Wer ist die Nummer 1?
Wie die grossen Biermarken um den Schweizer Markt kämpfen

Brauer, die ihrem Produkt das passende Image verpassen, gewinnen. Zwei Player liefern sich einen Wettstreit. Heineken hat es auf dem Schweizer Markt mit dem Moretti-Bier vorgemacht.
Publiziert: 04.06.2024 um 18:37 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2024 um 13:09 Uhr
Moretti vermarktet Italianità. Gebraut wird das Bier für die Schweiz aber mehrheitlich in Chur.
Foto: PD
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Erich Bürgler
Bilanz

Die Sehnsucht nach dem Dolce Vita Italiens weckt in der Schweiz ein schnauzbärtiger Herr mittleren Alters. Er ziert die Flaschen und Dosen von Birra Moretti. Die Marke gehört zu den Bieren in der Schweiz, die in den letzten Jahren deutlich an Beliebtheit gewonnen haben. Im Verkaufsversprechen «entführt Moretti Biergeniesser auf einen geschmacklichen Kurzurlaub nach Italien».

Das dank Mais in der Rezeptur süffig milde Aroma mag zum Erfolg beitragen. Viel wichtiger ist aber die Werbung. Und hier rührt der Multi Heineken, zu dem Moretti gehört, mit der grossen Kelle an. Der weltweit zweitgrösste Bierhersteller pushte die Marke so zum Erfolg. Heineken ist damit nicht alleine. Im Schweizer Biermarkt herrscht ein Verdrängungskampf. Brauer, die ihrem Bier das passende Image verpassen, sind die Gewinner.

EM als Grossereignis

Die Kurve beim Pro-Kopf-Bierkonsum zeigt in der Schweiz nach unten. Trends wie bewusste Ernährung, aber auch der steigende Leistungsdruck im Job führen zu zurückhaltendem Alkoholgenuss. Doch in diesem Jahr gibt es für die Branche ein freudiges Ereignis: die Fussball-Europameisterschaft. Sport und Bier pflegen eine innige Beziehung.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Dass das Ereignis und Bier in den Köpfen vieler untrennbar sind, hat sich die Branche über Jahre hart erarbeitet. An der EM sei Bierwerbung besonders wichtig, sagt Stefan Michel, Professor für Marketing und Strategie am IMD in Lausanne. «Die Bierhersteller bläuen den Leuten ein, dass Bier und Fussball zusammengehören», sagt Michel. «Einer jüngeren Kundschaft muss man das erst beibringen, und die bestehenden Kunden sollen daran erinnert werden.»Das Grossereignis kurbelt den Bierverkauf an. Wie stark, hänge auch vom Ausgang der Spiele ab, sagt Franco Caruso, Leiter Einkauf der Pilatus Getränke AG, die über 30 Rio-Getränkemärkte betreibt: «Während der EM rechnen wir mit einem Umsatzplus von 10 bis 15 Prozent.» Es komme dabei darauf an, wie die Schweizer Mannschaft abschneidet.

Dolce Vita aus Graubünden.
Foto: PD

Auch die Fans von Italien, Deutschland, Spanien und Portugal sind laut Caruso für den hiesigen Absatz wichtig. Und eine noch bedeutendere Rolle spielt das Wetter. Warme Sommerabende animieren zum Biergenuss – ob beim Fussball im Public Viewing oder beim Grillieren auf dem Balkon.

Klar ist: Die Brauereien werden ihre Werbeaktivitäten während des Turniers hochfahren. Ob in Werbespots während der Halbzeit oder wie Heineken als Sponsor der EM. Daneben gibt es ausgefallenere Ideen, wie die der Brauerei Locher, die Quöllfrisch herstellt. Mit Bars und Restaurants, die Appenzeller Bier in Public Viewings im Offenausschank anbieten, hat Locher-Chef Aurèle Meyer einen Deal abgeschlossen, der die Gäste freuen dürfte.

«Wir haben mit zahlreichen Gastronomen die Abmachung, dass sie bei Public Viewings pro Goal der Schweizer Nati eine Runde Freibier auf unsere Kosten ausgeben können», sagt Meyer und fügt scherzhaft an: «Zum Glück schiessen die Schweizer meist nicht allzu viele Tore.» Rund 50 Public Viewings machen mit.

Bier mit Heimatgefühlen

Die Appenzeller haben den Fussball aber nicht nötig, um beim Publikum gut anzukommen. Mit ihrem Quöllfrisch-Bier versprüht die Brauerei Locher Heimatgefühle. Die Etikette zeigt die Aussicht über den Seealpsee Richtung Säntis mit Appenzellern in traditioneller Tracht: Das trifft den Nerv der Kundschaft in der Schweiz.

Locher hat sich über die Jahre zur grössten unabhängigen Schweizer Brauerei hochgearbeitet. Vom Marketingprofi gibt es viel Lob: «Die lokale Aufmachung von Appenzeller Bier passt perfekt. Die verkaufen ein Stück Heimat», sagt Stefan Michel. Eine Markenidentität bezeichnet Locher-Chef Meyer als sehr wichtig. Man sei dabei in einer glücklichen Ausgangslage. «Der naturbelassene Charakter des Appenzells, für den unser Bier steht, entspricht der Realität. Wir müssen die Marke nicht künstlich aufladen.»

Mit der jüngsten Übernahme von Chopfab-Bier durch Locher liefert sich das Unternehmen in Familienbesitz ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Heineken um die Nummer zwei im Schweizer Biermarkt. Zu Heineken gehören auch Marken wie Calanda und Eichhof. Mehr Volumen generiert mittlerweile aber Moretti. Damit lautet das Duell auf Image-Ebene: Italien gegen Appenzell. Appenzeller Bier habe vorgemacht, was gutes Marketing sei, sagt Getränkehändler Franco Caruso. «Die haben ein tolles Image der Bescheidenheit und gelten als der sympathische Underdog.»

Die Brauerei Locher hat mit ihrem Quöllfrisch vorgemacht, wie gutes Marketing funktioniert.
Foto: PD

Den Erfolg von Moretti sieht Caruso ebenfalls in den Verkaufszahlen: «Moretti ist der absolute Überflieger. Das Marketing ist clever. Die Italianità weckt Feriengefühle. Und kaum jemand verbindet Moretti mit Heineken.» Dies ist kein unwesentlicher Faktor, denn die Grosskonzerne gelten nicht unbedingt als Sympathieträger.

Nummer 1 in der Schweiz

Trotzdem: Unangefochtene Nummer eins in der Schweiz bleibt Feldschlösschen, die zum dänischen Multi Carlsberg gehört. Der Marktanteil in der Schweiz liegt bei 40 Prozent. Neben der wichtigsten Schweizer Marke Feldschlösschen braut das Unternehmen in Rheinfelden auch Cardinal, Warteck, Hürlimann und viele weitere Biere. Die Europameisterschaft sei kein Werbeschwerpunkt von Feldschlösschen, so die Medienstelle des Unternehmens. Stattdessen fokussiere man sich auf «das Zusammenkommen der Menschen». Egal ob beim Jassen, beim Sport oder beim Wandern: Feldschlösschen zeigt Leute, die gemeinsam Bier trinken.

Laut Marketingexperte Stefan Michel ist das ein sehr typisches Bild, das die Branche mit Werbung vermitteln will. «Die Botschaft ist meist die gleiche: Biertrinken ist sozial, man hat mit Freunden Spass.» Dabei gilt es auch, die Stammkundschaft, die ihrer Marke die Treue hält, bei der Stange zu halten. «Auch loyale Kunden wollen immer wieder die Bestätigung, dass sie das richtige Bier trinken. Darum ist Werbung für die Branche essenziell.»

Und welche Rolle spielt das Geschmackserlebnis? «Beim Konsum von Genussmitteln wie Bier passiert das meiste im Kopf. Nicht die Geschmacksnerven sind entscheidend», sagt Michel. Konsumentinnen und Konsumenten überschätzen sich demnach meistens, wenn sie glauben, dass sie das eine Bier vom anderen unterscheiden können.

Die Werbebotschaft von Feldschlösschen ist typisch für die Branche: Biertrinken ist sozial.
Foto: Keystone

Besonders beim Lagerbier sind unterschiedliche Aromen kaum wahrzunehmen. Das gilt auch für Profis. Legendär ist ein Test der SRF-Sendung «Kassensturz»: Die Braumeister der sechs grössten Schweizer Brauereien sollten in einer Blinddegustation ihr eigenes Lagerbier erkennen. Das Resultat war ernüchternd: Nur ein Teilnehmer erkannte das Produkt des eigenen Hauses. Seit diesem Test aus dem Jahr 1985 liessen sich keine Branchenvertreter mehr auf solche riskanten öffentlichen Verkostungen ein.

Einbruch im Craft-Segment

Klar identifizierbare unterschiedliche Geschmacksnoten gibt es dagegen bei sogenannten Craft-Bieren. Oft handelt es sich dabei um obergärige hopfige Biere mit fruchtigen Noten. Darauf hatten sich zu Beginn vor allem kleinere Brauereien spezialisiert, die grossen Player sind auf den Trend aufgesprungen. Doch der Hype ist vorbei. Laut Franco Caruso sind Craft-Biere unter Druck. Besonders im oberen Preissegment. «Irgendwann hört die Liebe zum Spezialbier auf. Bei einem Ladenpreis von über drei Franken pro Flasche ist der Absatz um bis zu 50 Prozent eingebrochen.» In der Gastronomie sei das weniger zu spüren. «Zu Hause wird wieder Lagerbier getrunken. In der Bar gönnt man sich eher ein Craft-Bier.»

Ein Segment, das lange ein Nischendasein fristete, gewinnt dagegen stark an Bedeutung: die alkoholfreien Biere. Deren Anteil lag 2011 noch bei 2,5 Prozent. Mittlerweile machen sie über sechs Prozent am Gesamtmarkt aus, Tendenz steigend. Die Branche rechnet damit, dass es in den nächsten Jahren in Richtung zehn Prozent geht. Im Detailhandel ist es die am schnellsten wachsende Bierkategorie. Dementsprechend weiten die Händler auch das Sortiment aus. Vor allem zwei Gründe tragen zum Erfolg bei: Der Trend zu bewusster Ernährung und dem damit verbundenen moderaten Alkoholkonsum schlägt voll durch.

Zero-Variante von Moretti

Noch vor zehn Jahren wurde schräg angeschaut, wer in einer Bar alkoholfreies Bier bestellte. Heute kann man sich damit innerhalb der Gruppe hervortun. Besonders der trinkende Nachwuchs ist sich an Zurückhaltung in Sachen Alkohol gewöhnt. Für Neulenker gelten drei Jahre nach der Autoprüfung 0,0 Promille Alkohol. Ausserdem sorgen in Social-Media-Posts wohl andere Erlebnisse als ein Alkoholrausch für viele Likes.

Beim zweiten Grund spielt der Geschmack von Bier doch noch eine Rolle. Die Industrie hat in den vergangenen Jahren Fortschritte in der Herstellung von alkoholfreiem Bier erzielt. Viele Produkte haben die zuvor vorherrschende unangenehme Süsse verloren und kommen dem herben Original viel näher.

Jüngst hat auch der Überflieger Moretti in der Schweiz eine Zero-Variante auf den Markt gebracht. Dieses Bier stellt Heineken sogar in Italien her, ganz im Gegensatz zu den alkoholhaltigen Moretti-Bieren. Der Grossteil davon stammt für die Schweiz aus der Calanda-Brauerei in Chur. In der Werbung setzt Heineken aber lieber auf Italianità als auf Alpenflair.

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