Grosse Lohn-Übersicht – sogar eine halbe Million Franken liegt drin
Wie viel Ärzte in der Schweiz wirklich verdienen

Innerhalb der Ärzteschaft klaffen die Löhne auseinander. Ein Magen-Darm-Spezialist verdient mehr als doppelt so viel wie ein Hausarzt. Wie kann das sein? Der Beobachter hat die grosse Übersicht.
Publiziert: 24.09.2024 um 18:49 Uhr

Auf einen Blick

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Yves Demuth und Gian Signorell
Beobachter

Mit Magen- und Darmspiegelungen kann man in der Schweiz offenbar richtig reich werden. Die Magen-Darm-Spezialisten, die diese anbieten, verdienen so viel wie keine andere Ärztegruppe. Ihr mittleres Nettoeinkommen liegt bei 447’896 Franken. 

So viel verdienen die Fachärzte für Gastroenterologie unter dem Strich, wenn sie in ihrer eigenen Praxis Vollzeit arbeiten. Das zeigen bisher unveröffentlichte Zahlen des Bundesamts für Statistik, die dem Beobachter vorliegen. Die neuen Daten basieren auf einem obligatorischen Fragebogen des Bundesamts für das Jahr 2021. 

Die Krankenkassen bezeichnen die Einkommen der Ärzteschaft als «übermässig hoch», ein Facharzt spricht von einem «Selbstbedienungsladen». 

Zweiklassengesellschaft der Ärzteschaft

Die Daten zu den Arztlöhnen zeigen riesige Einkommensunterschiede. Die Fachärzte der Gastroenterologie verdienen mehr als doppelt so viel wie die Hausärztinnen und Hausärzte. Und mehr als dreimal so viel wie ihre Kollegen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Deren mittleres Einkommen liegt bei 144’386 Franken. Niemand mit Facharzttitel verdient weniger als sie. Das mittlere Einkommen bedeutet, dass die eine Hälfte mehr verdient, die andere Hälfte weniger. 

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie führen die vergleichsweise tiefen Löhne zu einem Nachwuchsmangel. Das verschärfe die ohnehin angespannte Versorgungslage. Im Klartext: Die Wartelisten für Kinder und Jugendliche in der Psychiatrie werden auch deshalb länger, weil Medizinstudierende sich für besser bezahlte Fachrichtungen entscheiden. Die Fachgesellschaft sagt, die Entlöhnung sei schlicht nicht adäquat. 

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Nettolohn von 260’000 Franken im Durchschnitt

Das mittlere Einkommen aller Fachrichtungen zusammengerechnet beträgt 203’158 Franken. Der Durchschnittswert liegt jedoch deutlich höher: Das Durchschnittseinkommen aller Ärztinnen und Ärzte mit eigener Praxis liegt bei 259’976 Franken. Zum Vergleich: Das Vollzeit-Nettoerwerbseinkommen aller Arbeitnehmenden beträgt im Durchschnitt rund 75’000 Franken gemäss Schweizerischer Arbeitskräfteerhebung.

Die Einkommenszahlen basieren auf den Angaben von 9815 Ärztinnen und Ärzten mit einem Einzelunternehmen. Die ausgewiesenen Einkommen sind Nettobeträge: Sämtliche Sozialabgaben und Aufwände wurden herausgerechnet. Sogar freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse hat das Bundesamt vom Einkommen abgezogen. 

Der «Beobachter»-Prämienticker

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Facharzt: «Ein Selbstbedienungsladen»

Der Thurgauer Augenarzt Daniel Bruun bezeichnet das angegebene mittlere Nettoeinkommen für seine Fachrichtung als realistisch. Allerdings würden 10 bis 15 Prozent der Fachärzte massiv mehr verdienen. 

«Diese Ausreisser machen unser System kaputt», sagt Bruun. «Es ist für viele Spezialisten ein Selbstbedienungsladen.» Die Ärzte, die wollten, könnten die Mengen ausdehnen und abkassieren. «Ein Arzt kann immer einen Grund finden, beispielsweise eine Magen- oder Darmspiegelung zu veranlassen.» Ein Gastroenterologe bestätigte jüngst in der «NZZ am Sonntag», dass seine Zunft solche Untersuchungen viel zu oft durchführe.

«Vorwurf weisen wir in aller Schärfe zurück»

«Das weisen wir in aller Schärfe zurück», schreiben hingegen die beiden Co-Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie. Man solle Fachärzte nicht dem Generalverdacht aussetzen, dass sie nur aufgrund von finanziellen Anreizen eine Leistung verrechnen würden. Gastroenterologen würden auch deshalb so viel verdienen, weil viele von ihnen als Belegärztinnen und Belegärzte in Privatkliniken operieren würden. Und das werde nicht über die Grundversicherung abgerechnet. 

Das trifft zu. Allerdings ist das auch bei anderen Facharztgruppen so. Die Frage, wieso in der Gastroenterologie am meisten zu verdienen ist, kann die Fachgesellschaft offenbar nicht beantworten. 

Die Ärztevereinigung FMH sagt, man habe sich schon immer gegen Fehlanreize gewehrt, die dazu führten, dass mehr ärztliche Behandlungen durchgeführt werden als nötig. Aber die sehr hohen spezialärztlichen Gehälter seien über die obligatorische Grundversicherung gar nicht zu erreichen, sondern nur über die Zusatzversicherungen. 

Eine Studie, die das belegt, gibt es allerdings nicht. Die Statistik des Bundesamts macht keine Angaben dazu, welcher Anteil des Einkommens zu Lasten der Grundversicherung abgerechnet worden ist. Eine frühere Studie des Bundes von 2018 kam zudem sogar auf deutlich höhere Gesamteinkommen der Ärzteschaft als die hier genannten. 

Braucht es eine Einkommensobergrenze?

Augenarzt Daniel Bruun bleibt denn auch bei seiner Kritik. Er sagt, ein Patient könne sich in der Regel gar nicht gegen eine unnötige Untersuchung wie eine Magenspiegelung wehren, weil er kein aufgeklärter Konsument sei. Ein Arzt wisse immer mehr als ein Patient. «Deshalb tragen selbständige Praxisinhaber auch kein Risiko wie andere Unternehmer. Oder haben Sie schon mal einen Arzt gesehen, der in Konkurs gegangen ist?» 

Bruun ist deshalb für eine Einkommensobergrenze bei Spezialärzten mit eigener Praxis, wie er im Podcast «Beobachter Radar» sagt. Verschiedene Universitätsspitäler haben bereits ein Limit für ihre Kaderärztinnen und Kaderärzte festgelegt. Es liegt zwischen 500’000 und einer Million Franken. 

Politik hofft auf neuen Tarif

Im Bundeshaus stösst diese Idee auf wenig Gegenliebe. Kritik an der gut vernetzten Ärzteschaft ist sowohl bei linken wie rechten Parteien eher selten. Nationalrat Lorenz Hess von der Mitte-Partei sagt, selbständig praktizierende Ärzte liessen sich nicht mit festangestellten Kaderärzten an öffentlichen Spitälern vergleichen. Eine Lohnobergrenze sei hier unnötig.

Lorenz Hess ist auch Verwaltungsratspräsident der Krankenkasse Visana. Er sagt, die teilweise sehr hohen Einkommen der Ärztinnen und Ärzte würden auch zu den hohen Kosten im Gesundheitswesen beitragen. Aber: «Ich sage nicht, dass die Ärzte zu viel verdienen. In Anbetracht der Qualität und der Standards, die wir haben, liegt das im Rahmen. Aber es ist wichtig, dass wir bei den Arztlöhnen Transparenz haben.» Hess hofft, dass sich mit dem neuen Tardoc-Arzttarif die Einkommen der Facharztgruppen etwas angleichen werden. Der soll 2026 in Kraft treten.

Krankenkassen: «Übermässig hohe Löhne»

Für den Krankenkassenverband Santésuisse ist ebenfalls klar, dass das Problem beim heutigen Arzttarif liege. «Die Tatsache, dass übermässig hohe Löhne möglich sind, zeigt, dass der heutige Tarif nicht mehr sachgerecht ist. Wenn wir über einen sachgerechten Tarif verfügen würden, müssten wir nicht über Lohnobergrenzen diskutieren», sagt Sprecher Matthias Müller. Die Löhne würden wieder in eine gesunde Balance kommen, wenn die Ärzteschaft mit Pauschalen abrechnete, statt nach Aufwand mit einem Tarif.

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