Europachef von Procter & Gamble behauptet im Interview
«Roger Federer funktioniert nicht mehr»

Loïc Tassel, der Europachef des Konsumgüter-Konzerns Procter & Gamble, sagt im Gespräch, warum er nicht mehr auf Weltstars setzt und was den Absatz von XL-Pampers ankurbelt.
Publiziert: 08.08.2023 um 13:44 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 10:21 Uhr
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Seraina Gross
Handelszeitung

Handelszeitung: Worüber wollen wir zuerst sprechen, über Windeln oder Wäsche?
Loïc Tassel: Beide Themen sind spannend. Ich überlasse Ihnen die Wahl.

Dann beginne ich mit den Windeln. Als wir vor fünf Jahren das letzte Mal miteinander sprachen, haben Sie uns von einem Projekt in Italien erzählt, um Pampers zu rezyklieren. Volle Pampers, um genau zu sein. Was ist daraus geworden?
Wir haben in der Tat eine Technologie zum Recycling von Windeln getestet. Eh bien, die Technologie hat nicht funktioniert. Das kommt vor, wenn man innovativ ist und nach neuen Lösungen sucht. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Und beim Windel-Recycling hat es eben nicht funktioniert. Wir haben grosse Anstrengungen unternommen. Doch wir mussten einsehen, dass wir die Grenzen dessen erreicht haben, was mit mechanischem Recycling möglich ist. Daher haben wir beschlossen, das Recycling-Projekt Ende 2022 einzustellen.

Was war das Problem?
Abgesehen von der Technologie? Das Einsammeln der Windeln. Die Konsumenten und Konsumentinnen sind in der Regel nicht bereit, grosse Anstrengungen zu unternehmen, wenn es um die Umwelt geht. Sie erwarten, dass die Industrie das für sie erledigt. Das ist die Wahrheit. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, Produkte anzubieten, die aus rezyklierbarem oder biologisch abbaubaurem Material bestehen.

Die Erwartungshaltung der Konsumenten und Konsumentinnen sei «fundamental» anders, sagt Loïc Tassel, Europachef von Procter & Gamble.
Foto: Gabriel Monnet für Handelszeitung
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Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Es gibt ja durchaus Sammelsysteme, die funktionieren. Waren die Anreize beim P&G-Windelsammelsystem nicht richtig gesetzt?
Das denke ich nicht. Abfall einsammeln ist eine komplexe Aufgabe. Die Müllwirtschaft ist sehr lokal. Sie unterscheidet sich nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Stadt zu Stadt und sogar von Gemeinde zu Gemeinde.

Der König der Marken

Der Franzose Loïc Tassel ist seit 2018 Chef des Europa-Geschäfts des Konsumgüterkonzerns Procter & Gamble mit 850 Millionen Konsumenten und Konsumentinnen und 57 Ländern. Der 56-Jährige hat an der École des hautes études commerciales HEC studiert, der Kaderschmiede der französischen Wirtschaft. 2014 bis 2018 war er als Vizepräsident bei P&G zuständig für den Bereich Shave Care (Gillette und Venus), zuvor war er von 2013 bis 2014 Länderchef von Frankreich, Belgien und den Niederlanden und von Frankreich (2008 bis 2013).

Monsieur Tassel lebt seit 23 Jahren in Genf, er ist verheiratet und hat fünf Kinder. In seiner Freizeit fährt er Ski, vorzugsweise in den Walliser Alpen, und spielt Tennis. Zudem ist er Finisher von neun Marathons.

Procter & Gamble ist die Topliga der Konsumgüterindustrie. Das Unternehmen aus Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio machte 2022 mehr als 80 Milliarden Dollar Umsatz. Zum Portfolio gehören Markenlegenden wie Pampers, Gillette, Meister Proper, Braun, Ariel, Lenor oder Head & Shoulders. Das Unternehmen hat eine Marktkapitalisierung von 350 Milliarden Dollar, das ist mehr als Nestlé mit 285 Milliarden Franken. Seit P&G 2018 radikal bei den Marken aussortierte, hat sich der Kurs nahezu verdoppelt. Das Unternehmen wird vom Amerikaner Jon R. Moeller geleitet.

In Genf befindet sich der Europa-Hauptsitz des Konzerns mit 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 60 Nationen. 50 Prozent der Kaderangestellten sind weiblich. P&G ist seit 70 Jahren in der Schweiz präsent.

Der Franzose Loïc Tassel ist seit 2018 Chef des Europa-Geschäfts des Konsumgüterkonzerns Procter & Gamble mit 850 Millionen Konsumenten und Konsumentinnen und 57 Ländern. Der 56-Jährige hat an der École des hautes études commerciales HEC studiert, der Kaderschmiede der französischen Wirtschaft. 2014 bis 2018 war er als Vizepräsident bei P&G zuständig für den Bereich Shave Care (Gillette und Venus), zuvor war er von 2013 bis 2014 Länderchef von Frankreich, Belgien und den Niederlanden und von Frankreich (2008 bis 2013).

Monsieur Tassel lebt seit 23 Jahren in Genf, er ist verheiratet und hat fünf Kinder. In seiner Freizeit fährt er Ski, vorzugsweise in den Walliser Alpen, und spielt Tennis. Zudem ist er Finisher von neun Marathons.

Procter & Gamble ist die Topliga der Konsumgüterindustrie. Das Unternehmen aus Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio machte 2022 mehr als 80 Milliarden Dollar Umsatz. Zum Portfolio gehören Markenlegenden wie Pampers, Gillette, Meister Proper, Braun, Ariel, Lenor oder Head & Shoulders. Das Unternehmen hat eine Marktkapitalisierung von 350 Milliarden Dollar, das ist mehr als Nestlé mit 285 Milliarden Franken. Seit P&G 2018 radikal bei den Marken aussortierte, hat sich der Kurs nahezu verdoppelt. Das Unternehmen wird vom Amerikaner Jon R. Moeller geleitet.

In Genf befindet sich der Europa-Hauptsitz des Konzerns mit 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 60 Nationen. 50 Prozent der Kaderangestellten sind weiblich. P&G ist seit 70 Jahren in der Schweiz präsent.

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Aber gut wäre es ja schon, wenn Windeln umweltfreundlicher würden. Ich habe gelesen, dass jedes Kind 6000 bis 8000 Windeln verbraucht, bis es den Gang aufs Klo gelernt hat. Bei 130 Millionen neuen Erdenbürgern und -bürgerinnen jedes Jahr kommt da doch einiges an Material zusammen, auch wenn nicht alle Babys mit Pampers gewickelt werden.
Deshalb bleiben wir ja auch dran an dem Thema. Unser Ziel ist es, den Konsumenten und Konsumentinnen qualitativ immer hochwertigere Produkte anzubieten und gleichzeitig unser Umweltprofil zu verbessern. Bei den Windeln geht es darum, weniger Material zu verbrauchen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Und das geht?
Ja. Die Plastikbeschichtung bei den Windeln ist heute sehr viel dünner, was zu weniger Abfall führt. Zudem haben wir eine neue Linie lanciert, Pampers Harmonie, bei der wir Biomasse-Materialien verwenden, also Materialien, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind. Das Aussenvlies der Harmonie-Linie ist aus pflanzlichem Kunststoff, der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Zudem stammen 50 Prozent der Materialien im absorbierenden Kern der Windeln aus biobasierten Quellen. Die Linie macht etwa 10 Prozent unseres Windel-Umsatzes aus.

Bleiben wir noch einen Moment bei den Pampers. Pädagoginnen und Pädagogen sind alarmiert. Immer mehr Kinder kommen buchstäblich nicht mehr aus den Windeln. Zuerst waren es Vierjährige, die mit Windeln in den Kindergarten watschelten, jetzt gibt es Viert- und Fünftklässler, die noch immer einnässen. Spüren Sie eine stärkere Nachfrage nach Extra-Large-Pampers?
Die Lebensgewohnheiten und Erwartungen der Eltern haben sich in Europa in den letzten Jahren verändert. Wir stellen fest, dass das Töpfchentraining tendenziell später stattfindet als früher, zum Beispiel weil die Eltern früh wieder zur Arbeit gehen. Viele Eltern ziehen es auch vor, zu warten, bis ihr Baby bereit ist, aufs Töpfchen zu gehen, anstatt es zu «zwingen», wie es früher üblich war. Unsere Mission bei Pampers ist es, uns um jedes Baby zu kümmern und die Eltern auf ihrem Weg durch die Elternschaft zu unterstützen, wie auch immer sie diese gestalten. Deshalb haben wir bei Pampers die Grössen 7 und 8 eingeführt, um auf die sich entwickelnden Bedürfnisse und Erwartungen der Eltern einzugehen. Das Segment ist im Vergleich zum Rest der Windelkategorie aber immer noch klein.

Sie bieten aktuell Windeln für bis 23 kg Körpergewicht an. Werden Sie auf den neuen Trend reagieren und schon bald Pampers für bis 30 oder gar 40 kg anbieten?
Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Produkte wir als Nächstes auf den Markt bringen werden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir auch in Zukunft genau auf die Bedürfnisse unserer Konsumenten und Konsumentinnen hören werden, um unseren Beitrag zu leisten, dass es den Eltern und ihren Babys gut geht.

«Sie liegen nicht völlig falsch»: Loïc Tassel auf die Frage, ob es richtig sei, dass P&G noch immer sehr, sehr viel Plastik verbrauche.
Foto: GABRIEL MONNET

Zurück zur Nachhaltigkeit. Ich wohne in Basel, und wenn man in Basel wohnt, dann geht man ab und zu nach Lörrach einkaufen, und da gibt es einen Drogeriemarkt von Müller. Wenn ich da durch die Gänge gehe und Ihre Produkte sehe, dann denke ich: Plastik, Plastik und noch mehr Plastik. Wie falsch liege ich?
Sie liegen nicht völlig falsch.

Da bin ich beruhigt.
Aber vieles ist aus rezykliertem Plastik. Alle unsere Shampooflaschen sind aus rezykliertem und wiederverwendbarem Plastik.

Das ist ein Fortschritt, aber wenn die leeren Plastikflaschen im Meer landen – und von P&G gibt es sehr, sehr viele Plastikflaschen in den Meeren – dann nimmt der Planet trotzdem Schaden.
Deshalb arbeiten wir ja auch daran, die Plastikverpackungen durch Karton zu ersetzen. Die Waschmitteldepots von Ariel verkaufen wir seit sechs Monaten nicht mehr in einem Plastikeimer, sondern in einer Kartonschachtel, die zudem zu 100 Prozent aus rezykliertem Material hergestellt wird. Das gilt bis jetzt nur für Westeuropa, aber inzwischen sind wir damit auch in Osteuropa unterwegs. Ich führe dieses Beispiel an, weil wir jeden Monat Millionen von Ariel-Packungen verkaufen. Unser Ziel ist es, die Konsumenten und Konsumentinnen mit innovativen Produkten zu versorgen, und die Ariel-Kartons zeigen, dass uns das gelingt.
Aber darf ich Ihnen eine Frage stellen?

Ich bitte darum.
Worin denken Sie, besteht beim Waschen die grösste Umweltbelastung?

Sie sagen: beim Aufheizen des Wassers, beziehungsweise bei der Erzeugung der Energie, die es dafür braucht. Deshalb haben Sie eine Kampagne fürs Kaltwaschen lanciert und unter anderem in Hamburg einen Kaltwaschsalon eingerichtet.
Sie haben sich gut vorbereitet.

Das ist so.
Sie haben Recht. Es ist nicht die Verpackung und es ist nicht die Chemie, die wir in die Waschmittel tun, die für die Umwelt den Unterschied machen. Es ist die Temperatur. Es kommt eben sehr darauf an, ob man mit 30, 60 oder gar 90 Grad wäscht. Viele Konsumenten und Konsumentinnen wissen das nicht, aber wer der Umwelt etwas Gutes tun will, der sollte seine Wäsche nur noch mit 30 oder allenfalls 40 Grad waschen. Mit den Waschmitteldepots von Ariel ist das möglich, ohne dass Sie Abstriche bei der Hygiene und der Sauberkeit machen müssen. Das ist unser Beitrag zum Schutz der Umwelt.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Gibt es weitere Produkte, bei denen es auch darum geht, die Konsumenten und Konsumentinnen zu einem umweltfreundlichen Verhalten zu bewegen?
Unsere maschinellen Geschirrspülmittel sind auch bei kurzer Spüldauer extrem leistungsfähig. Auch das ist gut für die Umwelt.

Kommen wir zu einem weiteren Punkt, den Marken. Das letzte Mal haben wir darüber gesprochen, dass Sie die Zahl der Brands in Ihrem Portfolio von 165 auf 65 reduziert haben. Wie viele sind es heute?
Es sind noch immer 65 Marken in 10 Produktkategorien.

Keine Marken, die auf der Kippe stehen?
Nein, wir haben unser Portfolio bereinigt. Was wir jetzt haben, das bleibt. Unser Kerngeschäft besteht darin, mit den Marken, die wir bereits haben, erfolgreich zu sein.

Das ist nicht gerade ambitioniert für einen Markenartikler von Weltrang.
Das ist sogar extrem ehrgeizig. Wir haben uns verpflichtet, unseren Umsatz um 5 bis 7 Prozent zu steigern. Wir haben zurzeit weltweit einem Umsatz von mehr als 80 Milliarden Dollar. Das heisst, wir müssen um mindestens 4 Milliarden Dollar wachsen, um unsere Ziele zu erreichen. Das entspricht dem Volumen der DACH-Märkte, also von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich denke, das kann sich sehen lassen.

In den nächsten fünf Jahren wird keine der aktuellen P&G-Marken verkauft oder eingestellt?
Nein.

Top 25 der Welt der Konsumgüter nach Umsatz in Milliarden Dollar.
Foto: Handelszeitung

Dann lassen Sie uns über Ihr Lieblingsthema sprechen, die Innovation.
Mit Vergnügen.

Dann sage ich: Allez-y!
Unsere Daseinsberechtigung liegt darin, den Konsumenten und Konsumentinnen hochwertige Produkte mit einer überdurchschnittlichen Preispositionierung anzubieten. Ein Kollege, der kürzlich neu zu uns gestossen ist, sagte mir, bei Nestlé sei das ziemlich ähnlich. Nach allem, was ich weiss, denke ich, dass das stimmt. Nestlé ist ein schönes Schweizer Unternehmen. Es ist toll, mit Nestlé verglichen zu werden.

Nestlé investiert 1,7 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung. Wie viel ist es bei Ihnen?
Bei uns sind es zwei Milliarden Dollar. Wir beschäftigen weltweit 7000 Forscher und Forscherinnen, davon 2000 in Europa.

Und was ist der Fokus der P&G-Forschung?
Die Erwartungshaltung der Konsumenten und Konsumentinnen hat sich fundamental verändert. Bis vor fünf Jahren ging es nur um die Produktleistung. Jetzt muss auch das Umweltprofil der Produkte stimmen. Vor allem, wenn man auch junge Konsumenten und Konsumentinnen ansprechen will. Auch die jungen Generationen, also die heute 20- oder 30-Jährigen, wollen Qualität. Aber sie wollen eben auch Nachhaltigkeit. Ich gebe Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Unser Forschungs- und Entwicklungszentrum für Waschmittel befindet sich in Brüssel. Jedes Jahr werden mehr als 10’000 Waschmitteltests mit neuen Molekülen, unterschiedlichen Temperaturen und kürzeren Waschzyklen durchgeführt. Und immer geht es ums gleiche Ziel, nämlich die Leistung und das Umweltprofil des Produkts zu verbessern. Wir sind sehr zufrieden, dass wir heute ein Waschmittel anbieten können, das bei 30 Grad ausgezeichnete Waschergebnisse erzielt. Aber das ist nicht genug. Unsere Teams arbeiten deshalb daran, die Temperatur weiter zu senken, auf 25 Grad oder sogar auf 20 Grad.

Procter & Gamble ist der König der Marken, Ihre Brands sind Dutzende Milliarden Dollar wert. Sie haben Stars wie Meister Proper, Always, Swiffer oder Lenor in Ihrem Portfolio. Wann wird P&G die Konsumwelt mit einem neuen Superbrand rocken?
Ich teile diese Besessenheit mit neuen Marken nicht. Unsere Philosophie ist es, Marken zu schaffen, die langsam wachsen und die Generationen überdauern. Nehmen Sie Gillette. Hier haben wir mit Gillette Labs eine neue Klingentechnologie auf den Markt gebracht. Gillette Labs ist ein neues, überlegenes Produkt innerhalb der Gillette-Reihe. Mit Bezug auf die Marke ist das keine Neuigkeit. Aber es ist ein sehr innovatives Produkt, das bei den Schweizer Konsumenten übrigens sehr beliebt ist.

Foto: Handelszeitung

Bleiben wir einen Moment bei Gillette. Letztes Mal haben wir über den Gillette Shave Club gesprochen. Der Gilette Shave Club war die Antwort von P&G auf den Dollar Shave Club, ein Startup, das dann für eine Milliarde Dollar von Ihrem Konkurrenten Unilever übernommen wurde. In der Schweiz haben Sie dafür mit Brack.ch zusammengearbeitet. Ich habe gesehen, dass die Seite down ist. Was ist passiert?
Wir haben es tatsächlich in mehreren europäischen Ländern mit einem Direktverkauf von Rasierern im Abonnement versucht. Einige Websites, etwa die in England, Deutschland und Frankreich, haben sich gut entwickelt und werden weitergeführt. Einige, wie in der Schweiz, haben nicht funktioniert. Die Verbraucher waren offensichtlich nicht interessiert. Sie wurden geschlossen.

Was bedeutet das für die Zukunft von Abo-Modellen?
Dass sie im Prinzip funktionieren, aber nicht immer und nicht überall. Wir haben einen sehr pragmatischen Ansatz. Entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht. Der Kunde ist König. Wenn der Kunde etwas will, dann bieten wir es an, wenn er es nicht will, dann stellen wir es ein.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Gillette Shave Club in der Schweiz floppte?
Ehrlich gesagt? Nein. Und es spielt auch gar keine Rolle. Ich stelle mir diese Frage so nicht. Der Kunde wählt den Vertriebskanal, den er bevorzugt. Das allein zählt. Und dass unser E-Commerce-Geschäft exponentiell wächst, sei es mit Amazon, sei es mit anderen Partnern.

Keine schlaflosen Nächte, dass Startups wie der Dollar Shave Club wie Schnellboote an Ihnen vorbeiflitzen und den grossen Tanker P&G abdrängen könnten?
Diese Frage stellen mir die Journalistinnen und Journalisten seit zehn Jahren.

Und was ist Ihre Antwort?
In den 10 Kategorien, mit denen wir in Europa vertreten sind, und in den 50 Ländern, in denen wir in Europa präsent sind, ist unser Marktanteil im E-Commerce überall grösser als im physischen Handel. Hat P&G angesichts der Startups die richtige Antwort im Vertrieb und in der Kommunikation gefunden? Die Antwort lautet: Ja, in 100 Prozent der Fälle.

Ausser bei Gillette.
Das sehe ich anders. Unsere beiden Rasierpflegemarken entwickeln sich in Europa sowohl online als auch offline sehr gut. Wir konnten unsere Marktanteile erhöhen, und die Umsätze wachsen im mittleren einstelligen Bereich.

Verstehe ich richtig: Ob Head & Shoulders in Slowenien oder Meister Proper in Schweden, ob Lenor in Litauen oder Swiffer in der Schweiz: Ihr Marktanteil ist grösser, wenn Sie die Produkte online vertreiben, als wenn Sie sie im stationären Handel anbieten?
Das ist korrekt so.

Ich komme noch ein letztes Mal auf unser Gespräch von vor fünf Jahren zurück. Damals sagten Sie, dass Sie 1 von 15 Milliarden Dollar Umsatz in Europa online machen. Wie viel ist es heute?
Heute sind wir bei gegen 3 Milliarden Dollar. Wir sind zwar gross und wir sind vielleicht auch ein bisschen bürokratisch, aber das enorme Wachstum des Online-Geschäfts zeigt meiner Meinung nach, dass das unserer Fähigkeit zur Innovation keinen Abbruch tut. Wir sind durchaus dynamisch.

Wie sehr hat Ihnen bei den Online-Verkäufen die Pandemie auf die Sprünge geholfen?
Überhaupt nicht. Unsere Online-Umsätze fingen schon lange vor Covid an zu steigen. Während den Lockdowns hat sich das Wachstum dann stark beschleunigt. Nach der Pandemie gingen die Umsätze zurück und sie beginnen erst jetzt wieder zu steigen. Die Pandemie hat bei Online unter dem Strich nichts gebracht. Das ist übrigens nicht nur bei uns so.

Noch eine Frage zu Gillette. Roger Federer hat jahrelang Werbung für Gillette gemacht.
Ein sehr schöner Werbespot, ja. Ich erinnere mich sehr gut daran.

Werden wir «Roger» irgendwann wieder als Gillette-Botschafter sehen? Arbeiten Sie daran, ihn zurückzugewinnen? Zeit hätte er ja nun, da er im Ruhestand ist.
Die Antwort ist nein. Das geht natürlich nicht gegen Roger Federer, für den ich unendliche Bewunderung empfinde.

Aber?
Was vor zwei Jahrzehnten funktionierte, um die Herzen der Männer zu erobern, funktioniert heute nicht mehr. Damals war ein renommierter Markenbotschafter in der Regel die beste Möglichkeit, eine Marke ins Rampenlicht zu rücken. Heute ist es effektiver, wenn Sie auf den Next-Door-Guy setzen. Heute geht es um die Kommunikation von Mann zu Mann, um Gleichheit, Nähe und Brüderlichkeit. Gut möglich, dass der angesehene Botschafter in ein paar Jahren wieder zurückkommt. Im Moment aber ist die Kommunikation auf Augenhöhe die richtige. Roger Federer funktioniert nicht mehr.

Ein Glück, dass uns George Clooney bei Nespresso noch erhalten bleibt.
Auf jeden Fall. Aber im Bereich der Beauty gelten eben andere Regeln. Da schätzen die Konsumenten und Konsumentinnen Werbeträger und -trägerinnen, mit denen sie sich identifizieren können.

P&G hat die Seifenoper erfunden. Welche Rolle spielt die klassische TV-Werbung noch?
Im europäischen Durchschnitt entfallen noch immer zwei Drittel unserer Werbeausgaben auf die klassische TV-Werbung. Richtig ist: Der Anteil, den wir für Online-Werbung ausgeben, steigt. Zudem ist er je nach Marke sehr unterschiedlich. Bei Braun sind wir bereits bei 100 Prozent Online-Werbung.

Wie kommt das?
Bei Produkten, die relativ teuer sind und die nur alle paar Jahre gekauft werden, informieren sich die Konsumentinnen und Konsumenten vor allem online. Wenn Sie ein neues Auto kaufen, dann werden Sie sich nicht auf die TV-Werbung verlassen. Das ist beim Waschmittel, das Sie alle zwei Wochen einkaufen, anders. Da funktioniert TV-Werbung gut.

Was mir offen gesagt ein Rätsel ist. Ich gehöre zu einer Generation, die noch TV schaut.
Ich auch.

Aber Werbung skippe ich wenn immer möglich. Ich verstehe nicht, warum TV-Werbung noch immer so erfolgreich ist.
Eh bien, sie funktioniert. TV-Werbung ist Teil des Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsumfelds eines bedeutenden Teils der Bevölkerungen in Europa. Und es ist absolut erwiesen, dass gute TV-Kommunikation Marken wachsen lassen kann.

Wir führen dieses Interview im Juni, dem «Pride»-Monat. Ein ganz grosses gesellschaftliches Thema ist, dass sich die Grenzen zwischen den Geschlechtern verwischen. Alles wird fluid. Auch bei P&G gibt es keine Herren- und Damentoiletten mehr, sondern nur noch Unisex-Klos. Was bedeutet das für die Art und Weise, wie Sie über Ihre Produkte nachdenken?
Sie stellen komplizierte Fragen.

Okay, ich stelle die Frage konkreter. Bei Ihren Rasierern gibt es heute Gillette für die Jungs und Gillette Venus für die Mädels. Gibt es in ein paar Jahren nur noch ein Gillette, und die Werbung macht ein nicht binärer Influencer beziehungsweise eine nicht binäre Influencerin?
Möglicherweise. Ich habe keine Kristallkugel, um die Zukunft vorherzusagen. Eine Schwierigkeit könnte darin liegen, dass es andere Körperregionen sind, mit denen man sich beim Rasieren bei Frauen und Männern auseinandersetzen muss.

Aber irgendwann wird der genderneutrale Rasierer kommen?
Wenn es einen Markt dafür gibt und die Verbraucher und Verbraucherinnen dies wünschen, dann lautet die Antwort: Ja. Klar ist, dass wir kontinuierlich auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren müssen und dass wir uns anpassen müssen, wenn wir erfolgreich bleiben wollen. Und klar ist auch, dass Diversität entscheidend ist. Wir haben hier in unseren Büros in Genf 1800 Mitarbeitende, die Hälfte davon sind Frauen. Vor ein paar Jahren war das noch lange nicht so. Zudem beschäftigen wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus x Nationen. Auch unsere Werbung ist vielfältiger und abwechslungsreicher geworden. Was nur wenige wissen: Wir achten auf Geschlechterparität bei der Regie unserer Werbefilme. Wir schauen darauf, dass die verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor und hinter den Kameras angemessen repräsentiert werden.

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