Finanzberatung ohne Mensch durch künstliche Intelligenz
Kann KI mein Vermögen besser bewirtschaften als Menschen?

Selma Finance hat eine Anlageberatung per künstlicher Intelligenz lanciert und feiert das als Pionierleistung. Aber was kann die KI-Lösung besser als bisherige «Robo Advisors»? Blick ordnet ein.
Publiziert: 17.04.2024 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2024 um 08:28 Uhr
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Chatbots werden in der Schweiz immer beliebter. Laut einer aktuellen Comparis-Studie lassen sich viele Menschen mittlerweile online lieber von einem solchen digitalen Assistenten helfen als von einem Menschen. Das Vertrauen in die Chatbots ist gross – zumindest beim Onlineshopping oder für die Kommunikation mit Unternehmen.

Aber gilt das auch, wenn es um Finanzen geht? Anlegen ist beispielsweise ein Feld, in das sich Laien kaum vorwagen. Da braucht es gute, individuelle Beratung. Beratung, die auch ein Algorithmus bieten kann?

Sogenannte «Robo Advisors» gibt es in der Finanzwelt längst. Dank Automatisierung diverser Aufgaben wie der Beratung ermöglichen sie geringere Gebühren für die Vermögensverwaltung. Bislang greifen sie meist auf Chatbots zurück, die nach starrem Muster Infos über den Antragsteller abfragen und dann eine Anlageempfehlung formulieren.

Investition, selbst gemacht, auch für Laien mit wenig Vermögen: Selma Finance will dies mittels KI ermöglichen.
Foto: Selma Finance
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Die Zürcher Fintech-Unternehmen Selma Finance hat nun eine neuartige Finanzberatung mithilfe von künstlicher Intelligenz lanciert. Laut eigenen Angaben «die Erste in der Schweiz», die Rede ist gar von einer Pionierleistung im weltweiten Vergleich. Doch ist die Nutzung von KI im Vergleich zur bisherigen Lösung mit einem Chatbot wirklich ein Quantensprung?

Keine menschlichen Berater nötig

Mitgründer und CEO Patrik Schär (39) erklärt gegenüber Blick, Selma AI gehe wesentlicher weiter als bisherige Tools: «Sie kann die gesamte Vermögenssituation analysieren und beurteilen, über die Anlagen Auskunft geben, über die Cash-Situation sprechen und mehr.» Die auf einer Software von OpenAI – der Firma hinter ChatGPT – basierende KI habe «das Wissen und die Individualität einer guten Private-Banking-Beraterin, allerdings zu einem Bruchteil der Kosten und für alle».

Denn laut Schär ist persönliche Finanzberatung in der Schweiz bislang teuer oder nur für Personen mit grossem Vermögen zugänglich. Bei Selma ist die KI-Beratung kostenlos und ab einem Anlagevermögen von 2000 Franken möglich.

In den ersten zwei Wochen habe Selma AI bereits rund 4500 «Gespräche» geführt und dadurch rund 90'000 Beratungsminuten eingespart. «Um dasselbe Volumen mittels menschlicher Beratung zu erledigen, hätten wir etwa 30 qualifizierte Berater benötigt», so Schär.

Braucht es menschliche Berater doch?

Doch was schaut für den Konsumenten heraus? «Der Einstieg ist deutlich angenehmer für Kunden, die der KI auch selber Fragen stellen können», analysiert Andreas Dietrich (46), Finanzprofessor an der HSLU. Der Beratungsprozess verlaufe nicht schematisch, ist einem Beratungsgespräch mit einem Menschen also ähnlicher.

Dietrich hält zudem fest, dass im Rahmen einer HSLU-Studie eine Finanzberatung über ChatGPT tatsächlich konstante und schlüssige Ergebnisse geliefert habe. «Theoretisch kann eine KI vom Resultat her gleich Gutes vorschlagen wie ein Berater», so Dietrich. Je vielschichtiger die Ansprüche des Kunden – und damit die Datenlage – sei, desto schwieriger sei aber der Erhalt eines guten Resultats.

Dietrich fragt sich zudem, wie viele Anleger den «Faktor Mensch» durch eine KI ersetzen wollen. Empathie und eine konkrete Ansprechperson seien wichtig – trotz Möglichkeit zur Selbstdiagnose im Web gehen die meisten ja weiterhin zum Arzt für eine Abklärung. Zudem sei eine Beratung bei der Hausbank fast immer kostenlos. Und ob eine KI «den Markt schlagen» kann, also für den Kunden bessere finanzielle Ergebnisse liefert als bisher, sei alles andere als gesichert.

Ein Fall für die Finma?

Ein Mitbewerber, der namentlich nicht genannt sein möchte, attestiert Selma Finance eine Pionierrolle im KI-Bereich, spricht aber von «Marketing mit dem Buzzword KI». Er fragt sich, ob die noch eher kleine Selma genügend kontextuelle Information hat – also beispielsweise vergleichbare Kundenprofile, die zu ähnlichen Offerten führen. Und auch er führt den «Faktor Mensch» ins Feld: «Ist das Vertrauen in der Breite schon gross genug, um sein Risikokapital komplett einer KI anzuvertrauen?» Er staunt zudem, dass die Finanzmarktaufsicht (Finma) dem Treiben in der algorithmisch gesteuerten Finanzberatung praktisch tatenlos zusieht. 

Nicht zuletzt bleibt die Frage, ob nach der verbesserten Kundeninteraktion unter dem Strich auch ein besseres, echt individuelles Anlage-Resultat herausschaue: «Am Ende fällt jeder Kunde doch in ein Töpfli mit Anlageoptionen, wie es sie jetzt schon gibt.» Dietrich sieht das gleich: «Letztlich wird auch Selma nicht darum herumkommen, die Beratung auf übliche Kernpunkte wie Vermögenssituation, Risikobewusstsein, Anlagedauer und dergleichen zu stützen.»

Vielseitig einsetzbar

Schär lässt dies nicht gelten. Die KI-Beratung könne schon jetzt individualisiert von der Finanzplanung im Berufsleben bis zur detaillierten Pensionierungsplanung alles abdecken. Weitere Felder wie Hypotheken- oder Versicherungsberatung seien in Reichweite.

Bislang ist Selma AI nur für eigene Kunden zugänglich, als Abwicklungs-Partner agiert die Saxo Bank. Eine Anwendung bei anderen Finanzunternehmen sei zu einem späteren Zeitpunkt möglich.

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