Das Machtnetz des neuen SNB-Chefs
Martin Schlegel tritt ein anspruchsvolles Erbe an

Ende September rückt der SNB-Vize für den Nationalbank-Chef Thomas Jordan nach. Er tritt nicht nur in grosse Fussstapfen – sondern in riesige. Ein vertiefter Blick auf seinen Aufstieg – und sein künftiges Arbeitsumfeld.
Publiziert: 31.08.2024 um 17:39 Uhr

Auf einen Blick

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Matthias Mehl
Bilanz

Bei jeder Zepterübergabe ist es Brauch, die grossen Fussstapfen zu erwähnen, welche der Scheidende hinterlässt und die der Nachfolger nun ausfüllen muss. Für Martin Schlegel, Noch-Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), dürften sich die Spuren von Thomas Jordan aber tatsächlich riesig anfühlen – schliesslich gilt dieser als Star der Notenbank-Welt. Diesen Ruf erarbeitete sich Jordan unter anderem durch die Wahrung der Preisstabilität: Während die Inflationsraten nach dem Corona-Ausbruch im Euro-Umland teilweise zweistellige Werte erreichten, überschritt sie hierzulande nie 3,5 Prozent. 

Dennoch kann sich Schlegel, der wie sein Vorgänger auf eine jahrzehntelange Karriere bei der SNB zurückblickt, nicht auf dessen Lorbeeren ausruhen. Das Handling der CS-Krise gehört zu den Kritikpunkten, die nachhaltig am Ruf des abtretenden Präsidenten kratzen. Dieses Erbe wird auch Schlegel beschäftigen: Der Koloss UBS stellt für den hiesigen Finanzplatz ein veritables Klumpenrisiko dar, das die SNB-Spitze im Auge behalten muss. Ferner werden die angespannten Bundesfinanzen sowie die wachsenden Schuldenberge wichtiger EU-Mitgliedstaaten Schlegel auf Trab halten. Langweilig dürfte es dem 47-jährigen Zürcher also kaum werden.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Die Mitstreiter

Das Direktorium, welches Martin Schlegel künftig als Präsident anführen wird, stellt das oberste geschäftsleitende Organ der Nationalbank dar. Dieses Gremium zu beaufsichtigen und die Kontrolle über die Geschäftsführung der SNB auszuüben, ist Aufgabe des Bankrats. Mit dessen amtierender Präsidentin Barbara Janom Steiner wird Schlegel künftig noch mehr zu tun haben. Die Churer Rechtsanwältin verfügt über viel Erfahrung. Sie ist bereits seit neun Jahren Teil dieses SNB-Gremiums.

Martin Schlegel steht bald an der SNB-Spitze – und kann auf eine jahrzehntelange Karriere bei der Nationalbank zurückblicken.
Foto: Thomas Meier / Blick

Am Zürcher Standort der Nationalbank ist seit 2022 Marco Huwiler als Delegierter für regionale Wirtschaftskontakte zuständig. Er und Schlegel sind alte Bekannte: Vor seiner Rückkehr in die Schweiz übernahm Huwiler von Schlegel die Leitung des SNB-Aussenpostens in Singapur. Wie sein neuer Chef fand auch Huwiler über den Bereich Forschung Zugang zur SNB und hatte seither verschiedene Positionen innerhalb der Nationalbank inne.

Eine Art Schicksalsgemeinschaft wird Martin Schlegel wohl oder übel mit Marlene Amstad bilden müssen. Die Finma-Präsidentin steht für ihre Rolle im Umfeld des Untergangs der CS im Kreuzfeuer der Kritik. Gemäss Medienberichten soll die Parlamentarische Untersuchungskommission, die das CS-Debakel untersucht, nebst der Finma auch der SNB gravierende Versäumnisse anlasten. Amstad und Schlegel könnten sich nach Veröffentlichung des Berichts gemeinsam in einer defensiven Rolle wiederfinden.

Die Familie

Das Jahr 2024 markiert nicht nur für Martin Schlegel einen karrieretechnischen Meilenstein, sondern auch für seine Ehefrau Nicole Brändle: Während er per 1. Oktober zum Nationalbank-Chef aufsteigt, hat sie bereits im April den CEO-Posten des Branchenverbands Hotelleriesuisse übernommen. Als oberste Interessenvertreterin der hiesigen Hotelbranche wird Brändle die währungspolitischen Entscheide ihres Mannes gespannt im Auge behalten, schliesslich zieht ein schwacher Franken mehr ausländische Touristen an. Über die Frage, ob die Eheleute Brändle und Schlegel in einen potenziellen Interessenkonflikt geraten könnten, wurde medial spekuliert.

Nicole Brändle ist die CEO von HotellerieSuisse. Werden Interessenskonflikte entsehen?
Foto: PD

Die Karriere

Geboren wurde Martin Schlegel am 20. August 1976, er ist in Kloten und Zürich heimatberechtigt. Seine SNB-Karriere lancierte der Ökonom früh: Direkt nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich im Jahr 2003 stieg er in die Organisationseinheit Forschung der Nationalbank ein. Seither verdiente er sich seine Sporen in sämtlichen Departementen, 2016 übernahm er gar die Leitung der SNB-Niederlassung Singapur.

Ein Jahr zuvor war er als Experte für Projekte des Internationalen Währungsfonds im Einsatz, wo er an der Seite der damaligen Präsidentin Christine Lagarde wirkte. Teil des Direktoriums der SNB ist Schlegel seit 2018, bereits vier Jahre später stieg er als Vizepräsident zur rechten Hand von Thomas Jordan auf.

Das per Ende Jahr zurücktretende Bieler SNB-Urgestein gilt als Förderer Schlegels, die beiden sind auch strategisch auf einer Linie: Auf die Frage an der Antrittspressekonferenz im Juni, was der neue SNB-Präsident anders machen werde als sein Vorgänger, erwiderte Schlegel: «Wichtig erscheint mir eher die Frage: Was bleibt gleich?» Genau wie Jordan sieht auch Schlegel seine Hauptaufgabe darin, sich gegen die Inflation zu stemmen und Preisstabilität zu gewährleisten.

Die neue SNB-Spitze

Nicht nur für Martin Schlegel bricht per Oktober eine neue berufliche Ära an: Durch seinen Aufstieg zum Präsidenten des Direktoriums rückt Antoine Martin als Vizepräsident nach. Martin wird künftig in Bern das II. Departement der Nationalbank leiten. Neu ins höchste SNB-Gremium schafft es Petra Tschudin, die zurzeit stellvertretendes Mitglied des Direktoriums ist und per 1. Oktober die Leitung des III. Departements in Zürich übernehmen wird. Der neue SNB-Präsident darf sich ferner mit Rosmarie Schlup auf eine neue Stellvertreterin verlassen, die ihn in seinem Departement, dem I., zur Seite stehen wird.

Petra Tschudin ist mit Schlegel im höchsten SNB-Gremium.
Foto: Paolo Dutto

Die Gegenspieler

Wenig Erbauliches hat der künftige SNB-Präsident von der Parlamentarischen Untersuchungskommission «Geschäftsführung der Behörden – CS-Notfusion» zu erwarten. Unter der Leitung von Isabelle Chassot verfolgt das vierzehnköpfige Gremium den Auftrag, die Versäumnisse aller bei der CS-Übernahme involvierten Parteien aufzuzeigen. Die SNB wird hier nicht ungeschoren davonkommen. Aus ebendieser CS-Übernahme ging eine UBS hervor, die durch ihre schiere Grösse ein Klumpenrisiko darstellt. Mit Sergio Ermotti sitzt ein selbstbewusster Chef am Steuer der Megabank.

Martin Schlegel muss den Weg für eine kooperative Beziehung ebnen, wenn er Einfluss auf die grösste Bank des Landes nehmen möchte. Geschicktes Agieren in dieser Sache könnte Kritiker Daniel Lampart besänftigen, den langjährigen Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Dieser attestiert Schlegel fehlendes Know-how in realwirtschaftlichen Fragen.

Ausserhalb der Schweiz dürften dem künftigen SNB-Präsidenten Politiker wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Kopfzerbrechen bereiten: Die EU startet gegen sieben Mitglieder Defizitverfahren, darunter Frankreich. Dies lässt Ängste vor einer neuen Eurokrise umgehen – die zwangsläufig auch den Franken und seinen obersten Hüter tangieren würde.

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