Faktor Angst spielt zentrale Rolle
Darum fällt und steigt der Euro-Franken-Kurs

Die Sache mit dem Wechselkurs ist kompliziert. Inflation, Zinsdifferenz und der Status als sicherer Hafen – das sind die wesentlichen Faktoren, die den Wert des Frankens beeinflussen. Aber nicht nur.
Publiziert: 15.06.2024 um 16:05 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2024 um 09:20 Uhr
Peter Rohner
Handelszeitung

Diesen Sommer werden Schweizer Touristen im nahen Ausland eine angenehme Erfahrung machen. Euro-Preise sind mehr oder weniger Franken-Preise – mit einem kleinen Rabatt: Die 10-Euro-Pizza schlägt auf dem Konto nur mit 9.70 Franken zu Buche.

Das ist zwar etwas mehr als Anfang Jahr, aber deutlich weniger als in den vergangenen Jahren. Lange musste man mit Kursen zwischen 1.10 und 1.20 kalkulieren. Vor der Euro-Schuldenkrise 2011/2012 lag das Verhältnis noch bei 1.50 oder drüber: Die 10-Euro-Pizza belastete das Portemonnaie mit 15 Franken, das Umrechnen war komplizierter.

Wechselkurse können die Ferienbudgetierung gewaltig durcheinanderbringen. Aber wie kommen diese Bewegungen zustande, warum sind Währungen manchmal stark, dann wieder eher schwach? Und welche spezifischen Treiber stehen hinter dem Auf und Ab des Euro-Franken-Kurses?

SNB-Spitze mit Präsident Thomas Jordan im Vordergrund: Die umsichtige Geldpolitik der Nationalbank hat dazu beigetragen, dass der Franken als sicherer Hafen wahrgenommen wird.
Foto: Keystone

Stärke des Frankens ist gleichzeitig die Schwäche des Euros

Die Antwort ist trivial und kompliziert zugleich. Trivial, weil die Preise der Währungen in einem System flexibler Wechselkurse durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden, wie bei Aktien oder Rohstoff-Futures. Wenn alle Franken wollen, steigt der Wert. Wenn eine Zentralbank im grossen Stil Geld druckt, kommt die Währung bei gleich grosser Nachfrage unter Druck.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Etwas komplexer wird es noch, weil Währungen nie für sich allein betrachtet werden können. Schliesslich ist der Wechselkurs der Preis der einen Währung in Einheiten der anderen. Das heisst: Alles ist relativ. Die Stärke des Frankens ist gleichzeitig die Schwäche des Euros. Bei Aktien ist das anders: Dort kommt niemand auf die Idee, bei sinkenden Kursen von einer Aufwertung der Währung zu sprechen.

Kompliziert ist die Sache mit den Wechselkursen auch deshalb, weil dahinter ganze Volkswirtschaften stehen. Und weil es für Volkswirtschaften keine Laborversuche gibt, müssen Modelle und Theorien aushelfen, um die Zusammenhänge zu verstehen.

Preisunterschiede werden ausgeglichen

Zu den bewährten Theorien gehört jene der relativen Kaufkraftparität. Die Idee dahinter ist, dass die Wechselkurse die unterschiedliche Entwicklung der Preise zweier Volkswirtschaften ausgleichen sollten. Wenn das nicht so wäre, würde es sich theoretisch lohnen, die Produkte aus dem Land mit der tieferen Inflation zu importieren und im Hochinflationsland zu verkaufen. Doch dieser Arbitrage-Gewinn wäre nur so lange möglich, bis die zusätzliche Nachfrage nach der Tiefinflationswährung ihren Kurs gehoben hätte.

Der Zusammenhang von Inflationsdifferenz und Wechselkurs lässt sich anhand des Euro-Franken-Beispiels gut illustrieren. Seit Einführung des Euros sind die Preise in der Euro-Zone um über 50 Prozent gestiegen, in der Schweiz betrug die kumulierte Preissteigerung nur rund 15 Prozent. In der gleichen Zeit hat sich der Euro um 40 Prozent zum Franken abgewertet. Je nachdem, ob man als Inflationsmass die Konsumentenpreise oder die Produzentenpreise verwendet, läge der um die Inflationsdifferenz bereinigte, «faire» Wechselkurs heute bei 1.05 oder 0.98 Franken.

Langfristig orientieren sich Wechselkurse an den Inflationsdifferenzen. Die kurz- und mittelfristigen Schwankungen können die relativen Preise aber nicht erklären.

Die Macht der Zinsen

Dazu sind die Zinsen und die Zinserwartungen besser geeignet. Der Effekt der Zinsdifferenz auf die Währungen ist in der ökonomischen Literatur zwar umstritten. In den letzten Jahren hat sich aber ein Muster herauskristallisiert: Währungen mit einem Zinsvorteil sind für Investoren attraktiv und tendieren dadurch zur Stärke.

Denn Spekulanten nutzen die Zinsdifferenz zu ihrem Vorteil aus, indem sie Kredite in den Tiefzinswährungen wie dem Franken aufnehmen, um sie in höherverzinsliche Geldmarktpapiere anzulegen. Sie kassieren die Zinsdifferenz und sorgen gleichzeitig für einen gewissen Abwertungsdruck in der Finanzierungswährung.

Das zeigt auch die Aktualität: Die Abwertung des Frankens zum Euro im ersten Quartal 2024 wurde mit der zunehmenden Zinsdifferenz zwischen der Euro-Zone und der Schweiz in Verbindung gebracht. Seit klar ist, dass auch die Euro-Zone die Zinsen senken würde, hat der Euro-Franken-Kurs wieder nach unten gedreht. Die Auflösung der Carry Trades könnte die Talfahrt beschleunigen.

Franken als sicherer Hafen

Spezifisch auf den Franken gemünzt, spielt auch der Faktor Angst eine Rolle. Fast zwei Jahrhunderte politische Stabilität, eine umsichtige Finanzpolitik und eine Nationalbank, die kaum je Inflation zugelassen hat, haben der Schweiz und ihrer Währung den Status eines sicheren Hafens verliehen. Bei geringster Unsicherheit an den Finanzmärkten suchen Investoren darin Schutz und kaufen Schweizer Wertpapiere.

Extrem war die Fluchtbewegung während der Euro-Schuldenkrise. Schweizerinnen und Schweizer holten Kapital zurück in die Heimat, und ausländische Investoren brachten Milliarden auf sichere Schweizer Frankenkonten. Seit 2008 sind per Saldo 340 Milliarden Franken aus dem Ausland in den Schweizer Aktien- und Anleihenmarkt geflossen. Solche nach Sicherheit strebende Kapitalflüsse sollten den Franken stärken.

Dieser Effekt lässt sich statistisch nachweisen, er ist allerdings nicht sehr stark. Gemäss einer neuen Studie der UBS erklären Kapitalflüsse weniger als 5 Prozent der Bewegungen des Wechselkurses. Damit ist aber laut den UBS-Ökonomen der Status des Frankens als sicherer Hafen nicht infrage gestellt. Es relativiere bloss die Bedeutung der Kapitalflüsse als Indikator für die Flucht in sichere Häfen. Besser geeignet seien die Renditeaufschläge in den Euro-Peripheriestaaten oder die allgemeine Volatilität am Aktienmarkt.

Anschauungsunterricht dafür lieferten die Ereignisse von dieser Woche. Nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen und der Auflösung des französischen Parlaments am Wochenende sind die Börsen am Montag eingeknickt und die Renditeaufschläge für italienische und spanische Anleihen gestiegen. Spiegelbildlich hat auch der Euro zum Franken etwas nachgegeben.

Exportnationen mit starker Währung

Ein weiterer ökonomischer Faktor, der an den Devisenmärkten eine wichtige Rolle spielt, ist die aussenwirtschaftliche Position. Länder, die mehr exportieren als importieren, sehen sich mit einem stetigen Aufwertungsdruck konfrontiert, da jedes Exportgeschäft mit einer entsprechenden Nachfrage nach der Währung einhergeht. Kauft zum Beispiel ein türkisches Unternehmen eine Schweizer Maschine, muss es zuerst Lira in Franken tauschen.

Für die Erklärung des Euro-Franken-Kurses hilft dieser Ansatz allerdings wenig. Denn beide Volkswirtschaften erzielen seit Jahren Überschüsse in der Handels- und Leistungsbilanz, was für eine stete Nachfrage nach ihrer Währung sorgt.

So bleiben als Haupttreiber des Frankens die Inflation, die Zinsdifferenz und die Präferenz der Finanzmarktteilnehmer für riskante oder sichere Anlagen. Die einzelnen Treiber können sich verstärken oder neutralisieren, ihr Einfluss ist meist nur im Nachhinein sichtbar. Deshalb sollten Wechselkursprognosen mit grosser Vorsicht genossen werden.

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