bekömmlichkeit.

«Keiner kann sich heute noch erlauben, schlechtes Brot zu verkaufen.»

Stephan Scheuner, Geschäftsführer des Vereins Schweizer Brot, erkennt eine Rückbesinnung auf regionale und nachhaltige Produkte. Doch wie das Brot schmeckt, sei nach wie vor das Wichtigste: «Kein Anbieter kann sich heute noch erlauben, schlechtes Brot zu verkaufen.»

Und doch – der Absatz sinkt. Von 2017 bis 2019 nahm die Menge des verkauften Brots um 1,4 Prozent ab, wie neuste Zahlen des Bundesamts für Landwirtschaft zeigen. Insgesamt wurden zwischen Juni 2018 und Juni 2019 206'215 Tonnen Brot und Backwaren verkauft – 3000 Tonnen weniger als ein Jahr zuvor. Am tiefsten abgestürzt – um 5,5 Prozent – ist der Zopf. 13'557 Tonnen Zopf werden hierzulande pro Jahr noch verspeist. «Dafür werden mehr Kleinbrote gegessen», sagt Scheuner. Heute geniesse man zum Frühstück eher ein Gipfeli im Zug als ein Stück Brot am Esstisch.

Peter Amstad stört das alles kaum. In zwei Jahren wolle er ohnehin mehr mit dem Hund spazieren gehen: «Dann wird aus der Bäckerei eine Filiale.» Ofen und Geräte seien alt. Bis zu 200 '000 Franken würde der Umbau der Backstube kosten. Dass ein Nachfolger diese Investitionen stemmt, kann er sich nicht vorstellen, die Banken ­seien mit Krediten zurückhaltend. «Das Brotgeschäft ist zu unsicher», sagt Amstad.

16'000 Franken Miete im Monat

Die Branche kennt auch Hoffnungsträger. Zum Beispiel Jens Jung (48). Er ist kein Amerikaner, nennt seine Szenebäckereien aber «John Baker». Eine davon steht am Zürcher Bahnhof Stadelhofen. 16 '000 Franken Miete zahlt er pro Monat für die Traumlage.

2013 ging Jung mit drei Freunden ins Risiko. Ohne Bank investierte das Trio rund 800'000 Franken: «Früher versteckten sich die Bäcker im Keller», sagt Jung. Bei ihm ist die Backstube in den Verkaufsraum integriert. Die Kunden sehen zu, wie bleiche Teiglinge zu Brot werden.

«Das Mehl für die Vollkornbrote machen wir selbst.» Eier und Milch kaufe er bei regionalen Bauern, die er beim Vornamen nennt. «Das ist den Kunden wichtig.» Die Zahlen geben Jung recht. Auch wenn das 400-Gramm-Vollkornbrot 5.50 Franken kostet: Schon im zweiten Jahr erreichte John Baker den erhofften Umsatz von 2,2 Millionen.

«Städtische Bäckereien erleben einen Aufschwung», bestätigt Urs Wellauer. Gerade erst habe in Bern die erste komplett vegane Bäckerei eröffnet, auch in Zürich seien solche Angebote beliebt. Die Menschen arbeiten vermehrt in Städten und kaufen ihr Brot auf dem Weg zur Arbeit, so der Verbandsdirektor: «Bäckereien auf dem Land haben zu kämpfen.»

Imagepflege gehört zum Erfolgsrezept moderner Backstuben, auch bei John Baker. «Bei uns gehört der Kunde zur Familie», sagt Jens Jung. Und in einer ­Bäckerfamilie helfe man sich eben. Wie etwa der Kundin Carolin Kradolfer. Etliche Male habe sie versucht, ein Sauerteigbrot zu backen – erfolglos. «Das Brot war trocken und die Wohnung stank», schimpfte sie.

«Back das Brot im Römertopf, damit die Feuchtigkeit bleibt», riet ihr Jens Jung und gab ihr Mehl und Sauerteig mit. Er kenne Leute, die den Namen John Baker ins Haar rasieren oder gar als Tattoo tragen.

Ja, die Zeiten haben sich geändert. Peter Amstad, das Bäcker-Original aus Cham, kannte nur eine Werbeform: «Von Mund zu Mund.» Jens Jung inszeniert den Kult in den sozialen Medien, unter anderem mit Bildern von Starköchin Tanja Grandits und Formel-1-Pilot Sebas­tian Vettel, die vor der Szenebäckerei posieren.

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