Für Mega-Solarprojekt
Axpo lässt Bauern in Spanien enteignen

Der Schweizer Energiekonzern baut auf der Iberischen Halbinsel eine riesige Solaranlage. In der Bevölkerung dort sorgt das teils für Unmut, denn lokale Interessen müssen hintanstehen.
Publiziert: 11.08.2024 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2024 um 11:21 Uhr
Romano Paganini, Spanien

Was die Axpo daheim nur eingeschränkt tun kann, macht sie im Ausland grossflächig: Produktionsanlagen für erneuerbare Energie bauen. In Deutschland und Frankreich sind es Windparks, in Spanien eine Fotovoltaik-Anlage (PV) – eine ihrer grössten überhaupt. Sie soll bei Vilecha entstehen, rund 330 Kilometer nordwestlich von Madrid, zwischen Portugal und dem Atlantik.

Die dortigen Bedingungen entsprechen dem Ideal der Solarindustrie: weite Flächen, viel Sonne, wegsterbende Bauernfamilien und Lokalregierungen, die froh sind über Steuereinnahmen. «Die von uns geplanten PV-Anlagen sind in einem Gebiet mit sehr geringem ökologischem und agronomischem Wert geplant», schreibt die Axpo. Daher sei der landwirtschaftliche Ertrag auf diesem Land «eher gering».

430 Fussballfelder

Also entsteht hier, was für den Energiekonzern «ein wichtiger Meilenstein für das Solarentwicklungsgeschäft in Spanien» ist. Auf 307 Hektar Land (430 Fussballfelder) werden 365'000 Solarpanels installiert, die 76'000 spanische Haushalte mit Strom versorgen sollen. Kostenpunkt: weit über hundert Millionen Franken.

Solaranlagen verdrängen in Spanien Bauern.
Foto: Felipe Tom/Cavan Images/laif
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Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Durch den Bau der Grossanlage droht Dutzenden von Bauern und Anwohnern der Gemeinden Villadango del Páramo und Cimanes del Tejar die Enteignung. Es sind die Konsequenzen des von der EU losgeschickten «Solarexpresses», bei dem sowohl Umweltverträglichkeitsprüfungen als auch lokale Interessen hintanstehen müssen.

Die Axpo betont, dass sie «die Prioritäten und Erwartungen der lokalen Bevölkerung» berücksichtige, doch wer mit Betroffenen spricht, merkt schnell: Das sind Lippenbekenntnisse.

Ein Beispiel ist Esteban Rodriguez* (60), der von der Enteignung betroffen ist. Der Mann ist hier aufgewachsen, hat die Weizen- und Rapsfelder seines Vaters geerbt und möchte sie nun seinem Sohn weitergeben. Rodriguez erzählt, dass etwa vor anderthalb Jahren eine Frau aus der Region auf ihn zugekommen sei und ihn gefragt habe, ob er sein Land für die nächsten 25 Jahre verpachten wolle: 1000 Euro pro Jahr und Hektar. «Sie ging von Finca zu Finca und versuchte, die Leute zu überzeugen», erinnert er sich. Beim Bauern stiess die Strohfrau jedoch auf Granit. Für jene, die in die Stadt ziehen, möge der Landverkauf eine Option sein – «aber was mache ich als Bauer, wenn ich nicht mehr säen kann?»

«Energieproduktion wird über jene von Lebensmitteln gestellt»

Die lokale Bauerngewerkschaft ASAJA hilft Rodriguez und den anderen Gewerkschaftsmitgliedern beim Verfassen von Rekursen, obwohl die Chancen auf Erfolg gering sind. «Hier geht es nicht um öffentliches Interesse, sondern um private Gewinnoptimierung einer Grossfirma», sagt Sekretär José Antonio Turrado. Er stösst sich daran, dass die Solarindustrie Jahr für Jahr Tausende Hektar Agrarland zubaut, und damit die Preise für die Pacht in die Höhe treibt.

In der Region Kastilien und León, wo die Axpo derzeit plant, zahlte ein Bauer bis vor kurzem noch 100 Euro pro Hektar und Jahr. Die Solarindustrie hingegen bietet jährlich ein Vielfaches für dieselbe Fläche – über Jahrzehnte hinaus. Das führe zu einer «Diversifizierung des Einkommens» sowie einer «geringeren Abhängigkeit von Klimaschwankungen», argumentiert der Konzern.

Worte, die die Bauern hilflos zurücklassen. Gewerkschaftssekretär José Antonio Turrado: «Wer weiterhin Landwirtschaft betreiben möchte, hat keine Chance. Ich finde es unmoralisch, wenn die Energieproduktion über jene von Lebensmitteln gestellt wird.»

Axpo-Sprecherin Jeanette Schranz sagt gegenüber Blick: «Die Axpo ist sich der Bedenken der betroffenen Landwirte bewusst und hat versucht, durch Verhandlungen eine einvernehmliche Lösung zu finden.» Während die weit überwiegende Zahl der Eigentümer den Angeboten zugestimmt hätten, seien sie «von einigen wenigen» abgelehnt worden. «In diesen Fällen erfolgen Enteignungen gemäss den gesetzlichen Bestimmungen.» Denn die Solaranlagen seien vom Staat «als eine für die Versorgungssicherheit wichtige Anlage» im öffentlichen Interesse anerkannt worden.

Wegen Wind- und Solaranlagen oder Hochspannungsleitungen drohen in Spanien derzeit Tausenden von Menschen die Enteignung, gerade in ländlichen Gegenden. Im Zuge der Energiewende können die Firmen im Streitfall «öffentliches Interesse» geltend machen, also auf staatlichen Rückhalt zählen – und auf Lücken im Gesetz.

Grossprojekte, die auf über 100 Hektar Land zu liegen kommen oder über 50 Megawatt (MW) Leistung installieren, werden oft via Tochtergesellschaften (meistens GmbHs) fragmentiert und damit den zentralstaatlichen Kompetenzen entzogen. Zuständig ist dann nicht mehr das strenge Ministerium der ökologischen Transition in Madrid, sondern die für Korruption anfälligen Regionalregierungen, wo die Verfahren zügiger und die Kontrollen lascher sind.

«Gerade bei Umweltverträglichkeitsprüfungen führt das Fragmentieren zu einem unvollständigen Bild», erklärt Luis Villodres, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Granada. Er recherchiert im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Problematik und kennt das Kalkül dahinter: «Es wird nicht das Grossprojekt als Ganzes beurteilt, sondern jedes einzelne Kleinprojekt. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind dann offiziell geringer, doch wenn man sie zusammenrechnet, sind sie wesentlich grösser – nur, dass dieser Fakt dann nirgends mehr auftaucht.»

Sollte es am Ende doch Probleme geben, sagt Villodres, können die Muttergesellschaften ihre Strohfirmen in den Konkurs schicken, ohne sich dabei die Finger schmutzig zu machen. «Die Konzerne verwischen so ihre Spuren und stehlen sich aus der Verantwortung.»

Ein Mann, mehr als hundert Mandate

Auf das System der GmbHs greifen in Spaniens Energiemarkt Dutzende Investmentfirmen, Pensionskassen und internationale Energieproduzenten zurück – auch die Axpo. Ihr 200-MW-Projekt bei Vilecha verwaltet sie über die vier Kleinfirmen Roteles, Valtarafon, El Monte und La Fenera. Alle wurden am 12. April 2019 gegründet, verfügen über ein Grundkapital von 3200 Euro und werden seit Ende 2023 von Axpos Solarbereichsleiter Antoine Millioud präsidiert.

Der frühere Manager der Industriellen Werke Basel war lange CEO der Basler Energiefirma Aventron und ist auf der Iberischen Halbinsel bestens vernetzt. Gemäss Handelsregister hat Antoine Millioud in Spanien weit über hundert Mandate bei Tochtergesellschaften inne – entweder als Vorstandsvorsitzender, als Präsident, als Geschäftsführer oder als Person, die alle drei Ämter gleichzeitig bekleidet. Alleine am 16. Januar 2023 wurde der Bauingenieur mit Erfahrungen im Private-Equity-Sektor 132 Mal ins spanische Handelsregister eingetragen. Die Axpo schreibt, dass es sich bei diesen Firmen um sogenannte «Special-Purpose-Vehikel» handle, und dies das übliche Vorgehen in der Entwicklung von Kraftwerken sei.

Durch die Aufteilung des Vilecha-Projekts bewegt sich der Energiekonzern aus Baden AG allerdings im juristischen Graubereich. Der deutsch-spanische Rechtsanwalt Sönke Lund spricht von einer «Umgehung des Gesetzes», im Wissen, dass der Konzern so schneller und einfacher seine Anlagen bauen könne. Gerade bei Grossprojekten ab 50 MW Leistung seien die Umweltstandards wesentlich höher und würden sich die Genehmigungsverfahren gerne verzögern, erklärt Sönke Lund.

Projekte geprüft und bewilligt

Die Axpo sieht darin kein Problem. Beim Fragmentieren gehe es um die «rechtliche Strukturierung der Projekte». Es sei weltweit üblich, dass Solar- und Windanlagen via Einzelfirmen organisiert würden. Ihre Tochtergesellschaften in Spanien seien «technisch und finanziell zahlungsfähig» – auch wenn das Geld erst fliesse, wenn die Anlage gebaut werde.

Die gewonnene Energie der vier PV-Anlagen soll danach über ein und dasselbe Umspannwerk ins spanische Stromnetz eingespeist werden. Das sei insofern riskant, so Rechtsanwalt Sönke Lund, «weil die Projekte juristisch anfechtbar sind – und zwar zu einem Zeitpunkt, da die Firmen bereits viel Geld in die Hand genommen haben». Lund bezieht sich auf die vom spanischen Netzbetreiber Red Eléctrica de España ausgestellte Einspeisegenehmigung und die damit verbundene Garantiezahlung seitens der Axpo, am Ende tatsächlich Energie ins Stromnetz einzuspeisen. «Bei Grossprojekten sind das in der Regel Beträge in Millionenhöhe», sagt er.

Gleichzeitig relativiert der Rechtsanwalt und verweist darauf, dass es für solche Rekurse nicht nur Geld, sondern auch juristische Kompetenz brauche, die Kläger also gut organisiert sein müssten. «Es heisst nicht, dass wer recht hat, am Ende auch recht erhält.»

Das weiss auch die Axpo. Schliesslich baut sie in einer jener Regionen Spaniens, in der die Landflucht am höchsten ist – und die nachbarschaftliche Organisation dadurch am geringsten. Er habe das Gesetz keineswegs umgangen, findet der Konzern. Die Projekte seien durch die zuständige Regionalbehörde geprüft und bewilligt worden.

*Name geändert 

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