Gopfried Stutz
Unfallversicherer lehnen Leistung ab und warten, was passiert

Würde die Unterscheidung zwischen Unfall und Krankheit beseitigt, verlören flott bezahlte Vertrauensärzte und Versicherungsjuristen den Job.
Publiziert: 22.08.2020 um 17:26 Uhr
|
Aktualisiert: 26.09.2020 um 19:52 Uhr
Claude Chatelain

Einem SonntagsBlick-Leser aus Dettighofen TG rissen zwei Bänder an der Schulter, als er im März letzten Jahres die Treppe hochfiel. Doch der Unfallversicherer Swica verweigert die Zahlung der Operationskosten. Ein Gutachter behauptet, mit Alter 62 seien die Sehnen eh lädiert gewesen. Der Hausarzt, der Rheumatologe wie auch der operierende Arzt sind zwar der Meinung, der Sehnenriss sei auf den Sturz zurückzuführen. Die Einsprache wurde im Februar abgelehnt.

Der Fall erinnert an Andreas Tschachtli aus Kerzers FR. «Unfallversicherer lassen Kunden hängen», so die Titelgeschichte im SonntagsBlick vom 9. August 2020. Dem heute 49-jährigen Gemüsebauer ist ein Ventilator auf die Schulter gefallen. Auch hier behauptet der beratende Arzt des Unfallversicherers, die Sehne sei schon vorher defekt gewesen. Auch hier verneint der operierende Orthopäde diesen Befund. Das Gericht glaubt dem beratenden Arzt, obschon dieser als Internist noch nie eine Schulter operiert hat.

Claude Chatelain, Kolumnist SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer

Der Leser aus Dettighofen hat mir 27 Seiten an Stellungnahmen, Aktenbeurteilungen und anderen Briefen zukommen lassen. In einer Stellungnahme schreibt der operierende Arzt vom Spital Thurgau in Frauenfeld: Die Entscheidung der Versicherung könne er nicht nachvollziehen. «Leider sind Sie nicht der Einzige mit der gleichen Diagnose und den gleichen Entscheidungen von der Unfallversicherung.»

Wie mir der Leser später erzählt, sagte der operierende Arzt, als ihm der Bericht des Gutachters vorgelegt wird: «Nein, nicht schon wieder der. Der hat noch nie eine Schulter operiert.»

Mich frustriert die Untätigkeit der Politik. Seit Jahren wird über die unsägliche Unterscheidung zwischen Unfall und Krankheit berichtet. Selbst die «NZZ am Sonntag», unternehmerischer Gewinnmaximierung wirklich nicht abgeneigt, schrieb vor fünf Jahren: «Wie Unfallversicherer Millionen sparen.»

Das Vorgehen ist simpel: Man lehnt die Leistungspflicht ab und schaut, was passiert. Die wenigsten machen es wie der Gemüsebauer aus Kerzers oder der SoBli-Leser aus Dettighofen, indem sie den Entscheid anfechten. Die meisten scheuen den Aufwand, zumal die Krankenkasse den grössten Teil der Kosten übernimmt. Nur Selbstbehalt und Franchise bleiben am Verunfallten hängen.

Diana Gutjahr, SVP-Nationalrätin aus dem Thurgau, reichte im März letzten Jahres eine parlamentarische Initiative ein. Darin verlangt die Wirtschaftsvertreterin die Abschaffung des Teilmonopols der Suva. Treffendes Beispiel, wie mitunter an Bürgerinnen und Bürgern vorbei politisiert wird. Uns allen wäre eher gedient, wenn die spitzfindige Unterscheidung zwischen Krankheit und Unfall abgeschafft würden.

Uns allen? Nicht ganz. Viele flott bezahlte Vertrauensärzte und Versicherungsjuristen verlören dadurch den Job.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.