Exklusive Kongresse und Gratis-Übernachtungen
So kommt die Pharma Ärztinnen und Ärzten ganz nah

Die Pharmaindustrie bezahlt jährlich Millionen an Ärztinnen, Ärzte, Spitäler und andere Institutionen – und geht gern auf Besuch. Der Staat schaut weg.
Publiziert: 14.09.2023 um 20:16 Uhr
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Otto Hostettler
Beobachter

3698 Ärztinnen und Ärzte liessen sich letztes Jahr von der Pharmaindustrie Kongressgebühren finanzieren. Viele von ihnen kassierten auch gleich noch Übernachtungsspesen. Oder sie standen direkt auf der Lohnliste von Pharmafirmen, weil sie auch als Berater für diese tätig sind. 7,5 Millionen Franken flossen so 2022 direkt zur Ärzteschaft, eine Million mehr als im Vorjahr.

Eine Datenauswertung des Ringier Axel Springer Research Network zeigt: Mehrere Ärztenetzwerke holen systematisch bei Pharmafirmen Sponsorengelder ein. Wie sie diese Beiträge verwenden – und vor allem, welche Gegenleistungen sie der Pharmaindustrie bieten –, ist nicht bekannt.

Ein ehemaliger Kadermann einer Pharmafirma, der jahrelang über die Vergabe von Sponsorengeldern entschied, sagt klar: «Letztlich geht es darum, mit Ärzten ins Gespräch zu kommen.» Für ein Sponsoring von etwa 5000 Franken habe er erwartet, die Ärzte direkt kontaktieren und besuchen zu können. Solche Kontaktaufnahmen sind für Ärztinnen und Ärzte nicht nur zeitraubend, sie sind auch verpönt, weil Pharmavertreter ausschliesslich die Medikamente ihrer Firmen propagieren.

Auf Kosten der Pharma an teure Kongresse: Rechtlich sind Sponsorengelder ein Graubereich.
Foto: Getty Images

700'000 Franken – ganz legal

Die neuste Datenauswertung zeigt: Mehr als 40 Ärztenetzwerke erhielten letztes Jahr Sponsorengelder, von wenigen Hundert Franken bis zu mehreren Zehntausend. An der Spitze liegt die Pizolcare AG mit 69'000 Franken. Das Netzwerk mit über 100 Hausärzten, Spezial- und Spitalärztinnen der Region Sargans/Werdenberg hat keine Berührungsängste mit der Pharmaindustrie. Seit der 2015 eingeführten Pflicht zur Offenlegung summieren sich die Sponsoringeinnahmen auf 642'000 Franken. Wenn man noch Beiträge dazuzählt, die über den eigenen Förderverein abgerechnet wurden, kommt man auf fast 700'000 Franken.

Dabei hat alles seine Richtigkeit. Das Heilmittelrecht erlaubt solche Zahlungen explizit. Die Gelder müssen lediglich vertraglich geregelt werden und dürfen für die Ärztin oder den Arzt keinen «ungebührenden Vorteil» darstellen. Der eigentliche Zweck des Heilmittelrechts: Die Wahl einer medizinischen Behandlung darf nur auf der Grundlage wissenschaftlicher und objektiver Kriterien erfolgen und nicht durch finanzielle Anreize.

Bei der Pizolcare betont Verwaltungsratspräsident Urs Keller, jeder Unterstützungsbeitrag der Industrie sei durch einen individuellen Vertrag geregelt. Mit den Sponsorengeldern werden Fortbildungsveranstaltungen des Ärztenetzwerks mitfinanziert.

Auf Tuchfühlung mit den Ärztinnen und Ärzten

Tatsächlich ist die Pizolcare ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Pharmaindustrie den direkten Zugang zur Ärzteschaft erkauft. Zum Beispiel bezahlte der Generikahersteller Mepha 19'500 Franken und unterstützte so ein Ärztesymposium, die Qualitätszirkel des Netzwerks, ein Patientenschulungsprogramm und eine Weiterbildung für Medizinische Praxisassistentinnen. Als Gegenleistung durften mehrere Aussendienstmitarbeitende der Pharmafirma an den Veranstaltungen präsent sein, konnten Plakate aufhängen, Unterlagen verteilen und das Logo platzieren.

Von Novartis erhielt Pizolcare «Dienstleistungs- und Beratungshonorar», wobei der Begriff grosszügig interpretiert wird: Der Konzern durfte den Ärztinnen und Ärzten des Netzwerks für 3000 Franken über den Newsletter «wissenschaftliche Produkteinformationen» senden und sein Logo platzieren.

Gemäss Pizolcare-Präsident Keller durfte Novartis zudem mit eigenem Personal an den Hauptversammlungen des Ärztenetzwerks und des Fördervereins teilnehmen. Hier sei es zu «Grundsatzdiskussionen über das Gesundheitswesen» aus Managed-Care-Sicht gekommen, also «Informationen von der Basis zur möglichen Zukunft des Gesundheitswesens».

Einen komplett anderen Umgang mit Sponsorengeldern hat der Verein Medix Schweiz, mit 800 Ärztinnen und Ärzten und zehn eigenen Gesellschaften das grösste Netzwerk der Schweiz. «Wir nehmen keine Gelder an und wollen unabhängig sein», sagt Präsident Felix Huber. «Ich will nicht in der Schuld der Pharmaindustrie stehen.»

Der Hintergrund: Medix propagiert eine qualitativ hochstehende und gleichzeitig kostengünstige Behandlung und verfasst dazu für die angeschlossenen Hausärzte stetig aktualisierte Fachinformationen und «Guidelines», die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Huber findet Pharmasponsoring «stossend» und sagt: «Wir brauchen dieses Geld nicht, wir können uns anders finanzieren.»

Rechtlich sind Sponsorengelder ein Graubereich. Grundsätzlich sind «geldwerte Vorteile» untersagt. Doch das Gesetz ermöglicht Zahlungen unter bestimmten Voraussetzungen. So dürfen finanzielle Unterstützungen nicht an Bedingungen und Auflagen geknüpft sein, um das ärztliche Verschreibungsverhalten zu beeinflussen. Zudem müssen Gegenleistungen der Geldempfänger in einem «angemessenen Verhältnis» sein.

«Keine Ahnung, ob die Gesetze wirken»

2020 traten im Heilmittelgesetz zwei neue Artikel in Kraft, die die Integrität und Transparenz stärken sollten. Wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die neue Gesetzgebung kontrolliert, ist nicht klar. Bis heute hat das BAG kein einziges Verwaltungsstrafverfahren eröffnet, bestätigt eine Sprecherin.

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde erstmals im «Beobachter» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter www.beobachter.ch.

Beobachter

Dieser Artikel wurde erstmals im «Beobachter» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter www.beobachter.ch.

Ob das Bundesamt überhaupt über ein Prüfprogramm verfügt und zumindest stichprobenartig Verträge zwischen Ärzten, Ärztenetzwerken, Spitälern und der Pharmaindustrie untersucht, ist unklar. Wegen der Pandemie seien «gewisse Aufgaben etwas zurückgestellt» worden. Laut BAG habe man aber «Vollzugsstrukturen» aufgebaut. Hingegen gibt man freimütig zu, dass das BAG die von der Pharmaindustrie seit acht Jahren veröffentlichten Daten bisher nie selbst analysiert hat.

Ivo Meli, beim Konsumentenschutz für Gesundheitsthemen verantwortlich, schüttelt darüber nur den Kopf: «Eine wirksame gesetzliche Regelung bedingt auch eine Kontrolle. Aber bisher haben wir keine Ahnung, ob die vor drei Jahren erlassenen Gesetze tatsächlich wirken.»

Mitarbeit: Simon Huwiler, Michael Heim, Seraina Gross, Lisa Aeschlimann  

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