Flughafen Zürich kämpft mit Personalmangel
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Nach Corona-Krise:Flughafen Zürich kämpft mit Personalmangel

Der Aufschwung lockt, aber es fehlt an Personal
Luftfahrt kämpft gegen Long Covid

Nach dem Pandemie-Schock hat sich das Wirtschaftsleben weitgehend normalisiert. Nur die Flugbranche ist noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt. Was macht das mit den Betroffenen? Ein Besuch am Flughafen Zürich.
Publiziert: 20.03.2022 um 01:06 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2022 um 08:01 Uhr
Thomas Schlitler

Der Bundesrat verhängt den Lockdown, die Schweiz steht still. Einer der wenigen, der im März 2020 trotzdem zur Arbeit fährt, ist Kenneth Fontana (32), Check-in Supervisor am Flughafen Zürich. Sein Arbeitsort ist jedoch plötzlich menschenleer, der ganze Flughafen wie ausgestorben. Fontana wird diesen Moment nie vergessen, wie er sagt. «Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.»

Covid-19 hat die Luftfahrt so stark umgekrempelt wie kaum eine andere Industrie. Auch als wieder etwas mehr Flugzeuge abheben können, ist nichts mehr, wie es mal war. Die Einreisebestimmungen ändern über Nacht und sind bis heute von Land zu Land unterschiedlich.

«Die Bürokratie war manchmal kaum zu meistern», sagt Gabriele Pichler (52), die am Service- und Infoschalter arbeitet. Unzählige Dokumente habe sie in den vergangenen Monaten ausgedruckt. Teilweise sei aber nichts mehr zu machen gewesen, und sie habe den Leuten erklären müssen, dass ihr Flugzeug ohne sie abfliegen werde. «Da hat dann schon mal einer die Nerven verloren», so Pichler.

Der Andrang am Flughafen Zürich nimmt wieder zu.
Foto: Siggi Bucher
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Ihre Kollegin Doris Gasser (60) ergänzt: «Am schwierigsten ist es, wenn jemand schlecht vorbereitet ist, keine Ahnung hat und dann auch noch immer allen anderen die Schuld gibt.» Falls ein Passagier ausfällig werde, versuche sie immer, den Betroffenen den Spiegel vorzuhalten. «Ich hoffe, Sie sehen, dass ich versuche, Ihnen zu helfen», sage sie dann jeweils. «In den allermeisten Fällen hilft das, um die Leute wieder herunterzuholen.»

Schmerzender Abgang von Mitarbeitern

Dass sich die Menschen durch die Pandemie verändert haben, beobachtet auch Sascha Zimmermann (44). Der Terminal Manager ist oft erster Ansprechpartner für Passagiere. Die letzten Monate beurteilt er aber nicht nur negativ: «Viele waren etwas verloren – und wenn sie mich etwas fragten, waren sie unsicherer und weniger fordernd als früher. Fliegen war auf einmal keine Selbstverständlichkeit mehr.»

Alles andere als selbstverständlich ist es auch, wenn man nach zwei Jahren Pandemie noch immer einen Job hat in der Flugbranche. Weltweit haben Zehntausende ihre Stelle verloren. In Zürich stellte vergangenen Sommer allein die Swiss 550 Angestellte auf die Strasse.

Auch Marco Bötschi (49), der für den Flughafendienstleister Swissport den Standort Zürich verantwortet, hat heute deutlich weniger Mitarbeiter unter sich als früher. Vor der Pandemie waren es 2100 Mitarbeitende, aktuell sind es 1600. «Ein solcher Rückgang tut natürlich weh», sagt Bötschi zu SonntagsBlick. Er betont aber, dass Swissport während der ganzen Krise keinen einzigen Mitarbeitenden entlassen habe. «Dass es trotzdem so viele Abgänge gab, lag an den wenigen Einsätzen aufgrund des niedrigen Flugvolumens, der seit zwei Jahren andauernden Kurzarbeit und dass der Kurzarbeit-Lohn tiefer ist, was vor allem Mitarbeitende mit Familie stark tangiert.»

Viele Swissport-Mitarbeiter, die sich in der Krise umorientiert haben, fanden gemäss Bötschi in Branchen Unterschlupf, die wegen Corona einen Boom erlebten. Zum Beispiel bei Logistikfirmen, die vom Onlinehandel profitierten. Die Frage ist jedoch, ob all diese Leute wieder in die Luftfahrt zurückkehren werden, wenn es sie braucht.

Es wird fleissig geschult

Die Airlines gehen davon aus, dass sie in den kommenden Monaten wieder 70 bis 80 Prozent des Vor-Corona-Niveaus erreichen werden. Reisebüros melden für den Sommer extrem hohe Buchungsstände. Um diese Nachfrage zu bewältigen, muss die Branche nun rasch Personal aufstocken. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Marco Bötschi: «Wir suchen mit Hochdruck nach neuen Mitarbeitenden. Es ist allerdings nicht ganz einfach, geeignetes Personal zu finden.»

Swissport schult deshalb so viele Mitarbeiter gleichzeitig wie noch nie. Dafür geht das Unternehmen auch neue Wege: «Früher haben wir Mitarbeiter direkt am Flugzeug eingearbeitet, jetzt haben wir dafür ein Mock-up-Flugzeug, also ein Vorführmodell, gemietet. So können wir die Leute deutlich schneller ausbilden als bei laufendem Flugbetrieb.»

Swissport ist mit den Personalsorgen nicht allein. Auch die Airlines suchen händeringend nach zusätzlichen Crew-Mitgliedern. Um die Situation zu entschärfen, will die Swiss ihren Angestellten nun sogar Ferientage abkaufen, wie die Zeitungen von CH Media diese Woche berichteten. Helvetic wiederum soll sogar Skilehrer umgarnen.

Aviatiker sind hart im Nehmen

Andreas Wittmer (48), Leiter des Aviatik-Kompetenzzentrums an der Universität St. Gallen, geht allen Bemühungen zum Trotz davon aus, dass die Luftfahrt nicht in der Lage sein wird, die Nachfrage vollständig zu befriedigen. «Wir sehen auf gewissen Strecken schon heute eine Angebotsknappheit und stark steigende Preise.» Ein Flug nach Mittelamerika zum Beispiel habe 2019 weniger als 1000 Franken gekostet, jetzt würden dafür teilweise mehr als 2000 Franken fällig.

Langfristig macht sich Wittmer aber keine Sorgen um die Luftfahrt. Nachhaltige Probleme sieht er einzig bei den Geschäftsreisen. «Diese dürften noch lange auf tieferem Niveau bleiben und vielleicht nie mehr das Vor-Corona-Niveau erreichen.» Der Unterschied zwischen den absoluten Peaks in der Hauptsaison und den ruhigeren Zeiten in der Zwischensaison dürfte dadurch grösser werden. «Das erfordert mehr Flexibilität bei der Personalplanung», so der Experte.

Der Besuch am Flughafen Zürich zeigt jedoch: Aviatiker sind hart im Nehmen. Für viele ist die Arbeit in der Luftfahrt mehr als nur ein Job. Fast alle beteuern, dass sie nirgends sonst lieber arbeiten würden.

Einer davon ist Janic Widmer (25), gelernter Maurer und seit wenigen Jahren bei Swissport. Er hat mitten in der Pandemie eine Weiterbildung zum Ramp Supervisor abgeschlossen und ist nun verantwortlich für die korrekte Beladung der Flugzeuge. Er ist überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war: «Ich habe keine Angst davor, dass ich in der Luftfahrtindustrie keine Perspektive habe. Sobald sich die Situation normalisiert, werden die Menschen auch wieder reisen wollen.»

Es ist nicht zu übersehen: Widmer ist bereits voll mit dem Flugvirus infiziert. Bleibt zu hoffen, dass es bald wieder das einzige Virus sein wird, das am Flughafen zirkuliert.

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