Dank Medbase und CEO Napierala ist die Migros ein Gesundheits-Riese
«Uns werden jede Woche vier Arztpraxen zum Kauf angeboten»

Mit der Tochter-Firma Medbase ist der orange Riese Marktführer in der Hausarztmedizin. Medbase-CEO Marcel Napierala warnt: Die Schweiz setze mit ihrem Gesundheitssystem gerade die Grundversorgung aufs Spiel.
Publiziert: 06.07.2024 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 06.07.2024 um 10:46 Uhr
Medbase-CEO Marcel Napierala will mit Apotheken die Hausärzte entlasten.
Foto: Philippe Rossier
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Lino SchaerenRedaktor

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat sich die Migros zur grössten Anbieterin in der ambulanten medizinischen Grundversorgung gemausert. Arztpraxen, Zahnmedizinzentren, Apotheken: Über die Medbase-Gruppe hat die Detailhändlerin in den letzten Jahren am Laufmeter eingekauft und dabei Hunderte Millionen Franken investiert. Offiziell will die Migros damit in Zeiten des Ärztemangels ihren Teil zum Erhalt der Grundversorgung beitragen. Doch Medbase-CEO Marcel Napierala (49) spricht im Interview auch über das unternehmerische Potenzial im 90-Milliarden-Gesundheitsmarkt.

Herr Napierala, Hausärzte, die in Pension gehen, finden oft keine Nachfolge mehr für ihre Praxis. Wie oft werden Ihnen solche Praxen zum Kauf angeboten?
Marcel Napierala: Viel zu oft. Die Ärzte gelangen an uns, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Im Schnitt erhalten wir vier oder fünf solcher Anfragen pro Woche und das konstant seit mehreren Jahren. Ich finde das bedenklich.

Woher kommen die Anfragen?
Die meisten Hilferufe kommen vom Land, weil der Mangel an Hausärzten hier noch ausgeprägter ist als in den Städten. Und das Problem wird nicht kleiner: Viele Grundversorger stehen kurz vor der Pensionierung oder arbeiten bereits über das Pensionsalter hinaus. Es kommen zu wenige junge Mediziner nach, um sie zu ersetzen. Uns fehlen bereits heute mehrere Tausend Hausärztinnen, in einigen Jahren werden es noch mehr sein.

Zu Medbase kommen sie, weil die Migros-Tochter mit 580 Hausärzten und Internistinnen inzwischen Marktführerin in der ambulanten Grundversorgung ist. Was antworten Sie auf die Kaufangebote?
Wir müssen unsere Ressourcen bündeln und können nicht am Laufmeter Einzelpraxen mit Patientenstamm übernehmen. Nur wenn sich ein sinnvolles Konzept für ein Medbase-Gesundheitszentrum umsetzen lässt und wir junge Ärztinnen dafür gewinnen können, ist eine Übernahme möglich. Bei über 90 Prozent der Anfragen ist das leider nicht der Fall.

Sie warnen davor, dass die Schweiz die Grundversorgung aufs Spiel setzt. Was läuft schief?
Wir müssen viel mehr in die Ausbildung und damit in die Basisarbeit investieren. Hausarztmedizin muss als Berufsfeld wieder attraktiver werden. Bei Medbase engagieren wir uns stark in der Ausbildung von Assistenzärzten. Bricht die Basis weg, wären die Folgekosten um ein Vielfaches höher. Schauen Sie nur auf die Notfallstationen der Spitäler. Die sind oft bereits heute überfordert mit den Patientinnen, die mit Bagatellen bei ihnen auftauchen.

Hat sich das Verhalten der Patienten generell verändert?
Die Konsumhaltung ist ausgeprägt. Die Menschen verlangen umgehend Lösungen, fordern umfassende technische Untersuchungen, wollen ein MRI. Für das Personal ist das herausfordernd, denn als Managed-Care-Organisation sind wir nicht darauf aus, möglichst viele Behandlungen abzurechnen. Wir lösen nur die Kosten aus, die gemäss der wissenschaftlichen Evidenz opportun sind.

Es kommt also vermehrt zu Konflikten mit Patienten?
Ich würde eher sagen, dass die Beratungsintensität zugenommen hat. Ist ein MRI aus medizinischer Sicht unnötig, muss das dem Patienten erklärt werden. Immerhin: Letztlich hören dann die meisten auf die Fachmeinung. Das zeigt, dass der Ansatz der integrierten Versorgung richtig ist, weil der Patient und die Qualität im Zentrum stehen.

Vom Physiotherapeut zum Manager

Marcel Napierala (49) hat 2001 in Winterthur die Firma Physiotherapiecity mitgegründet, die später zu Medbase wurde. Der Physiotherapeut und Ökonom hat 2010 die Migros mit an Bord geholt. Heute ist die Detailhändlerin alleinige Besitzerin von Medbase. Der gebürtige Berner Oberländer Napierala blieb auch nach der Übernahme durch die Migros an Bord, er führt als CEO die Gruppe, zu der knapp 70 medizinische Zentren, 57 Apotheken, 42 Zahnarztzentren, über 20 Physiotherapiepraxen und die Online-Apotheke Zur Rose gehören. Medbase beschäftigt 4200 Mitarbeitende und macht einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Franken.

Marcel Napierala (49) hat 2001 in Winterthur die Firma Physiotherapiecity mitgegründet, die später zu Medbase wurde. Der Physiotherapeut und Ökonom hat 2010 die Migros mit an Bord geholt. Heute ist die Detailhändlerin alleinige Besitzerin von Medbase. Der gebürtige Berner Oberländer Napierala blieb auch nach der Übernahme durch die Migros an Bord, er führt als CEO die Gruppe, zu der knapp 70 medizinische Zentren, 57 Apotheken, 42 Zahnarztzentren, über 20 Physiotherapiepraxen und die Online-Apotheke Zur Rose gehören. Medbase beschäftigt 4200 Mitarbeitende und macht einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Franken.

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Sie haben kürzlich angekündigt, die gut 50 Medbase-Apotheken von reinen Ladengeschäften in Anlaufstellen für medizinische Erstversorgung umzubauen.
Andere Berufsgruppen können helfen, die Hausarztmedizin zu entlasten. Wir bieten heute bereits Impfungen oder Allergietests in unseren Apotheken an. Jetzt wollen wir die Dienstleistungen weiter ausbauen. Die ambulante Grundversorgung langfristig garantieren können wir nur mit dem Managed-Care-Ansatz, nach dem Hausärztinnen, Apotheker, Spezialistinnen und Therapeuten Hand in Hand arbeiten.

Genau hier investiert die Migros bei Medbase. Neben Arztpraxen und Apotheken umfasst Ihr Portfolio dank der Expansion auch Zahn- und Sportmedizin, Physio- und Psychotherapie. Medbase beschäftigt heute 4200 Mitarbeitende, der Umsatz ist seit 2018 von 150 Millionen Franken auf über eine Milliarde gewachsen.
Die Investitionen sprechen für die Migros, die sich historisch selbst einen Grundversorgungsauftrag gegeben hat. Eine solch starke Partnerin im Hintergrund hat uns überhaupt erst ermöglicht, unsere Visionen einer integrierten Versorgung zu leben. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich ein Einzelhändler auf so etwas einlässt.

Und daran festhält. Die Migros räumt derzeit radikal auf, Hotelplan und Fachmärkte werden verkauft. Haben Sie nicht Angst, der nächste zu sein?
Die Migros hat die Gesundheit 2021 zu einem der vier Standbeine des Kerngeschäfts erklärt. Auch die neue Führung will weiter in die Gesundheit investieren, weil die Migros hier mithelfen kann, Versorgungslücken zu schliessen. Alleine schaffen wir das nicht, aber wir können wichtige Impulse geben.

Migros und Medbase sind keine Wohltäter. Der gigantische 90-Milliarden-Franken-Gesundheitsmarkt ist ein reizendes Geschäftsfeld.
Es ist ein Wachstumsfeld, das mit dem Gedanken der Grundversorgung gut zur Migros-DNA passt. Das Potenzial ist da, aber das Gesundheitswesen ist komplex. Schnell wachsen, wie sich das Detailhändler vielleicht in anderen Bereichen gewohnt sind, ist schwierig. Nehmen Sie das Beispiel des US-Giganten Walmart, der massiv in Gesundheitszentren investiert hat und jetzt alle wieder schliesst.

Und was lernen Sie daraus für das Gesundheitsgeschäft der Migros?
Walmart ist bei der Expansion nicht wie ein Akteur im Gesundheitswesen, sondern wie ein Einzelhändler vorgegangen. Die kulturellen Bedingungen, die Verfügbarkeit von Fachkräften oder Bewilligungsauflagen wurden vernachlässigt. Bei uns ist das anders, die Migros diktiert uns nicht ihren Kurs. Ich habe gelernt, dass wir nur mit vielen kleinen Schritten ins Ziel kommen.

Der letzte Schritt war alles andere als klein, die Medbase-Gruppe hat für 360 Millionen Franken das Schweiz-Geschäft der Online-Apotheke Zur Rose übernommen.
Wir waren physisch bereits sehr stark, aber die Online-Kompetenz hat uns gefehlt. Diese Integration bringt uns völlig neue Möglichkeiten im digitalen Geschäft, auch in der Telemedizin.

Geht das rasante Wachstum der Medbase-Gruppe in diesem Stil weiter?
Wir wussten, dass wir eine gewisse Grösse brauchen, um skalieren zu können. Das haben wir heute erreicht. Wo wir weiter investieren, werden wir im Herbst diskutieren. Der Fokus liegt im Moment auf Qualität, nicht auf Quantität.

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