Caecilia Charbonnier (37) leitet zwei Digitalfirmen und zählt Steven Spielberg zu ihren Investoren
Von der Tennishoffnung zum Digital-Crack

Caecilia Charbonnier (37) aus Genf trifft sich mit Steven Spielberg für Meetings und leitet als Wissenschaftlerin zwei Digitalfirmen auf zwei Kontinenten. Dabei wäre sie eigentlich fast in die Fussstapfen von Patty Schnyder getreten.
Publiziert: 21.09.2019 um 13:59 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2019 um 21:07 Uhr
Sie war eine der grössten Tennis-Nachwuchshoffnungen, heute leitet Caecilia Charbonnier zwei Digitalfirmen als Wissenschaftlerin.
Foto: charbonnier.ch
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Jonas Dreyfus

Auf dem Tennisplatz dürfe man dem Gegner keine Emotionen zeigen. «Das macht verletzlich.» Wer der Genferin Caecilia Charbonnier zuhört, merkt: Vieles, was sie sich in ihren Jugendjahren als eine der vielversprechendsten Sportlerinnen der Schweiz aneignen musste, kann die 37-Jährige für ihre zweite Kar­riere als Geschäftsfrau brauchen. Sich nicht in die Karten schauen zu ­lassen, gehört dazu. «Auf dem Court wirkte ich ruhig. Auch in Momenten, in denen ich ­innerlich fast explodierte.»

Sie sitzt im Innenhof des ältesten Gebäudes ihrer Heimatstadt, dem Maison Tavel. Es gehört zum Musée d’art et d’histoire, in dem Besucher bis Ende September ins Genf des Jahres 1846 eintauchen können – dank einer Virtual-Reality-Ex­perience, die Charbonnier mit einer ihrer beiden Firmen entwickelt hat. Die Tickets für den computergenerierten Rundgang waren innert einer Woche ausverkauft.

In der Pferdekutsche durch das Genf von 1846

Teilnehmer blicken auf einen Bildschirm, den sie sich in Form einer abgedunkelten Brille vor die Augen schnallen. Sensoren an Händen und Füssen sorgen dafür, dass der Besucher sich in dieser vorgegaukelten Realität bewegen und sie fühlen kann. Man sitzt auf ­einer vibrierenden Bank, die das Holpern einer Kutsche simuliert, und sieht durch die Fenster die von Volksaufständen gebeutelte Stadt vorbeiziehen. Ventilatoren sorgen für Fahrtwind, Duftzerstäuber ­machen die brennenden Barrikaden für die Nase riechbar. Wer an sich hinunterblickt, wähnt sich in ein historisches Kostüm gekleidet.

Charbonnier, Doktorin der Informatik, ist bei dieser Art von Unterhaltung vorne mit dabei. 2011 gründete sie in Genf zusammen mit ihrem Freund ­Sylvain Chagué, der inzwischen ihr Verlobter ist, und ­einer  Geschäftspartnerin die Non-Profit-Firma Artanim, die sich auf die Entwicklung von digitaler Bewegungserfassung spezialisiert. Die sogenannte Motion Capture ist Grundlage für die Entwicklung von Vir­tual-Reality-Welten.

Technik aus der Schweiz, Inhalte aus den USA

Am Sundance Film Festival in Salt Lake City stiess die von Charbonnier und ihrem Team entwickelte Technik auf grosses Interesse. Zusammen mit Walter Parkes, einem der erfolgreichsten Filmproduzenten, grün­deten Charbonnier und ihr Verlobter eine weitere Firma mit Sitz in den USA: Dreamscape Immersive. Das Start-up spezialisiert sich auf Unterhaltungs­angebote im Virtual-Reality-Bereich und beschäftigt am Hauptsitz in Kalifornien 50 Mitarbeiter. In der Schweiz sind für beide Firmen 18 Leute tätig. «Wir liefern Software und Technologie, Geschichten und Inhalte kommen aus Los Angeles», sagt Charbonnier.

Gerade hat Dreamscape Immersive neben den digitalen Traumwelten in Los Angeles eine weitere eröffnet: In der ­texanischen Metropole Dallas können Besucher des North Park Centers, einer der grössten Malls der USA, für 20 Dollar virtuell nach Ägypten abtauchen.

Grosse Hollywood-Studios wie 21st Century Fox haben bis heute mehr als 40 Millionen Dollar in Dreamscape Immersive investiert, da sie Alternativen zum klassischen Kinoerlebnis testen wollen und an der Weiterentwicklung von Motion Capture interessiert sind. Mit dieser Technologie können menschliche Bewegungen auf fiktive Computerfiguren übertragen werden.

So entstehen Filme wie das kürzlich erschienene Remake des Disney-Klassikers «Aladdin», in denen Comic-Charaktere wie echte Schauspieler wirken. Charbonnier trifft sich jetzt regelmässig mit ­Regisseur Steven Spielberg (72), einem weiteren Aktionär ihrer Firma, für Business-Meetings. «Steeween», nennt sie ihn mit ihrem französischen Akzent.

Das Tennis war ihre Lebensschule

Sie wächst in der wohlhabenden Gemeinde Cologny am Genfersee in einer Mediziner-Familie auf, will Ärztin werden, liebt aber Tennis und hat enormes Talent. Der holländische Star-Coach Eric van Harpen (75), der auch Patty Schnyder und Anna Kurnikowa zum Erfolg verhalf, nimmt sich ihrer an.

1999 ist Charbonnier eine der grössten Nachwuchshoffnungen im Schweizer Tennis, viertplatzierte Spielerin des Landes und 256. in der Rangliste der Women’s Tennis Association. Im selben Jahr spielt sie erstmals im Fed-Cup. Das wars dann aber schon mit der Sportlerkarriere. Nach einer Schulteroperation zwingen chronische Schmerzen die ehrgeizige Athletin mit 18 zum Rücktritt.

Schlägt sie heute trotzdem zum Spass noch ein paar Bälle? «Nicht so oft, wie ich gerne würde», sagt Charbonnier. Wenn ein Arbeitstag in der Schweiz zu Ende geht, stehen ihre Partner und Mitarbeiter an der US-Westküste erst auf und schreiben erste E-Mails. Vor acht Uhr abends ist sie selten zu Hause. «Wenn ich dann mal zum Tennisspielen komme, will ich aber immer noch gewinnen.» Mit ihrer Körperhaltung – die Schultern nach vorne gerichtet – wirkt sie ­angriffsbereit. Als wäre sie ständig darauf gefasst, ­einen Aufschlag ­abwehren zu müssen.

Entspannen? Kennt sie nicht!

Dass Ex-Profisportler sich beruflich komplett neu erfinden, ist ­keine Selbstverständlichkeit. Dass sie eine Akademikerlaufbahn einschlagen, erst recht nicht. Nach ­einem ganztägigen Training büffelt Charbonnier als Teenager abends für die Fernmatur. Als sie mit achtzehneinhalb Jahren an die Uni geht, ist sie gleich alt wie alle anderen Studienanfänger. «Mit dem Unterschied, dass meine Kommilitonen während der Schulzeit mehr Freizeit genossen als ich.»

Verspürt sie keine Lust, einfach mal zurückzulehnen? «Im Gegenteil», sagt die Geschäftsfrau. Wenn man so viel Energie in etwas stecke und dazu gezwungen werde aufzugeben, könne man nicht einfach entspannen. «Tennis war meine Lebensschule. Jeden Tag musste ich pünktlich auf dem Court erscheinen und mich durchs Training beissen. Als das wegfiel, brauchte ich eine neue Herausforderung.»

Auf ein Medizinstudium hatte sie keine Lust mehr. «Ich hatte wegen Verletzungen zu viel Zeit beim Arzt verbracht.» Sie beginnt, in Genf Informatik zu studieren, ist eine von drei Frauen ihres Jahrgangs. Ihr Spezialgebiet: Computergrafik und wie sich Dinge damit dreidimensional visualisieren lassen.

Profi-Ballerinas als Untersuchungsobjekte

Für ihre Doktorarbeit untersucht sie die Hüftgelenke von Profi-Ballerinas, die meist in jungen Jahren schon an Arthrose leiden. Die Tänzerinnen werden im Labor mit Sensoren versehen und tanzen dem Computer etwas vor. Mit den Daten kann Charbonnier nachvollziehen, was im Innern der Gelenke passiert, welche Stellen die grösste Belastung aushalten müssen.

Heute hat Charbonnier mit Leuten aus Hollywood zu tun. Wie fühlt sich das für eine Schweizer Akademikerin mit Spitzensport-Vergangenheit an – unter all den extrovertierten Selbstdarstellern, von denen es im Filmgeschäft nur so wimmelt? «Ich fühle mich unter kreativen Menschen wohl», sagt sie. Sie sei selbst innovativ, entwickle ständig neue Ideen. «Dass ich einmal Profi-Tennisspielerin war, kommt bei Kollegen gut an. Amerikaner sind immer für eine gute Story zu haben.»

Für Frauen ist das Start-up-Umfeld härter

Nur als Frau fühle sie sich manchmal nicht ernst genommen. «Wenn in Sitzungen ein technisches Problem besprochen wird, richten sich immer alle automatisch an meinen Verlobten, obwohl ich technisch genauso kompetent bin.» Damit das weniger passiert, nehmen die beiden jetzt unterschiedliche Rollen innerhalb des Unternehmens ein.

Das Start-up-Umfeld sei für Frauen generell härter, fügt Charbonnier an. «Wir sind untervertreten, weil es in der Aufbauphase viel Personal aus typischen Männer­domänen benötigt, Ingenieure beispielsweise.» Wenn sie sich in einer Sitzung unsichtbar fühle, würde sie am liebsten winken und rufen: «Hallooooo! Ich bin auch noch hier!» Das sind Momente, in denen sie wieder einmal cool bleiben muss – obwohl sie innerlich fast explodiert. 

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