Chef weg, Rüffel, unter Aufsicht
Nach Tod von Krebspatient Karl Riebli-Föhn (†82) nimmt BAG Krankenkasse in die Mangel

Die Zürcher Krankenkasse SLKK spielte bei einem Krebspatienten auf Zeit – und liess ihn sterben. Zu diesem vernichtenden Urteil kommt eine offizielle Untersuchung. Die Kasse muss nun schleunigst Verbesserungen erzielen. Ansonsten droht der Bewilligungsentzug.
Publiziert: 07.10.2022 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2022 um 06:30 Uhr
Martin Schmidt

Für Karl Riebli-Föhn (†82) kommen die Weisungen viel zu spät: Die Aufsichtsbehörde des Bundesamts für Gesundheit (BAG) hat bei der Zürcher Krankenkasse SLKK «schwerwiegende und zahlreiche Mängel» festgestellt – und gibt ihr zwei Monate Zeit, um die Fehler zu beheben. Ansonsten droht im Extremfall gar der Entzug der Bewilligung.

Riebli-Föhns Fall hat 2021 schweizweit für Furore gesorgt. Die Spezialisten des Inselspitals Bern hatten dem Krebspatienten im Frühling 2020 eine Car-T-Zelltherapie verschrieben. Die Therapie von Novartis wird seit dem 1. Januar 2020 über die Grundleistungen abgedeckt. Doch Riebli-Föhns Krankenkasse, die SLKK, sperrte sich gegen die Übernahme der Kosten und ging mit dem todkranken Patienten durch alle Gerichtsinstanzen bis vor Bundesgericht – und verlor. Riebli-Föhn konnte seine Behandlung im Frühjahr 2021 beginnen – doch da war es schon zu spät. Er verstarb am 13. April.

Systematische Probleme bei der SLKK

Die SLKK hat sich vehement gegen die Vorwürfe, den Fall bewusst verzögert zu haben, gewehrt. Die neue Untersuchung kommt nun zu einem vernichtenden Urteil: Das BAG ist nicht nur im vorliegenden Fall, sondern ganz generell auf grosse Mängel bei der SLKK gestossen.

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So sind Stellungnahmen eines Vertrauensarztes der SLKK bereits mehrfach gerichtlich beanstandet worden. Die Krankenkasse darf deshalb ab sofort nur noch Vertrauensärzte mit der nötigen Qualifikation einsetzen und muss dafür sorgen, dass deren Stellungnahmen in annehmbarer Zeit erfolgen. Beides Punkte, die Bund und Gerichte auch im Fall von Riebli-Föhn kritisiert haben.

Das BAG kommt zudem zum Schluss, dass der SLKK die notwendigen juristischen Kompetenzen für die Beurteilung komplexer Leistungsfälle wie bei Riebli-Föhn fehlen. Die Kasse muss sich deshalb innerhalb der nächsten zwei Monate juristisch verstärken und gewährleisten, dass künftig sämtliche Fristen in Rechtsfragen eingehalten werden.

Besonders pikant: Die SLKK hatte in ihrem letztjährigen Geschäftsbericht noch die nötige juristische Sachkompetenz auf Stufe der Kantonsgerichte infrage gestellt. Nun erhält die Kasse selber ausgerechnet in diesem Bereich einen Rüffel.

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Ungewöhnlich hartes Vorgehen des Bundes

Der Bund gibt der Kasse zwei Monate Zeit, einen ganzen Katalog von Massnahmen umzusetzen, damit sich so gravierende Fehler wie bei Riebli-Föhn nicht wiederholen. Darüber hinaus muss die SLKK eine Fehlerkultur über den gesamten Betrieb einführen. Und auch der Vorstand kriegt sein Fett weg: Ab sofort hat er für eine laufende und sorgfältige Ausübung von Beaufsichtigung und Oberleitung zu sorgen.

«Ein derart hartes Vorgehen gegen eine Kasse ist aussergewöhnlich», sagt Felix Schneuwly (62), Krankenkassenexperte bei Comparis. «Doch es bestätigt die Kritik des Bundesgerichts. Die Krankenkasse hat bei Riebli-Föhn auf Zeit gespielt.»

Was sagt die Krankenkasse zu der massiven Kritik? «Die SLKK arbeitet aktuell unter Hochdruck mit allen betroffenen Instanzen zusammen, um künftig die Prozesse zu verbessern. Zudem bestätigen wir, dass die SLKK nur mit ausgewählten Fachkräften arbeitet. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass in solchen schwerwiegenden Fällen stets ein Risiko vorhanden ist, sei es beim Leistungserbringer oder beim Krankenversicherer selbst», schreibt SLKK-Geschäftsführer Roland Kleiner auf Anfrage. Dass mit Kleiner seit dem 1. Oktober 2022 ein neuer CEO eingesetzt worden ist, nimmt das BAG erfreut zur Kenntnis.

Kasse könnte Bewilligung verlieren

Comparis-Experte Felix Schneuwly treibt nach dem vernichtenden Untersuchungsbericht des Bundes noch eine andere Frage um: «Die Aufsicht müsste nun klar kommunizieren, ob es sich dabei um einen krassen Einzelfall handelt oder ob es solche Fälle häufiger gibt. Nur so kann für die Versicherten Vertrauen in das System geschaffen werden.» Am Ende müsse gewährleistet sein, dass die Versicherungsnehmer überall gleich behandelt werden und «die Wahl der Krankenkasse bei einem Krankheitsfall nicht zur Lotterie wird».

Auf der Homepage des Bundesamts für Gesundheit sind keine weiteren Weisungen für Verfehlungen anderen Krankenkassen zu finden. Auf Anfrage teilt ein BAG-Sprecher mit: «Bei den durch die Gerichte und die Aufsichtsbehörde festgestellten Mängel in der Geschäftsführung der SLKK handelt es sich in dieser Form klar um einen Einzelfall. » Das BAG erachte eine solche Kommunikation wie im Fall der SLKK als wichtig für das Vertrauen der Versicherten. Aus diesem Grund habe man sich für eine Publikation entschieden.

Die Aufsichtsbehörde wird die Umsetzung der verlangten Massnahmen bei der SLKK genau überwachen. Bei einer unzureichenden Behebung der Mängel muss sich die Krankenkasse auf noch schärfere Massnahmen gefasst machen. Diese können von einer Übernahme der Leitung durch eine Drittperson bis hin zur Einziehung der Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung reichen.

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