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Grosse Analyse zeigt
Pharmafirmen zahlten 246 Millionen Franken an Ärzte und Spitäler

Eine aktuelle Auswertung zeigt: Die Sponsorengelder der Pharmaindustrie steigen auf einen neuen Rekordwert. Ein Projekt für mehr Transparenz wurde gestoppt
Publiziert: 26.09.2024 um 07:07 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2024 um 08:16 Uhr
Michael Heim, Otto Hostettler und Simon Huwiler

Pfizer schickt sich an, Roche zu entthronen. Das zeigt zumindest der Blick auf die Beträge, mit denen das Schweizer Gesundheitswesen und grosse Interessenorganisationen von der Pharmaindustrie gesponsert werden. Diese Beträge hat die Auswertung «Pharma-Gelder 2024» von «Handelszeitung», «Beobachter» und Blick zutage gebracht. 24,7 Millionen Franken zahlte allein Pfizer im vergangenen Jahr an Personen und Organisationen aus dem Gesundheitswesen.

2023 war ein Rekordjahr. Insgesamt flossen 245,9 Millionen Franken von der Pharmaindustrie an Ärzte und Ärztinnen, Kliniken, Kongressveranstalter und Fachorganisationen in der Schweiz. Das ist 11 Prozent mehr als im Vorjahr und so viel wie noch nie. Nach einer Stagnation infolge der Corona-Pandemie haben die Zahlungen ab 2022 wieder deutlich zugelegt.

Mit den Zahlungen unterstützt die Pharmaindustrie unter anderem Forschungskooperationen oder medizinische Studien. Sie finanziert aber auch wissenschaftliche Kongresse, übernimmt Reise- und Hotelspesen oder bezahlt Ärzte und Ärztinnen für Vorträge.

Im Rahmen eines Branchenkodex haben sich die Mitglieder des Pharmaverbandes Scienceindustries verpflichtet, solche Zahlungen offenzulegen. Die einzelnen Unternehmen tun das auf unterschiedliche Weise. Erst die Gesamtanalyse all dieser Dokumente lässt ein Bild der Zahlungsströme zu.

60 Prozent kommen von den neun grössten Sponsoren

Am meisten Geld fliesst von den Branchenschwergewichten Novartis, Roche und Pfizer an die Ärzteschaft. Dahinter folgen Astrazeneca, BMS, Bayer, MSD, Abbvie und Amgen. Gemeinsam stehen diese neun Firmen für 60 Prozent der Zahlungen.

Ein grosser Teil des Geldes geht an die Organisatoren von Kongressen und an Interessenorganisationen. Auf dem ersten Rang der Empfänger steht seit Jahren die European Society for Medical Oncology (Esmo) mit Sitz in Lugano, die einen Kongress für Onkologinnen und Onkologen ausrichtet, der dieses Jahr in Barcelona stattfand. 2023 erhielt die Esmo knapp 19 Millionen Franken von der Pharmaindustrie überwiesen. Unter den Sponsoren befinden sich alle grossen Hersteller; zuvorderst MSD, Astrazeneca und Bristol Myers Squibb mit jeweils mehr als 1,5 Millionen Franken.

Hinter der Esmo folgen – mit deutlichem Abstand – als nächste grössere Empfänger die europäische Rheumaliga (Eular), die European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) und die International Aids Society.

Auch staatliche Empfänger oder staatsnahe Kliniken rangieren weit vorne auf der Adressatenliste. In die Top zehn schafften es 2023 das Universitätsspital Zürich mit 3,4 Millionen Franken, das Berner Inselspital mit 2,6 Millionen Franken und das Waadtländer Universitätsspital Chuv mit 2,4 Millionen. Die räumliche Nähe zur Pharmaindustrie zeigt sich auch beim Universitätsspital Basel.

Viel Geld fliesst in die Onkologie

Interessant ist der Blick auf die Fachbereiche. Hier zeigt sich, dass insbesondere jene Disziplinen von der Industrie gefördert werden, in denen auch die grossen Medikamentenumsätze anfallen: Mit rund 31 Millionen Franken fliesst am meisten Geld in die Krebsforschung (Onkologie). Es folgen die Rheumatologie (12 Millionen Franken), Infektiologie (8 Millionen) und Dermatologie (8 Millionen). Die Abgrenzung wurde aufgrund der Namen der Empfänger vorgenommen und enthält entsprechende Unschärfen. Rund 20 Millionen Franken gingen an Spitäler und Universitäten.

Deutlich kleiner, wenn auch nicht weniger bedeutend, sind Zahlungen an einzelne Ärztinnen und Ärzte: 2023 flossen rund 8 Millionen Franken direkt an Schweizer Ärztinnen und Ärzte – in Form von Honoraren, Hotelübernachtungen oder Reisespesen. Knapp 3500 Empfänger und Empfängerinnen wurden von der Industrie namentlich offengelegt. «Handelszeitung», «Beobachter» und Blick haben diese Daten auf der Website www.pharmagelder.ch durchsuchbar gemacht.

150'000 Franken für eine einzelne Ärztin

In Einzelfällen kommen durchaus hohe Werte zustande. So flossen an die zehn meistgesponserten Einzelpersonen im Jahr 2023 mehr als 600'000 Franken, davon gut 150'000 an die Westschweizer Dermatologin Marva Safa. Wofür genau dieses Geld bezahlt wurde, bleibt unklar; Safa reagierte nicht auf eine Anfrage der «Handelszeitung». Gesponsert wird Safa vom Pharmakonzern AbbVie. Dieser erklärt, sie werde unter anderem dafür bezahlt, dass Sie Medizinalpersonal in der sicheren Anwendung von AbbVie-Produkten schule. Die Anwendung dieser Produkte werde von den Patienten rein privat bezahlt, betont die Firmensprecherin.

Das Beispiel Safa zeigt eine weitere Problematik des Pharmasponsorings: Nicht selten werden Ärzte oder Organisationen von nur gerade einem Pharmaunternehmen unterstützt. Die Auswertung der «Handelszeitung» zeigt: 77 Prozent der Ärztinnen und Ärzte lassen sich von einem einzelnen Pharmaunternehmen unterstützen, bei 60 Prozent der Organisationen ist das ebenfalls der Fall.

Das kann unter Umständen eine bedenkliche Nähe zum Sponsor bewirken – vor allem, wenn es sich dabei um grosse Beträge handelt. Der Pharmakodex der Industrie hält denn auch fest: «Anzustreben ist, dass genannte Organisationen respektive Fachpersonen der Möglichkeit nach von mehreren Pharmaunternehmen unterstützt werden.» Im Falle der Dermatologin Marva Safa stammen die Unterstützungsgelder ausschliesslich von Abbvie beziehungsweise von der Abbvie-Tochter Allergan.

Jürg Granwehr vom Verband Scienceindustries betont auf Anfrage, dass Monosponsoring eine «seltene Ausnahme» sein solle. Allerdings beziehe sich die Bestimmung im Kodex nur auf Unternehmen und Gesundheitsorganisationen und nicht auf einzelne Ärztinnen oder Ärzte, sagt Granwehr.

Die Offenlegung im Rahmen des Verhaltenskodex der Industrie hat sich mittlerweile etabliert. Nachdem sich zahlreiche Empfängerinnen und Empfänger von Unterstützungsgeldern lange geweigert hatten, ihr Einverständnis zur Publikation zu geben, liegt die Quote der Offenlegung durch die Pharmaunternehmen mittlerweile bei oder nahe bei 100 Prozent. Die Diskussionen rund um die Einwilligung seitens der Ärzteschaft scheinen zurückgegangen zu sein, wie Verbandsvertreter Granwehr bestätigt, aber er fügt an: «Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in welchen auf einer individuellen Einwilligung beharrt werden muss.»

Keine Offenlegung der Forschungspartnerschaften

Eine grosse Blackbox bilden allerdings weiterhin Zahlungen, die im Rahmen von Forschungspartnerschaften geleistet werden und die von der Industrie mit Verweis auf heikle Geschäftsgeheimnisse nicht offengelegt werden. Unter anderem werden dabei Spitäler für die Mitarbeit an klinischen Studien abgegolten. 2023 machten diese F&E-Zahlungen mit 106 Millionen Franken fast die Hälfte des Sponsorings aus. Zuletzt wuchsen die unter F&E ausgewiesenen Zahlungen überproportional stark an: von 2022 bis 2023 um 18 Prozent.

Selbst der Branchenverband übte in der Vergangenheit Kritik an der mangelnden Transparenz im Bereich F&E. Er könne nachvollziehen, dass die «gewisse Intransparenz bei dieser Position» teilweise kritisch gesehen werde, sagte Granwehr noch vor drei Jahren zur «Handelszeitung». Bereits früher hatten Novartis und Roche signalisiert, dass beide Konzerne offen für eine erhöhte Transparenz im Bereich der Forschungspartnerschaften seien.

Doch daraus wird nichts. Man habe «mit Blick auf komplexe Umsetzungserfahrungen und Probleme mit dem Forschungsgeheimnis in den USA auf Stufe des europäischen Pharmaverbandes» beschlossen, Zuwendungen für Forschung und Entwicklung nicht weiter zu individualisieren, sagt Granwehr nun. «Die Schweiz ist systembedingt in die europäische Offenlegungsinitiative eingebunden, weshalb sich auf absehbare Zeit an dieser Offenlegungsform nichts ändern dürfte.»

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