Die Folgen des kantonalen Steuerwettbewerbs
Jeder achte Zuger ist Millionär

Die neue US-Regierung fordert eine globale Mindeststeuer für Konzerngewinne. Steueroasen in der Schweiz geraten unter Druck – zum Wohle des Mittelstands?
Publiziert: 24.04.2021 um 19:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2021 um 18:52 Uhr
Thomas Schlittler

Eine vierköpfige Familie in der Stadt Bern: Der Vater ist Koch, verdient monatlich 4600 Franken. Die Mutter kümmert sich um Haushalt und Kinder, arbeitet zwei Tage die Woche im Reisebüro und erhält dafür 1600 Franken im Monat. Zusammen kommen sie auf ein jährliches Bruttoeinkommen von 80'000 Franken.

Da die Familie in Bern wohnt, werden 4700 Franken an Steuern fällig. Würden sie gleich viel verdienen, wären aber in der Stadt Zug zu Hause, müssten sie dem Fiskus gerade mal ein Zehnernötli abliefern. Lohnen dürfte sich ein Umzug ins Steuerparadies für die Berner Familie aber wohl trotzdem nicht. Die höheren Lebenshaltungskosten – insbesondere die höheren Mietpreise – dürften die Steuerersparnis gleich wieder zunichtemachen.

Anders die Situation für Superreiche. Ein Topmanager, der jährlich fünf Millionen Franken kassiert und ein Vermögen von 50 Millionen hat, müsste in Bern rund zwei Millionen an Steuern bezahlen. In Zug dagegen werden gemäss Steuerrechner des Bundes nur 1,1 Millionen Franken fällig. Er spart fast eine Million – und das Jahr für Jahr.

Ein Bild ohne Seltenheitswert: ein Ferrari mit Zuger Nummernschild.
Foto: Thomas Meier
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Starke Konzentration der Reichen

«Bei einem Multimillionär spielen höhere Wohnkosten kaum eine Rolle – auch wenn er noch so luxuriös lebt», sagt Kurt Schmidheiny (51), Ökonomieprofessor an der Universität Basel. Vom Steuerwettbewerb würden Superreiche und Grosskonzerne deshalb mit Abstand am meisten profitieren. «Nur für sie lohnt sich ein Umzug in eine Steueroase.»

Eine Analyse von SonntagsBlick zeigt: Die Unterschiede bei der Besteuerung haben über die Jahrzehnte zu einer starken Konzentration der Reichen geführt. 1969, als der Bund erstmals eine detaillierte Vermögensstatistik publizierte, kamen in Zug auf 1000 Steuerpflichtige zehn Vermögensmillionäre, schweizweit waren es elf. Bis 2017 stieg diese Zahl in Zug auf 132. Mehr als jeder achte Zuger ist damit Millionär. In der gesamten Schweiz trifft das «nur» auf jeden 16. Steuerpflichtigen zu. Mindestens so bemerkenswert die Entwicklung im Kanton Schwyz: Vor 50 Jahren ein eher armer Bergkanton, haben die Schwyzer den Rest der Schweiz in Sachen Millionärsdichte längst überholt und abgehängt.

Für Christoph A. Schaltegger (49), Professor für politische Ökonomie an der Universität Luzern, belegen solche Beispiele, dass der Steuerwettbewerb eine gute Sache ist: «Er gibt abgelegenen und strukturschwachen Regionen die Möglichkeit, sich gegen attraktive Ballungszentren zu behaupten.» Die Stadt Zürich zum Beispiel habe viel zu bieten. Wenn hier auch noch die Steuern am tiefsten wären, würde kaum mehr jemand in der Zentralschweiz wohnen wollen. «Die Kluft zwischen Stadt und Land würde grösser, die Peripherie abgehängt.»

Joe Biden für globale Mindeststeuer

Marco Salvi von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse argumentiert ähnlich, um den internationalen Steuerwettbewerb zu verteidigen: «Die Schweiz, Luxemburg oder die Niederlande verhalten sich gegenüber Frankreich und Deutschland wie die Kantone Zug und Schwyz gegenüber Zürich.» Grosse Länder hätten für Unternehmen einen entscheidenden Vorteil: grosse Märkte. Die kleinen müssten sich deshalb etwas anderes ausdenken, um attraktiv zu sein – zum Beispiel tiefe Steuern.

Im Ausland überzeugt diese Argumentation nur wenige. Insbesondere im Bereich der Gewinnsteuern für Firmen erhöht sich der Druck auf Tiefsteuerstandorte gerade massiv. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liebäugelt seit längerem mit einem weltweiten Mindeststeuersatz auf Konzerngewinne. Zuletzt haben die Pläne aber gehörig Rückenwind erhalten, weil sich die neue US-Regierung von Joe Biden (78) für eine globale Mindeststeuer von 21 Prozent starkmacht.

«Es ist davon auszugehen, dass die heutige Steuerpolitik der Schweiz von den Plänen der USA und auch der OECD unterlaufen wird», sagt Peter Uebelhart (51), Leiter Steuerpolitik bei KPMG. Diese Pläne seien so weit ausgereift, dass sie kaum mehr im Sand verlaufen werden. Eine Mindeststeuer von 21 Prozent hält Uebelhart allerdings für unrealistisch. «Das würde auch einige EU-Länder, insbesondere Irland, stark treffen. Der Widerstand dürfte deshalb zu gross sein.» Er rechnet daher eher mit einer Mindeststeuer von um die 15 Prozent.

«In Deutschland ist Schere zwischen Arm und Reich nicht kleiner»

Die Frage, ob weniger Steuerwettbewerb für den Schweizer Mittelstand von Vorteil wäre, kann niemand abschliessend beantworten. Kurt Schmidheiny von der Uni Basel ist zwar überzeugt, dass der Steuerwettbewerb tendenziell zu weniger Einnahmen für den Wohlfahrtsstaat führt, zu weniger Umverteilung sowie zu einer Segregation von Arm und Reich. Per se verteufeln will er den Steuerwettbewerb aber trotzdem nicht: «In der Schweiz, wo Kantone und Gemeinden grosse Autonomie geniessen, hat er durchaus seine Berechtigung.»

Wenn ein Dorf über den Bau einer Dreifachturnhalle abstimme, müsse stets auch beachtet werden, wie das Ganze finanziert werden soll – also auch, ob in der Folge höhere Steuern fällig werden. «Mit einem einheitlichen Steuersatz sowie einem fixen Budget pro Kanton und Gemeinde wäre diese dezentralisierte Entscheidungsfindung infrage gestellt.»

Und noch etwas anderes spricht seiner Meinung nach gegen eine Abschaffung des Steuerwettbewerbs: der Blick ins Ausland. «In Deutschland oder Frankreich, wo es kaum Steuerwettbewerb gibt, ist die Schere zwischen Arm und Reich nicht kleiner als in der Schweiz», so Schmidheiny. Die räumliche Segregation zwischen Ober- und Unterschicht sei in der Regel sogar grösser als hierzulande.

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