Gute Besserung!
Der Migros-Medizinmann

Die Migros hat Gesundheit als Wachstumsmarkt bestimmt. Der neue Chef Fabrice Zumbrunnen wird den Bereich weiter ausbauen.
Publiziert: 19.03.2017 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 19:43 Uhr
Vinzenz Greiner, Moritz Kaufmann

Die Wahl von Fabrice Zumbrunnen (47) zum neuen Migros-Direktor war die Überraschung der Woche. Dem zurückhaltenden Romand kommt ab nächstem Jahr eine ganz besondere Rolle zu. Er wird eine Art Migros-Medizinmann!

Zum einen, weil er den Megakonzern wie ein Arzt auf Herz und Nieren prüfen wird (siehe Boxen). Zum anderen, weil der Neuenburger den Gesundheitsbereich weiter vorantreiben wird. Seit 2012 leitet er das Departement I (Personal, Kulturelles und Soziales, Freizeit) beim Migros-Genossenschafts-Bund. Dazu gehört auch die Gesundheitssparte. Die baut Zumbrunnen immer weiter aus.

Gesundheit mit «wichtiger, strategischer Rolle»

Ein Jahr vor seinem letzten Stellenantritt betrieb die Migros noch acht Gesundheitszentren. 2015 gelang Zumbrunnen dann ein Coup: Die Migros-Tochter Medbase, die Therapie- und Arztzentren betreibt, kaufte 70 Prozent an den Santémed-Gemeinschaftspraxen. Mit nun 35 Gesundheitszentren hat die Migros nach eigenen Angaben «das grösste Netzwerk in der ambulanten medizinischen Grundversorgung» in der Schweiz. Der Kopf hinter dem Plan: Zumbrunnen, der in beiden Unternehmungen den Verwaltungsrat präsidiert. 99 Fitnesscenter und Freizeitanlagen ergänzen laut Migros-Strategie die Arztzentren in den Bereichen Vorbeugung und Rehabilitation.

Der neue Chef Fabrice Zumbrunnen wird eine Art Migros-Medizinmann.
Foto: SoBlick Fotomontage
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Vor zwei Monaten wurde Zumbrunnen endgültig zu Monsieur Santé. Er hob die Plattform iMpuls aus der Taufe, die alle Gesundheitsangebote des orangen Riesen vernetzt und etwa Tipps von Ärzten aufschaltet. Warum diese Plattform? «Weil Gesundheit bei der Migros auch in Zukunft eine wichtige strategische Rolle spielen wird», so Migros-Sprecherin Christine Gaillet. Wird die Migros unter Zumbrunnen zum Gesundheitskonzern?

Migros-Gesundheitslabels mit starkem Umsatzwachstum

Der studierte Soziologe und Betriebswirt weiss, dass die Anzahl immer älterer Schweizer und damit auch der Umsatz mit Gesundheitsangeboten wachsen. Dieser Trend zeigt sich im Kleinen: Während die Detailhandelsumsätze der Migros von 2014 auf 2015 leicht zurückgingen, stiegen jene mit Gesundheitslabels wie der Allergikerlinie Aha! um 21,5 Prozent. «Der gesamte Gesundheits- und auch Pflegebereich wird in den nächsten Jahren stark wachsen», erklärt Brian Rüeger (46), Professor für Marketing an der Zürcher Fachhochschule ZHAW.

Migros machts damit wie Nestlé. Der Lebensmittelmulti aus Vevey VD will sich wandeln: weg vom blossen Kalorienlieferanten hin zu einem ganzheitlichen Gesundheitskonzern. Deshalb holte Nestlé-Präsident Peter Brabeck (72) als neuen CEO den Fachmann Mark Schneider (51) vom deutschen Medizintechnik-Unternehmen Fresenius.

Schneider und Zumbrunnen stammen ursprünglich aus derselben Branche: Der Romand war einst Sales Manager in einer Zuger Medizinaltechnik-Firma. Ab 2018 muss Zumbrunnen neben seinem Steckenpferd Gesundheit die Migros in fünf weiteren strategisch wichtigen Gebieten weiterbringen.

Gesundheit


Sei es mit Arztpraxen, Fitnesscentern, Aquaparks oder Golfplätzen – der Dutti-Konzern weiss, wie sich das körperliche Wohlbefinden zu Geld machen lässt. Das Potenzial ist enorm. Gesundheit gilt als der Megatrend der kommenden Jahre. Betreibt die Migros in Zukunft Spitexen oder steigt sie gar ins Spitalgeschäft ein? Letzteres stritt Noch-Chef Herbert Bolliger zwar immer ab. Viele Krankenhäuser – vor allem auf dem Land – sind aber in Existenznöten und brauchen neue Impulse. Es wird Kaufgelegenheiten geben. Kann Medizinmann Zumbrunnen widerstehen?

Digital


Die ganz grosse Herausforderung für den neuen Chef: das Verschmelzen der digitalen mit der analogen Welt. Die Migros muss zeigen, dass sie mehr kann als Online-Shops aufkaufen. «Radikale Prozessveränderungen» prophezeit Experte Brian Rüeger. Zum Beispiel mit dem Internet der Dinge: Schon bald können Kühlschränke die Milch von selbst bestellen. Konsumenten werden sich mit 3D-Brillen ihre Produkte zu Hause anschauen. Hier gilt: Trends erkennen, testen, umsetzen. Und zwar bevor ein amerikanisches Start-up den Markt von aussen aufmischt.

Convenience


«Bequemlichkeit» heisst das Schlagwort übersetzt. «Konsumenten wollen immer rascher einkaufen und smarter leben», so Rüeger. Dafür sind sie bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. Im klassischen Detailhandel ist dies der letzte Bereich, der noch Wachstum verspricht. Kein Wunder, werden Millionen in Coop-Pronto- oder Migrolino-Formate gesteckt. Es ist auch ein Kampf um die besten Standorte. Mit dem Zukauf der Aperto-Läden hat Coop zuletzt vorgelegt. Die Migros hat gegenüber dem grossen Konkurrenten aus Basel noch Aufholpotenzial.

Gastro


Schon heute ist die Migros der grösste Beizer im Land. Zum Imperium gehören nicht nur die altbekannten Migros-Restaurants, sondern auch Kantinen, Pizzerien, Cafés, Thai-Restaurants, Fast-Food-Ketten. Es kommen laufend neue Konzepte hinzu – zum Beispiel vergangene Woche Frau Helvetia am Zürcher Hauptbahnhof, das auf schnelle Schweizer Küche setzt. Mittlerweile hat die Migros fast auf jeden Food-Trend eine Antwort parat. Sind die Marken etabliert, lassen sie sich rasant ausbauen. Zum Beispiel die Poulet-Fast-Food-Kette Chickeria, die in diesem Jahr ihre 14. Filiale eröffnen wird.

Ausland


Zwar gilt die Wahl Zumbrunnens als Absage an weitere Migros-Abenteuer im Ausland. Doch so klar ist die Sache nicht. Zumbrunnen selbst wird zwar kaum grosse Expansionspläne schmieden. Doch er dürfte die über die Grenze vorstossenden Regionalgenossenschaften explizit gewähren lassen. Seit mehreren Jahren ist die Migros Zürich in Deutschland aktiv und sanierte die Supermarktkette Tegut mit 272 Filialen. Experte Rüeger glaubt, dass die Digitalisierung weitere Gelegenheiten für Geschäfte ennet der Grenze bietet: «Erst wenn die Migros mit Unternehmen im Ausland bestehen kann, ist sie wirklich fit.»

Kundenbindung


Am Migros-Imperium führt kein Weg mehr vorbei. Doch erst wenn es dem orangen Riesen gelingt, die Kunden innerhalb seines Netzes zu behalten, kann er seine ganze Macht ausspielen. Das A und O dafür ist die Kundenbindung. Das Cumulus-System hat noch grosses Ausbau- und Verbesserungspotenzial – wenn auch die Schritte behutsam gewählt werden müssen. «Der Supermarkt Tesco in England hat sich mit automatischer Gesichtserkennung die Finger verbrannt», warnt Brian Rüeger. Eher wird die Migros ihren Kunden weitere Belohnungen bieten, wenn sie ihr treu bleiben.

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